Low-Code und No-Code: Programmieren für jedermann

Die Digitalisierung stockt in vielen Unternehmen. Weil Fachkräfte fehlen, kann nicht jedes Projekt umgesetzt werden. Abhilfe schaffen No-Code- und Low-Code-Lösungen. Damit können auch Mitarbeiter ohne jegliches IT-Know-how Apps und Anwendungen kreieren.

Transportmanagement, Lagerverwaltung oder Enterprise Resource Planning. Solche und andere Kernprozesse steuern Logistikdienstleister längst mit Software, die möglichst alle Abläufe plant, verwaltet und überwacht. Und doch gibt es immer wieder einzelne Vorgänge, die bei der Digitalisierung vergessen werden. Bei BLG Logistics in Bremen waren das bis vor kurzem Prozess- und Qualitätsprüfungen für sogenannte Packstücke – also Sendungen, die auf Paletten oder in Kisten in einer Einheit gebündelt werden. Rund 300 der mehr als 10.000 Beschäftigten bearbeiten diese. Vor kurzem noch druckten sie farbige DIN-A5-Zettel aus, notierten darauf alle wichtigen Details, fertigten Fotos an und gaben die Inhalte in einen PC ein. Anschließend befestigten sie die Zettel an den Sendungen.

Inzwischen kleben sie nur noch ein Barcode-Label auf die Sendungen, erfassen mit dem Smartphone Daten und fertigen Fotos an. Anschließend leiten sie alle Informationen per Mail weiter. „Die Kolleginnen und Kollegen benötigen nur noch die halbe Zeit und wir sparen rund 4.000 Blatt Papier im Jahr“, freut sich Jakub Piotrowski, Leiter IT-Services von BLG. Der Logistikdienstleister spart aber auch Kosten für die IT-Entwicklung. Mit sogenannter No-Code-Technologie haben zwei BLG-Beschäftigte das Prüfungstool selbst entwickelt. Sie nutzten dafür fertig programmierte Bausteine, welche die Plattform SmapOne zur Verfügung gestellt hatte, und hatten binnen weniger Tage eine funktionierende App entwickelt.

Seit rund fünf Jahren bereichern No-Code- und Low-Code-Plattformen wie SmapOne die nationale und internationale Softwarelandschaft. Sie bieten eine Alternative zu herkömmlichen Programmierungen. Denn mit den Plattformen arbeiten sogenannte Citizen Developer, also technisch interessierte Personen ohne fundiertes IT-Know-how und eben keine Programmier-Experten. Auf den Plattformen können sie automatisierte Workflows auch dann herstellen, wenn sie keine Programmierkenntnisse haben (No-Code) oder nur über ein Basiswissen (Low-Code) verfügen. Sie nutzen statt Codes fertige Vorlagen und fügen diese mit Drag and Drop in einer festen Reihenfolge zu Apps oder anderen Softwareprodukten zusammen.

Programmieren per Lego-Prinzip

Marktkenner ziehen gerne den Vergleich mit Lego-Produkten. Tatsächlich bestehen No-Code- und Low-Code-Lösungen aus fertigen Softwarebausteinen. Sie arbeiten bereits mit einem Programmiercode und müssen lediglich zu einem fertigen Produkt zusammengesetzt werden. Bei No-Code ist dies ohne weitere Programmierung möglich, bei Low-Code sind geringfügige Anpassungen notwendig.

Rund ein Dutzend No-Code- und Low-Code-Plattformen laden inzwischen zum Software-Bauen ein. Außer dem 2014 gegründeten Startup SmapOne in Hannover, das seit 2020 jährlich um mindestens 50 Prozent wuchs und heute rund 130 Mitarbeiter beschäftigt, gibt es Appsheet von Google Cloud, Power Plattform von Microsoft und AppGyver für SAP-basierte Apps. Als internationaler Marktführer hat sich die amerikanische Plattform ServiceNow durchgesetzt. Sie wird seit Ende 2019 vom früheren SAP-Vorstandschef Bill McDermott geführt. Spezialportale etwa für Robotik- und Prozessautomatisierungen oder Supply Chain Management runden das Angebot ab. Auf Letzteres konzentriert sich Logistics Cloud, eine Plattform des No-Code-Spezialisten Lobster in Tutzing.

