Wachstumschancen clever nutzen

Wenigstens ein Standortgesetz hat die Ampel vor ihrem Scheitern noch umgesetzt. Jetzt gilt es, die neuem Abschreibungsmöglichkeiten, Forschungszulagen und Verlustverrechnungen zu nutzen.

Steuern auf Unternehmensgewinne sind ein wichtiger Standortfaktor. „Doch leider hat sich die deutsche Politik jahrelang nicht dafür interessiert – die letzte größere Reform gab es 2008“, sagt Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des Münchner Ifo Instituts. Damals senkte die Bundesregierung den Steuersatz auf einbehaltene Unternehmensgewinne von 38 auf 30 Prozent. Dabei ist Deutschland stehengeblieben, während andere Länder ihre Unternehmenssteuern weiter kräftig gesenkt haben. 

Heute hat Deutschland den höchsten Unternehmenssteuersatz unter den G7-Staaten. Und den Beschäftigten geht es nicht besser: Laut einer aktuellen Studie der Industrieländerorganisation OECD liegt Deutschland bei den Einkommensteuern und Sozialabgaben auf Platz zwei von 38 Staaten. Nur in Belgien werden Arbeitseinkommen stärker belastet.

Trotz dieser „Spitzenplätze“ im negativen Sinn hat auch die Ampel-Regierung keine große Unternehmenssteuerreform umgesetzt. Immerhin brachte das bis November 2024 noch FDP-geführte Finanzministerium das sogenannte Wachstumschancengesetz durchs Parlament. Ohne deutliche Abstriche am Entlastungsvolumen haben Bundesrat und Vermittlungsausschuss das Paket allerdings nicht passieren lassen. Statt um 7 Milliarden Euro sinkt die Steuerlast für Unternehmen nur noch um 3,2 Milliarden Euro. 

Echte Entlastung sieht anders aus

„Weggefallen sind unter anderem die Klimaschutzinvestitionsprämie, Verbesserungen des Verlustrücktrags sowie Verbesserungen bei der Sonderabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter und beim Sammelposten“, bedauert Isabel Bauernschmitt, Steuerberaterin und Partnerin bei Rödl & Partner. „Mit den Restmaßnahmen kann das ursprüngliche Ziel des Gesetzes, Unternehmen zu entlasten und Investitionsanreize zu schaffen, nur noch unzureichend realisiert werden.“

Das Wachstumschancengesetz ergänzt die Wachstumsinitiative der Bundesregierung. Nach dem Ampel-Aus und ohne eigene Mehrheit im Parlament stecken die weiteren Maßnahmen allerdings in der Sackgasse. Dazu sagt Andreas Bolik, Steuerberater und Partner bei EY in Deutschland: „Zwar sind mehrere in der Wachstumsinitiative genannte Vorhaben mittlerweile im Gesetzgebungsverfahren, jedoch ist deren Umsetzung wohl ausgeschlossen.“ Einzig auf den Ausgleich der kalten Progression konnten sich die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und Union am 13. Dezember als Teil eines Minimalkompromisses verständigen. Kurzum: Verlässliche Anreize bietet aktuell nur das Wachstumschancengesetz (siehe Kasten unten).
Mit dem Wachstumschancengesetz soll die Liquiditätssituation der Betriebe verbessert werden. Zudem sollen Anreize gesetzt werden, damit Unternehmen dauerhaft mehr investieren und mutig Innovationen wagen können. Dies ist laut Bundesfinanzministerium „wichtig, um die Transformation der Wirtschaft erfolgreich zu gestalten sowie die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen“. Das Gesetz ist seit dem 28. März 2024 in Kraft. „Allerdings enthält es besondere Regelungen zur zeitlichen Anwendung der einzelnen Änderungen, die es zu beachten gilt“, sagt Jens Berberich, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner Tax bei KPMG Deutschland.

Hier geben die Steuerfachleute ihre Einschätzung zur Bedeutung einzelner Maßnahmen für mittelständische Unternehmen:

Degressive AfA und Sonderabschreibung für Wohngebäude

Die neuen Regelungen beschleunigen die Abschreibungen auf neue Wohngebäude im Betriebsvermögen erheblich. Einmal degressiv 5 Prozent vom Restbuchwert gegenüber 3 Prozent bei der linearen Abschreibung. Dann die Sonderabschreibung für neugebaute, bezahlbare Mietwohnungen in den ersten vier Jahren bis zu jährlich 5 Prozent. „Insgesamt ist in den ersten vier Jahren eine Abschreibung von – grob gerechnet – 40 Prozent möglich“, sagt Berberich. Beide Methoden seien ein Wahlrecht. Ein Antrag sei nicht erforderlich. Zu beachten sei jedoch, dass die Sonderabschreibung nur für Objekte gilt, die bestimmte Nachhaltigkeitsklassen erfüllen, die Baukostenobergrenzen einhalten und zehn Jahre zu Wohnzwecken vermietet werden.

