Tanja Könemann [00:00:00] Von einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis kann man in den Chefetagen deutscher Unternehmen wohl noch nicht sprechen. Und doch gibt es heute mehr Frauen in Führungsetagen als noch vor ein paar Jahren. Die Creditreform Wirtschaftsforschung hat die Management und Geschäftsführungsstruktur mittelständischer Unternehmen untersucht und herausgefunden: Rund 23 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland werden von einer Frau geführt. Mein heutiger Gast ist die Vorständin eines Unternehmens, in dem weibliche Führungskräfte lange Zeit die Ausnahme waren. Doch die Zeiten ändern sich. Immer mehr Frauen steigen in Führungspositionen auf. Wie dieser Wandel gelungen ist und was sie anderen Frauen in Karrierefragen mit auf den Weg geben kann, hören Sie jetzt.
Jingle [00:00:50] Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten der Creditreform Podcast.
Tanja Könemann [00:00:59] Mein Name ist Tanja Könemann und ich begrüße bei mir Sina Rintelmann. Vorständin Schaden und Kredit/Kaution bei der VHV Allgemeine Versicherung. Herzlich willkommen, Frau Rintelmann.
Sina Rintelmann [00:01:11] Ja, schönen guten Tag. Vielen Dank für die Einladung. Hallo Frau Könemann.
Tanja Könemann [00:01:15] Frau Rintelmann, in Ihren Worten: Was ist das Besondere an Ihrem beruflichen Werdegang?
Sina Rintelmann [00:01:22] Das Besondere an meinem Werdegang? Ich glaube, das Besondere ist, dass ich ein Eingewächs bin der VHV-Gruppe. Ich bin seit guten zwölf Jahren hier in der VHV und habe hier vor vielen Jahren als Praktikantin angefangen, damals noch mit einem befristeten Arbeitsvertrag nach Abschluss meines Jurastudiums. Und ich glaube, was vielleicht ein bisschen ungewöhnlich ist, dass es mir in relativ kurzer Zeit gelungen ist, über verschiedene Stationen hier im Unternehmen den Weg in den Vorstand zu schaffen. Und mit 36 Jahren bin ich in den Vorstand berufen worden und habe dann mit 37 das Amt angetreten. Das war früh und freut mich natürlich sehr, dass man mir das zugetraut hat und mir, ja, diesen Weg ermöglicht hat. Und darauf bin ich auch ein bisschen stolz.
Tanja Könemann [00:02:16] Wow. Von der Praktikantin zur Vorständin. In wie viel Jahren?
Sina Rintelmann [00:02:21] In zehn.
Tanja Könemann [00:02:23] Das klingt wirklich sehr beeindruckend und besonders. Haben Sie das auch so empfunden? Also haben Sie irgendwann auf diesem Weg von der Praktikantin bis zu Vorständin gedacht: Das ist ja ganz großartig, was hier passiert. Und falls ja, das wird mich sehr interessieren, wann haben Sie das gedacht?
Sina Rintelmann [00:02:42] Ähm, ja, das war wirlich... Also das das ganz großartig ist, das finde ich immer noch. Und am Ende: Man hat das natürlich im Hinterkopf, wenn man zielstrebig ist. Ich hatte für mich immer das Ziel, voranzukommen und hab mir immer kleine Etappenziele gesetzt, die ich erreichen wollte. Ich wollte immer ein bisschen mehr schaffen, ich wollte immer mehr Verantwortung übernehmen. Aber dass es dann so schnell geht und man mir in so jungen Jahren das zutraut und auch diese Aufgabe zukommen lässt, das hat mich dann doch überrascht und hat mich aber einfach gefreut.
Tanja Könemann [00:03:20] Ich frage mich, ob das auch an den Möglichkeiten im Unternehmen selbst liegt. Mögen Sie jetzt ein bisschen über die interne Karriereentwicklung bei der VHV erzählen?