Auf Augenhöhe mit den Profis

Die Do-it-yourself-Anbieter profitieren auch vom Fachkräftemangel, der der IT-Branche besonders zu schaffen macht. Rund 149.000 Stellen sind unbesetzt, ermittelte unlängst eine Auftragsstudie des Branchenverbands Bitkom. „Viele IT-Abteilungen haben nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels bereits mit der Digitalisierung der Kernprozesse zu kämpfen“, sagt Sven Zuschlag, Gründer und Geschäftsführer von SmapOne. „Wie sollen sie eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie auf die Beine stellen und gleichzeitig kleinere, aber zeitaufwendigere Routineaufgaben erledigen?“ Genau diese Lücke können IT-affine Beschäftigte mit No-Code oder Low-Code schließen. Die Plattformen haben deshalb ihr Portfolio in den letzten Jahren ausgebaut, viele versprechen immer leichtere Lösungen. Mit App-Entwicklungen in nur 30 Minuten wirbt beispielsweise SmapOne. Standardisierte Vor­lagen sollen helfen, diese Zusage einzulösen. Auf der Plattform der Hannoveraner finden Anwender zahlreiche Beispiele von A wie Abliefernachweis bis Z wie Zollbestimmungen vor. Die meisten Vorlagen wurden aus rund zwei Dutzend Standardbausteinen, etwa für Code Scanning, Fotoaufnahmen, Texteingaben, Unterschrift oder Positionsbestimmung, zusammengesetzt. Wenn Citizen Developer dann Apps für ihr Unternehmen kreieren, passen sie diese mit zusätzlichen Eingaben an ihre Anforderungen an.

Mit diesem Konzept erreicht SmapOne Mittelstandsunternehmen aus unterschiedlichen Branchen. Vor allem Einzelhändler, Logistikdienstleister, Facility-Management-Anbieter, Bauunternehmen und Technische Services haben bislang Apps entwickelt. Mit zusätzlicher IT-Unterstützung durch SmapOne inklusive Weiterbildung können Citizen Developer auch anspruchsvollere Lösungen sogar dann realisieren, wenn ihr Arbeitgeber bereits mit einem professionellen IT-Partner zusammenarbeitet. Die Raiffeisenbank im Grabfeld eG entwickelte ein eigenes Tool für die Beratung von Firmenkunden. Die Lösung des IT-Dienstleisters Atruvia, der deutschlandweit viele Raffeisen- und Volksbanken betreut, ließ individuelle Anpassungen oder gar eigene Workflows nicht zu. Die No-Code-Lösung, die Vorstandschef Hendrik Freund mit einem Mitarbeiter entwickelte, ist nun über Schnittstellen mit dem Atruvia-System verbunden und kann Kundendaten abrufen oder fertige Beratungsdokumentationen hochladen. „Wir mussten sicherstellen, dass die in der Bankenwelt besonders strengen Vorgaben für Datenschutz und Datensicherheit eingehalten werden“, schildert Freund die wohl größte Herausforderung.

KI erweitert die Möglichkeiten So können viele Low-Code und No-Code-Lösungen inzwischen mit den Produkten professioneller Softwareentwickler mithalten. Auch manches IT-Unternehmen nutzt mittlerweile die Angebote der Plattformen. Das Mönchengladbacher Familienunternehmen Scheidt & Bachmann entwickelt Zugangsysteme und Ticketsysteme, etwa für Parkhäuser oder Verkehrsbetriebe, und managt seinen Customer Service und Außendienst mit Lösungen von ServiceNow. Wie Scheidt & Bachmann stehen viele mittelständische Unternehmen jetzt vor der Frage, welche Anwendungen sie mit No-Code oder Low-Code umsetzen und welche sie weiterhin bewährten IT-Partnern überlassen.

Die Zeiten, in denen Low-Code als Synonym für einfache Anwendungen galt, dürften bald vorbei sein. Manche Plattformen spekulieren längst darüber, ob nicht bald jede Anwendung im Do-it-yourself-Verfahren realisiert werden könnte. Und auch die ersten Anwendungen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, sind längst da. So können Citizen Developer auf großen internationalen Plattformen Tools abrufen, welche Rechnungen wie Steuerdokumente verarbeiten und die damit verbundenen Geschäftsprozesse automatisieren. Marktführer ServiceNow wirbt mit KI-gestützten Innovationen, die jeder Kunde für Customer Service, Personalmanagement und interne Prozesse nutzen kann.