Anhebung der Sonderabschreibung § 7g EStG

Wegen der Gewinngrenze von 200.000 Euro im Jahr vor der Investition zielt die Maßnahme vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Für sie ist die Anhebung von 20 auf 40 Prozent jedoch ein spürbarer Anstieg. Zudem kommt die reguläre Absetzung für Abnutzung (AfA) und der sogenannte Herabsetzungsbetrag noch obendrauf. „Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines begünstigten Wirtschaftsguts mit einer Nutzungsdauer von fünf Jahren können so im Jahr der Anschaffung oder Herstellung zu maximal 80 Prozent gewinnmindernd in Abzug gebracht werden“, sagt Berberich. Unternehmen können die Sonderabschreibung im fünfjährigen Begünstigungszeitraum beliebig verteilen und damit zielgenau in Gewinnjahren optimal nutzen. Umgekehrt bedeutet das: In Verlustjahren macht diese Regelung keinen Sinn.

Ausweitung des Verlustvortrags

Der Gesetzgeber hat die Prozentgrenze, bis zu der Verluste oberhalb von 1 Million Euro verrechnet werden dürfen, von 60 auf 70 Prozent angehoben. Diese Regelung gilt für den Zeitraum 2024 bis 2027. Ab 2028 greift wieder die 60-Prozent-Grenze. „Bei Vorliegen entsprechender Verlustvorträge mit gleichzeitigen Gewinnen in den Folgejahren kann die erhöhte Verlustverrechnung eine spürbare Entlastung für Unternehmen bringen“, resümiert Berberich.

Bauernschmitt betont, dass Unternehmen kurzfristig über mehr Liquidität verfügen, allerdings nur, sofern in den Jahren 2024 und 2025 genügend Gewinne erzielt werden, um die Verluste zu verrechnen. Gerate ein Unternehmen in diesem Zeitraum jedoch erneut in Schwierigkeiten und mache Verlust, berge die Regelung das Risiko, dass die Verbesserung der Verlustverrechnung in der Praxis keinen Nutzen bringt.

Ausweitung der Forschungszulage

Weil die Bemessungsgrundlage für förderfähige Aufwendungen von 4 auf 10 Millionen Euro erhöht wurde, steigt die maximal mögliche Forschungszulage für Unternehmen von 1 auf 2,5 Millionen Euro. Voraussetzung ist, dass die Aufwendungen nach dem 27. März 2024 entstanden sind.  Außerdem wurden die Liste der förderfähigen Aufwendungen erweitert, die Forschungszulage für KMU von 25 auf 35 Prozent angehoben sowie die Berücksichtigung der Forschungszulage bereits im Vorauszahlungsverfahren für die Einkommen-/Körperschaftsteuer ermöglicht. Das bringt Unternehmen Liquiditätsvorteile.  Zu beachten ist allerdings das zweistufige Antragsverfahren: Unternehmen müssen erst die sogenannte FuE-Bescheinigung bei der Bescheinigungsstelle Forschungszulage beantragen – und danach einen Antrag auf Forschungszulage beim für sie zuständigen Finanzamt stellen. Laut Berberich müsse ein Unternehmen damit in der Regel in Vorleistung gehen, was ein gewisses Risiko berge, da es nicht wisse, ob das Finanzamt die Zulage genehmige. Er sieht darin einen Grund dafür, dass bisher längst nicht alle Unternehmen die Vorteile der Forschungszulage nutzen. Diese sei jetzt aber „ein attraktives Förderungsinstrument“. Wichtig ist, dass Unternehmen das jeweilige Forschungsvorhaben korrekt aufsetzen, beschreiben und die anfallenden Aufwendungen den Anforderungen entsprechend dokumentieren.

Einführung der E-Rechnung

Laut Wachstumschancengesetz ist seit dem Jahresbeginn 2025 der Empfang von elektronischen Rechnungen im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen Pflicht. Für Leistungserbringer gelten grundsätzlich diverse Übergangsregelungen für den Zeitraum 2025 bis 2027. Rechnungsempfänger müssen hingegen ab 1.1.2025 empfangsbereit sein – ohne Übergangsregelung. Steuerfachmann Berberich hält die Maßnahme „im Hinblick auf die dringend erforderliche Digitalisierung grundsätzlich für sinnvoll“. Die E-Rechnung könne zu einer schnelleren und effizienteren Abwicklung von Rechnungen, einer höheren Genauigkeit und einer Reduzierung von formalem Aufwand beitragen. Unternehmen dürften die erforderlichen Implementierungsprozesse aber nicht unterschätzen. „Das ist ein komplexes Unterfangen“, sagt Berberich. Aktuell empfange erst die Hälfte der deutschen Unternehmen E-Rechnungen, sagte er mit Verweis auf eine Mitteilung des Digitalverbands Bitkom von Anfang Dezember. 

