Rettung in Sicht?
Die Bundesregierung hat die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum Jahresende verlängert. Allerdings ausdrücklich nur für überschuldete Unternehmen. Für Restrukturierungen stellt die Umsetzung einer EU-Richtlinie ab 2021 weitere Erleichterungen in Aussicht. Was Unternehmen jetzt zum Insolvenzrecht wissen müssen.
Schon im März 2020 gab es ebenso viel Lob wie Kritik an der Entscheidung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, als sie vorübergehende Erleichterungen im Insolvenzrecht einführte. Normalerweise müssen Unternehmen spätestens drei Wochen nach Vorliegen eines Insolvenzgrunds, als solcher gelten Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, einen Antrag auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellen. Drei Wochen, das hätte im Wirtschaftseinbruch infolge der Corona-Krise nicht ausgereicht, so die Überzeugung der Ministerin. Deshalb setzte sie die Insolvenzantragspflicht rückwirkend ab dem 1. März bis zum 31. September aus. Mit einer wichtigen Einschränkung: Die Ausnahme galt nur für Unternehmen, die infolge der Pandemie in Schieflage geraten waren.
Dennoch war die Entscheidung ein Wagnis. Auf der einen Seite sollte kein an sich gesundes Unternehmen in die Pleite laufen. Auf der anderen Seite sollten sogenannte Zombie-Unternehmen, die schon vor der Krise kein tragfähiges Geschäftsmodell mehr hatten, nicht künstlich am Leben erhalten werden. Teil eins ist gelungen. Trotz Krise verringerte sich im ersten Halbjahr 2020 die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um 8,2 Prozent: Daten der Creditreform Wirtschaftsforschung zeigen, dass von Anfang Januar bis Ende Juni nur 8.900 Unternehmen Insolvenz anmeldeten – und damit 790 weniger als im Vorjahreszeitraum.
Mit der neuerlichen Entscheidung, die Antragspflicht nun sogar bis zum Jahresende 2020 auszusetzen, „könnte die Insolvenzzahl aufs Gesamtjahr gerechnet um etwa acht Prozent sinken, auf circa 17.250 Pleiten“, schreibt Klaus-Heiner Röhl, Senior Economist für Unternehmen am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Analyse – und nennt dort auch die Kehrseite dieser vermeintlich guten Nachricht: „Was im Frühjahr sinnvoll war, könnte jetzt ein Problem werden: Nach IW-Berechnungen könnte es bis Jahresende 4.300 Zombie-Unternehmen geben.“
Allerdings beinhaltet die Fristverlängerung ab dem 1. Oktober einen entscheidenden Unterschied. „Die Ausnahme gilt nur noch für Unternehmen, die überschuldet sind“, erklärt Alexandra Schluck-Amend, Partnerin und Leiterin des Bereichs Restrukturierung und Insolvenz bei der Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzlei CMS Hasche Sigle. „Unternehmen, die zahlungsunfähig, also nicht mehr in der Lage sind, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen, müssen ab sofort wieder einen Insolvenzantrag stellen.“
Diese Differenzierung verändert die Lage deutlich. Laut Daten der Creditreform Wirtschaftsforschung sind rund 90 Prozent der Insolvenzverfahren in Deutschland durch Zahlungsunfähigkeit begründet. Creditreform rechnet deshalb mit einer Trendwende. „Ab Oktober ist von einem deutlichen Anstieg der Insolvenzfälle auszugehen“, sagt Creditreform-Hauptgeschäftsführer Volker Ulbricht. Bei einem Vortrag vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung Düsseldorf bewertete er diese Entwicklung sogar positiv: „Insolvenzen haben eine wichtige Warn- und Signalfunktion in einer Volkswirtschaft“, so Ulbricht. Ohne sie fehle ein Korrektiv, das Unternehmen daran hindere, zulasten von Lieferanten und Wettbewerbern weiter zu wirtschaften, obwohl sie zahlungsunfähig sind.
Prognosen sind schwierig bis unmöglich
Auf überschuldete Unternehmen hingegen trifft das nicht zwingend zu. „Überschuldung kennzeichnet zunächst einmal, dass ein Unternehmen im Falle einer Zerschlagung mehr Verbindlichkeiten als Vermögen hat“, erklärt Anwältin Schluck-Amend. „Das allein dürfte derzeit auf mehr als zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland zutreffen.“ Entscheidend für eine Überschuldung als Insolvenzgrund waren auch nach bisherigem Recht deshalb weitere Faktoren: Als nicht insolvent galt, wer zwar rechnerisch überschuldet ist, aber eine positive Fortführungsprognose hat – dazu gehören ein Fortführungswillen, eine positive mittelfristige Ertragskraft und eine Durchfinanzierung bis zum Ablauf des folgenden Geschäftsjahres.