Sina Rintelmann [00:03:31] Ich glaube schon, dass das etwas damit zu tun hat. Wenn man sich bei uns im Unternehmen umguckt, dann merkt man sehr, sehr schnell, dass wir viele unserer Positionen und auch unserer Führungspositionen - sowohl auf der Führungsebene eins als auch auf der Führungsebene zwei - aber auch bei uns im Vorstand aus internen Kolleginnen und Kollegen rekrutiert haben. So ist beispielsweise bei uns die Quote derjenigen, die Führungskräfte sind: also 77 Prozent unserer Führungskräfte sind mit internen Kolleginnen und Kollegen besetzt worden. Und ich glaube, das ist ein sehr deutliches Zeichen, dass wir auf interne Talente setzen und die auch gezielt fördern. So sind zum Beispiel vier meiner Vorstandskollegen auch früher Vorstandsassistenten gewesen und haben hier den Vorstand damals noch begleitet und haben jetzt den Weg dann nach einigen Jahren auch in den Vorstand geschafft. Und es ist eine bewusste Entscheidung des Hauses, die ich auch gut finde, dass man sagt: Wir wollen interne Talente fördern, wir wollen intern Kolleginnen und Kollegen die Chance geben, sich weiterzuentwickeln, sich zu beweisen, auch diese Kultur, die wir haben, quasi fortzusetzen. Und das ist ja ein schönes Zeichen. Und dass man nur schaut, dass man sukzessive hier und da natürlich externe Impulse und Externe dazu nimmt, aber eben die Basis unsere internen Kolleginnen und Kollegen sind.
Tanja Könemann [00:04:52] Das sind ja ganz großartige Chancen. Aber wir reden jetzt von Chancen, die gleichermaßen für Männer und Frauen gelten. Gibt es denn spezielle Frauenförderprogramme bei Ihnen im Unternehmen?
Sina Rintelmann [00:05:04] Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, ein Frauenförderprogramm aufzulegen, was gezielt auf Frauen zielt. Warum? Und da muss ich sagen, bin ich als Frau im Vorstand, habe da auch die Initiative ergriffen, dass ich gesagt habe: Ich finde das ist kein gutes Zeichen. Weil das Zeichen dann ist, dass Frauen spezielle Förderung brauchen und man dann mehr oder weniger einen Makel kriegt, dass man etwas Besonderes braucht. Und von daher war es mir wichtig, oder es ist uns allen wichtig, dass wir Förderprogramme haben, die sich erst einmal geschlechterneutral an alle richten. Und dass man dann sukzessive darauf aufsetzen kann und schaut, welche individuelle Förderung braucht der Einzelne, die Einzelne? Und so ist es natürlich - und das merke ich auch aus Gesprächen mit Kollegen hier - dass vielleicht die Frauen an der einen oder anderen Stelle nicht das Selbstbewusstsein haben, vielleicht sich Dinge nicht zutrauen, an der einen oder anderen Stelle zu selbstkritisch sind. Und auf diese individuellen Bedürfnisse einzugehen, beispielsweise im Rahmen eines Coachings oder einer engen Begleitung, halte ich für viel zielführender, als ganze Frauenförderprogramme anzulegen. Von daher ist unsere Devise immer, Männer und Frauen zu fördern und gleichermaßen auf der anderen Seite aber dafür zu sorgen, dass Frauen auch bewusst in Führungspositionen kommen. So haben wir beispielsweise in den letzten Jahren den Anteil der Frauen in den Führungspositionen deutlich erhöht. Und beispielsweise auch die Anzahl der Vorstandsassistentinnen ist deutlich hochgegangen. Und all dies, weil wir glauben, dass das gut ist und nicht, weil wir eine Quote haben, der wir nacheilen. Denn bei uns gibt es keine Frauenquote, sondern wir tun das einfach, weil wir davon überzeugt sind, dass das eine gute Sache ist.
Tanja Könemann [00:06:59] Lässt sich das denn auch in den Arbeitsergebnissen sehen? Also sind die Arbeitsergebnisse besser geworden? Was macht der Einfluss von mehr Frauen in der Führung, im Unternehmen überhaupt aus?