Fazit: Wer profitieren will, braucht Fachleute

Von einer großen Unternehmenssteuerreform, wie sie zum Beispiel der Wirtschaftswissenschafter Fuest anmahnt, ist das Wachstumschancengesetz weit entfernt. Fuest hatte das Gesetz in der Presse bereits kurz vor Inkraftsetzung als „Homöopathie“ bezeichnet und mahnt aktuell eine Wachstumsagenda an. Auch EY-Partner Bolik moniert, dass das Wachstumschancengesetz nicht die ursprüngliche Hoffnung auf eine Entlastung von rund 7 Milliarden Euro erfülle. Die Bundesländer hätten im laufenden Gesetzgebungsverfahren Bedenken gehabt, dass sie sowie die Gemeinden den Großteil der angedachten Steuerausfälle hätten schultern müssen. Dennoch sieht er auch Chancen: „Wegen seiner großen Breitenwirkung für Unternehmen stellt das Wachstumschancengesetz das wohl wichtigste Steuergesetz der letzten Jahre dar.“ Jetzt komme es darauf an, dass die Unternehmen die beschlossenen Maßnahmen umsetzen – ohne Steuerfachleute dürfte das schwierig werden, denn auch das Wachstumschancengesetz ergeht sich in viel Klein-Klein.  

Wichtige Maßnahmen des Wachstumschancengesetzes

  • Einführung einer zeitlich befristeten degressiven Absetzung für Abnutzung (AfA) für neue Wohngebäude in Höhe von 5 Prozent
  • Anhebung der Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG von 20 auf 40 Prozent für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nach dem  31. Dezember 2023 angeschafft oder hergestellt werden
  • Anhebung des Verlustvortrags auf 70 Prozent (ohne Gewerbesteuer), befristet auf vier Jahre
  • Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung
  • Einführung der verpflichtenden Verwendung von elektronischen Rechnungen für Umsätze zwischen inländischen Unternehmen ab dem 1. Januar 2025
     

Quelle: Bundesfinanzministerium  

Diese Tipps geben die Fachleute

  • Isabel Bauernschmitt, Steuerberaterin und Partnerin bei Rödl & Partner:
    Unternehmer sollten mit ihren Steuerberatern prüfen, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt die erweiterten Abschreibungsmöglichkeiten optimal genutzt werden können. Die zeitliche Verteilung des Abschreibungsvolumens sollte an die erwartete Gewinnentwicklung des Unternehmens angepasst werden. Besonders relevant ist hierbei die Sonderabschreibung, die speziell KMU mit einem Vorjahresgewinn von maximal 200.000 Euro zur Verfügung steht. Durch das Wachstumschancengesetz wurde die Sonderabschreibung von bisher 20 Prozent auf 40 Prozent der voraussichtlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten erhöht. Diese kann flexibel verteilt werden.
     
  • Andreas Bolik, Steuerberater und Partner bei EY in Deutschland:
    Eine Herausforderung ist die Einführung der E-Rechnung im inländischen B2B-Bereich. Unternehmen müssen sich entscheiden, ob sie auf die Lösung eines externen Anbieters zurückgreifen, in eine eigene Software investieren oder bestehende ERP-Systeme anpassen, um den neuen Anforderungen zu entsprechen. Sie sollten außerdem steuerlich relevante Daten aktiv managen und auf dieser Basis den Automatisierungsgrad von Entscheidungen steigern. Das setzt sowohl ein tiefgreifendes technisches Wissen als auch detaillierte Kenntnisse der steuerrechtlichen Vorschriften voraus. Im EU-Geschäftsverkehr ist die obligatorische E-Rechnung in Arbeit.  
     
  • Jens Berberich, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner Tax bei KPMG Deutschland:
    Mit Blick auf die Ausweitung der Forschungszulage lohnt eine Analyse, welche Projekte im Unternehmen darunterfallen könnten, die man nicht auf den ersten Blick als FuE-Vorhaben erkennt. Dazu ist in der Regel der Einbezug externer Berater sinnvoll, da die rechtlichen Anforderungen sehr komplex sind. Wichtig ist, den Auszahlungsmechanismus zu beachten: Die Festsetzung beziehungsweise Auszahlung der Zulage erfolgt mit der nächsten Einkommen- beziehungsweise Körperschaftsteuerfestsetzung. Damit einher geht eine gewisse Planung bei Unternehmen, um nicht länger als nötig auf die Auszahlung der Fördermittel warten zu müssen.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Terliesner
Bildnachweis: Getty Images