Creditreform Magazin

„Risikoaversion wird überlebenswichtig“

Als größte Wirtschaftsauskunftei Deutschlands spielt Creditreform in der Corona-Krise eine wichtige Rolle. Creditreform-Geschäftsführer Volker Ulbricht erklärt im Interview, warum es so wichtig ist, die Bonitätsdaten permanent anzupassen – und wie das dabei hilft, dass Lieferketten nicht reißen.

Herr Ulbricht, vor mehr als drei Monaten begann die Corona-Krise in Deutschland. Wie stark hat sie die Bonität der Unternehmen bereits beschädigt?

Die Betroffenheit ist denkbar unterschiedlich, man muss da sehr genau hinschauen. Sogar innerhalb einzelner Branchen ist das Bild differenziert. Bei Spediteuren beispielsweise macht es einen entscheidenden Unterschied, welche Güter für welche Kundengruppen sie transportieren. Unter den Brauereien gibt es solche mit einem hohen Fassbieranteil, aber auch solche, die die Gastronomie so gut wie gar nicht beliefern. Die Beispiele ließen sich beliebig erweitern.

Wie geht Creditreform mit dieser unübersichtlichen Situation um?

Wir haben sehr früh reagiert und schon lange vor den ersten behördlichen Interventionen anlassbezogen dort näher hingeschaut, wo erkennbar wurde, dass die Nachfrage aufgrund von Verhaltensänderungen des Publikums wegbricht. In der Frühphase der Krise machten die Menschen einen Bogen um große Events. Dann litten der Freizeit- und der Reisebereich. Erst später kamen der amtliche Shutdown, die Produktionsunterbrechungen in der Industrie und zuletzt der rezessionsbedingte Nachfragerückgang. Wir haben entlang dieses Eskalationspfades in den vergangenen Wochen und Monaten eine sechsstellige Zahl von Unternehmensdatensätzen einzeln angesehen und sie gewissenhaft und verantwortungsbewusst einem Review unterzogen.

Mit welchen Ergebnissen?

Mit ganz unterschiedlichen. Jeder Fall ist ein Einzelfall und bedarf einer individuellen Bewertung. So gibt es beispielsweise Hotels, die zwar lange Zeit komplett geschlossen waren, deren Eigentümer aber so solvent sind, dass wir keinen Grund für eine Herabstufung gesehen haben. Es gibt aber auch solche, deren Fortbestand auf der Kippe steht, was wir in unseren Auskünften klar dokumentieren müssen. Dazwischen gibt es jede denkbare Varianz: Einige Datensätze haben wir nur in Nuancen angepasst, andere in einem signifikanten Umfang.

Wie haben die Unternehmen reagiert, deren Bonität situationsadäquat angepasst wurde?

Natürlich macht man sich damit nicht nur Freunde. Das müssen wir aushalten. Und wir ermuntern jeden, der mit seiner Bonitätsbewertung nicht einverstanden ist, uns die Daten und Unterlagen vorzulegen, von denen er meint, dass sie zur Aufhellung des Sachverhalts dienlich sein können. Vor allem aber müssen wir klarmachen, dass wir als objektiver Intermediär entscheidend dazu beitragen, dass der Warenfluss aufrechterhalten bleibt und Lieferanten weiterhin darauf vertrauen können, ihr Geld zu bekommen. Wir sind die größte Wirtschaftsauskunftei in Deutschland. Hätte die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit unserer Daten infrage gestanden, wäre die logische Konsequenz gewesen, dass viele Lieferanten auf Vorkasse umstellen. Das hätte die Lage noch brisanter zugespitzt und viele Lieferketten reißen lassen.


„Die Verlässlichkeit unserer Daten darf nicht infrage stehen.“
Volker Ulbricht, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Vereine Creditreform


Sie verstehen sich also als Seismograf, der die eingetretenen Erschütterungen sachlich misst?

Ja, wohl wissend, dass im Zorn über die Folgen des Erdbebens auch schon mal auf den Seismografen eingeprügelt wird. Wir verstehen uns aber auch und gerade in dieser Rezession als Business Enabler. Nach wie vor hat die Mehrzahl der Unternehmen eine passable Bonität. Das machen wir kenntlich und geben somit eine Referenz, die für alle Beteiligten – den Lieferanten wie den Kunden – wertvoll ist, weil sie aus einem Potenzial einen Geschäftspartner macht, aus einer Chance einen realen Verkaufserfolg.

Das Wissen um die Bonität ihrer Kunden ist auch für Banken wichtig. Welchen Beitrag kann Creditreform bei der Prüfung von Anträgen auf die KfW-Corona-Kreditprogramme leisten?