„Vor allem die positive Fortführungsprognose, die unter anderem eine mittelfristige positive Ertragskraft innerhalb von drei bis fünf Jahren ausweisen muss, sowie die Durchfinanzierung bis zum Ende des nächsten Geschäftsjahres sind derzeit aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht seriös zu erstellen“, sagt Schluck-Amend. „Insofern ist es absolut sinnvoll, die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung mindestens bis zum Jahresende auszusetzen. Idealerweise sollte sie danach ganz abgeschafft oder jedenfalls der Planungszeitraum verkürzt werden.“
Hoffen auf die EU-Richtlinie
Mit der weiteren Aussetzung „nur“ bis Ende des Jahres 2020 stellt sich für Experten wir Dirk Andres die Frage, was danach kommt. „Die Bundesregierung muss bis Ende 2021 die EU-Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen umsetzen. Ich gehe aber davon aus, dass das sehr viel schneller passiert“, sagt der Fachanwalt für Insolvenzrecht und Partner der Kanzlei AndresPartner. Die angesprochene Richtlinie ist 2019 in Kraft getreten und soll es vor allem kleineren Unternehmen in der EU ermöglichen, sich bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zu restrukturieren. Das Ziel: Der Aufwand eines formellen Insolvenzverfahrens sowie die damit einhergehende Stigmatisierung würden vermieden.
Zwar erlaubt das deutsche Insolvenzrecht auch bisher schon eine Sanierung in Eigenverwaltung und auf der Basis eines Insolvenzplans. Allerdings kommen die Vorteile dieses Verfahrens, wie etwa die Inanspruchnahme von Insolvenzgeld, erst ab einer gewissen Unternehmensgröße zum Tragen. Bei Kleinunternehmen zehren Aufwand und Verfahrenskosten den Benefit schnell wieder auf. Ihnen soll der präventiven Restrukturierungsrahmen ermöglichen, sich – verbunden mit einigen Erleichterungen – außergerichtlich zu restrukturieren. So benötigen sie etwa keine 100-prozentige Zustimmung der Gläubiger zu ihren Plänen, sondern nur 75 Prozent. Und durch die Möglichkeit eines Moratoriums soll sichergestellt werden, dass nicht einzelne Gläubiger die Restrukturierungspläne per Zwangsvollstreckung durchkreuzen. „Diese Vorgaben der Richtlinie sind unstrittig und werden sicher in deutsches Recht umgesetzt“, sagt Andres. „Die Frage ist, ob der Gesetzgeber noch weiter geht und nun zum Beispiel auch stärkere Eingriffe in Vertrags- und Arbeitsverhältnisse ermöglichen wird – was bisher eigentlich nicht vorgesehen war.“
So könnte aus einem ursprünglich anvisierten „präventiven Restrukturierungsrahmen light“ angesichts der Wirtschaftslage und der Sorge vor einer großen Insolvenzwelle nun doch ein umfangreicheres Gesetz entstehen, mit dessen Hilfe Unternehmen die Passivseite ihrer Bilanz neu sortieren und eine Überschuldung verringern oder rückgängig machen können. Allerdings immer unter einer Prämisse, mahnt Dirk Andres: dass ihr Geschäftsmodell weiter tragfähig ist.
MONITORING
So schützen sich Unternehmen als Gläubiger
Verschlechtert sich die Zahlungsmoral eines Unternehmens oder ganzer Branchen, ist dies ein wichtiges Alarmsignal für drohende Insolvenzen. Ein gutes Monitoring wird deshalb immer wichtiger, um zeitnah Veränderungen bei Kunden und Lieferanten zu erkennen. Warnzeichen sind unter anderem:
- Skonti werden nicht mehr gezogen und Zahlungsziele voll ausgenutzt
- Zahlungsziele werden überschritten
- Bonitätsauskünfte über den Kunden verschlechtern sich
- Wettbewerber beliefern den Kunden nur noch gegen Vorkasse
- Wechsel oder Entlassungen in der Geschäftsleitung
- Verlagerung des Firmensitzes, Schließung von Niederlassungen
- Laufende Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kunden
Zur Übersicht der Monitoring-Lösungen von Creditreform: https://www.creditreform.de/loesungen/bonitaet-risikobewertung/bonitaet-unternehmen/monitoring
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke
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