„Der Einsatz von KI kann Low-Code und No-Code noch einen zusätzlichen Schub verleihen, weil dadurch die Qualität der Ergebnisse noch besser ausfällt und die Anwendungen außerdem benutzerfreundlicher gestaltet werden können“, ist Frank Termer, Bereichsleiter Software beim Bitkom, überzeugt. Trotzdem werden wohl viele komplexe und hochspezifische Lösungen weiterhin von erfahrenen IT-Profis realisiert werden. „Auch in der Fertigungsindustrie oder bei kritischen Infrastrukturen, in denen hohe Anforderungen an Sicherheit, Zuverlässigkeit und spezifische Anpassungen bestehen, können Low-Code- und No-Code-Plattformen nicht immer die notwendige Tiefe und Flexibilität bieten“, schränkt Termer ein.

Keine Software ohne Soft Skills

Solchen Aussagen stimmen auch bekennende No-Code-Anhänger wie Niko Hossain, Geschäftsführer von Lobster Logistics Cloud, zu. Der IT-Manager plädiert außerdem für eine sorgfältige Auswahl der Beschäftigten, die No-Code- oder Low-Code-Lösungen realisieren sollen. An Soft Skills wie Problemlösungskompetenz, Lernbereitschaft und der Fähigkeit, sich schnell in neue Tools einzuarbeiten, führe kein Weg vorbei. „Ein Verständnis für Geschäftsprozesse und die Fähigkeit, Anforderungen klar zu definieren und zu kommunizieren, sind ebenso essenziell wie Kreativität und Innovationsgeist“, sagt Hossain. Schließlich müssten die Mitarbeiter die vielfältigen Möglichkeiten der Plattformen voll ausschöpfen können.

Bei BLG Logistics gibt es solche Beschäftigte offenbar in großer Zahl. Das Prüf- und Qualitätstool für Packstücke war der Auftakt. In Workshops sammelten die BLG-Beschäftigten Ideen für weitere Apps. Zwei Monate später wurden Lösungen unter anderem für Abliefernachweise, Dienstwagenunfälle und Sicherheitsunterrichtungen getestet. Heute arbeitet der Logistikdienstleister mit über 100 neuen Apps, die in nur einem halben Jahr entstanden sind. Auch die Raiffeisenbank im Grabfeld war fleißig und kreierte Apps unter anderem für Immobilien, Personalmanagement und Protokollierungen. Der Appetit kommt offenbar beim Essen. Allerdings darf kein Unternehmen Ergebnisse aus dem Stand heraus erwarten. „Eine Spielwiese für Tests neuer Entwicklungen müssen City Developer haben“, sagt Piotrowski. „Gleichzeitig benötigen sie eine Governance, die den Prozess der App-Entwicklung lenkt und Standards setzt.“ Ein bisschen „Trial and Error“ darf also sein – aber nicht zu viel.

Vier Tipps zum Einstieg in No- und Low-Code

  • 1

    Ermitteln Sie Lücken in der vorhandenen Digitalisierung und prüfen Sie, ob Ihre IT-Partner diese zeitnah und kostengünstig schließen können. Wenn nicht, haben Sie mit No-Code und Low-Code eine Alternative.

  • 2

    Die Digitalisierung ist nie abgeschlossen. Prüfen Sie die Bildung eines No-Code-/Low-Code-Teams. Die Mitglieder sollten IT-interessiert sein, aus unterschiedlichen Abteilungen kommen und mit sozialen Kompetenzen überzeugen.

  • 3

    Sondieren Sie den Markt nach passenden No-Code- und Low-Code-Anbietern. Die meisten Anbieter werben mit maßgeschneiderten Angeboten auf Basis von abteilungs- oder unternehmensweiten Einsätzen und Developer-Zahlen.

  • 4

    Überprüfen Sie die Sicherheitsstandards der Anbieter. Der künftige Partner muss auf jeden Fall nach ISO 27001, dem internationalen Standard für Informationssicherheit, zertifiziert sein.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Bottler
Bildnachweis: BestForBest/ iStock



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