Die staatlichen Hilfsprogramme stehen nur den Unternehmen offen, deren Liquiditätsbedarf aus der Corona-Krise resultiert. Trittbrettfahrer, die schon zuvor in Schwierigkeiten waren, sollen nicht auf diesen Zug aufspringen. Deshalb stellt die KfW darauf ab, ob sich der Antragsteller vor dem Corona-Ausbruch – konkret: bis zum Jahresende 2019 – noch in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen befand. Hierauf reagierend, haben wir in kürzester Zeit und kostenlos für alle Unternehmen, die sich für den KfW-Sonderkredit interessieren, ein Dokument zum Abruf bereitgestellt, das eine Aussage dazu trifft, in welcher Verfassung sich das Unternehmen im Jahr 2019 befunden hat. Damit konnten die Antragsteller ihre Unterlagen auf einfache Weise vervollständigen und den Banken wurde der Prüfungsprozess erleichtert.

Bei dem später nachgeschobenen KfW-Schnellkredit 2020 wurde der Prüfungsprozess dann ja noch weiter vereinfacht …

Ja, und auch hierzu haben wir unseren Beitrag geleistet. Wir haben für die Kreditinstitute eine maßgeschneiderte Version unseres Kreditmanagementsystems CrefoSystem entwickelt, die genau auf die Anforderungen des KfW-Schnellkredits 2020 ausgerichtet ist und die die Kreditinstitute in die Lage versetzt, die Vielzahl der auf sie einprasselnden Anträge zügig und effizient zu bearbeiten.

Nun trägt die Inanspruchnahme eines staatlichen Hilfskredits nicht zur Verbesserung der Bilanzrelationen bei. Sie bewerten das trotzdem positiv?

In dieser akuten Situation kommt es vor allem darauf an, die Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Gelingt das, ist schon einmal das Vordringlichste erreicht. Gelingt das nicht, wird ein Unternehmen zur Gefahr für seine Gläubiger und Lieferanten. Kritischer beurteilen wir deshalb die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Wer de facto insolvent ist, sollte es auch de jure sein. Alles andere läuft auf eine Täuschung und in der Folge auf eine Schädigung der Geschäftspartner hinaus. Deshalb ist es gerade jetzt besonders wichtig, sich sehr genau über die finanzielle Verfassung seiner Kunden im Sinne eines fortlaufenden Monitorings zu informieren.

Sie plädieren also für gesteigerte Vorsicht im Geschäftsverkehr. Aber es ist auch ein ganz anderes Phänomen zu beobachten, nämlich eine gesteigerte Rücksichtnahme auf Geschäftspartner.

Gerade im B2B-Geschäft und bei dauerhaften Lieferbeziehungen beobachten wir vereinzelt eine kundenschonende Zurückhaltung. Sie kann in besonderen Fällen angebracht sein, aber sie darf nicht dazu führen, dass die Überschreitung von Zahlungszielen zur ständigen Übung wird und am Ende gar als Schuldnerrecht begriffen wird. Hier hat der Gesetzgeber leider missverständliche Signale gesetzt, indem er bei bestimmten Dauerschuldverhältnissen ein Zahlungsmoratorium möglich gemacht und die Kündigung von Mietverträgen wegen Zahlungsverzuges eingeschränkt hat. Derartige Lockerungen müssen in zeitlich engen Grenzen bleiben.

Registrieren Sie denn auch bei Verbrauchern eine Verlangsamung des Zahlungsverhaltens?

Im Verbraucherbereich sind unsere Zahlungseingänge im Inkasso unverändert. Schließlich hat sich die Einkommenssituation der meisten Menschen nicht oder nicht wesentlich geändert. Auch ist die Sparleistung in den letzten Monaten gestiegen, nachdem die Zukunftssorgen zugenommen haben und die Konsummöglichkeiten eingeschränkt waren. Das alles stützt – jedenfalls bisher – die Zahlungsfähigkeit vieler privater Haushalte.

Herr Ulbricht, wie lautet Ihr Resümee? Wohin hat uns diese Krise geführt?

Sehr einfach: Wir sind schlagartig aus einem ungewöhnlich risikoarmen Umfeld in eine Lage geraten, in der Risikoaversion überlebenswichtig wird. Das Kreditmanagement wird zur entscheidenden Funktion jedes Unternehmens. Wer seine Kreditrisiken nicht genau im Blick und sein Forderungsmanagement nicht bestens organisiert hat, geht schweren Zeiten entgegen. Gleichzeitig darf es nicht dazu führen, dass man aus lauter Vorsicht Geschäftschancen liegen lässt. Geboten ist also eine sorgfältige Abwägung zwischen den Risiken, die man eingehen darf, und den Risiken, die man vermeiden muss. Und das geht nur auf der Grundlage valider Daten und professioneller Systeme. 


Quelle: Magazin "Creditreform"
Interview: Christian Raschke



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