Sina Rintelmann [00:07:12] Ich glaube, es ist schwer messbar. Es wird keine Messgrößen geben, die einem bestätigen, dass die Arbeitsergebnisse am Ende besser sind. Oder man kann schwer den Beweis antreten. Was ich aber glaube und sehe und da bin ich fest von überzeugt, ist, dass Frauen andere Impulse in eine Diskussion einbringen. Dass Frauen anders auf Themen blicken. Und ich sage auch bewusst nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders. Frauen kommunizieren an. Frauen nehmen Themen anders wahr und ich glaube, dass ist sehr bereichernd, diese unterschiedliche Sichtweise auf Probleme, auf Themen. Das regt eine Diskussion beispielsweise auch bei uns im Vorstand oder auch im Gesamtunternehmen positiv an, weil diese Diversität, diese unterschiedlichen Sichten sind eigentlich das, was bereichernd ist. Weil am Ende sind wir Menschen ja auch nicht alle gleich. Und deswegen ist es auch wichtig, dass die Führung und das, was von der Geschäftsleitung vorgegeben wird, auch möglichst viele Facetten berücksichtigt. Und diese bunte Mischung, die machts am Ende aus. Und wenn man so sagen will: Ja, unterm Strich ist es dann besser, weil es diverser, weil es bunter ist.
Tanja Könemann [00:08:29] Das klingt ja nach einem sehr erstrebenswerten Wandel. Sie haben ja gerade schon von den Förderprogrammen in die Chefetage gesprochen. Gibt es noch andere Faktoren im Unternehmen, Warum dieser Wandel gelingt bei Ihnen?
Sina Rintelmann [00:08:44] Am Ende sind es neben diesen Förderprogrammen natürlich auch viele Rahmenbedingungen, die man schaffen muss, damit so etwas gelingt. Um mal ein Beispiel zu nennen: Wir haben die die Arbeitszeiten sehr flexibel gestaltet. Das war früher in der Versicherungsbranche, einer sehr traditionellen, konservativen Branche nach wie vor, und natürlich auch mit bestimmten Servicezeiten, immer schwierig, die Arbeitszeiten auszuweiten. Das haben wir sehr frühzeitig gemacht, dass wir flexible Arbeitszeiten angeboten haben, dass man beispielsweise bis 22:00 Uhr auch arbeiten kann oder auch schon weit vor 7:00 Uhr. Das bietet die Möglichkeit, auch Themen wie Familie und Beruf besser miteinander in Einklang zu bringen. Und ja, Homeoffice oder Tele-Heimarbeits-Modelle anbieten - die es ermöglichen teilweise bis zu vier Tage die Woche auch außerhalb von der VHV zu arbeiten. Und das sind glaube ich ganz wichtige Faktoren, die es braucht, damit es auch gelingt, in den Chefetagen weiblicher zu werden. Und was immer auch ein Thema ist beim Thema Führen, sind natürlich solche Fragen wie Führen in Teilzeit. Das ist bei uns an der einen oder anderen Stelle schon der Fall und ich glaube, das muss weiter ausgebaut werden und da tun wir gut daran, das weiter zu ermöglichen. Weil wir sehen, dass es unseren Frauen, die das aktuell machen, sehr, sehr gut gelingt und die Arbeitsergebnisse keineswegs darunter leiden und die Mitarbeiter auch entsprechend sehr zufrieden damit sind. Von daher sollten wir das weiter ausbauen.
Tanja Könemann [00:10:21] Welche Tipps würden Sie denn Frauen in ähnlichen Situationen geben? Wenn ich mir als Frau vornehme, ich möchte eine Führungsposition irgendwann haben, was mache ich dann am besten?
Sina Rintelmann [00:10:35] Zunächst einmal klar kommunizieren, dass Sie das möchten. Weil die Erfahrung zeigt, dass Frauen immer noch glauben, es wird alleine klappen, indem man einfach einen guten Job macht und indem man einfach fleißig ist. Und dann wird schon einer auf einen aufmerksam. Da kann ich bestätigen: So ist es nicht. Am Ende gilt. Ja, fleißig sein, gute Arbeit abliefern, die berühmte Extrameile gehen - das erhöht die Chancen, nach oben zu kommen, ungemein. Aber es braucht darüber hinaus ein gutes Netzwerk. Es braucht darüber hinaus den Mut, auch zu kommunizieren, dass man bereit ist, den nächsten Schritt zu gehen. Dass man offen ist für neue Aufgaben und dass man sich das zutraut. Und dass man eben seine Selbstkritik, also zu sagen, "Ich kann das alles nicht", beiseite legt und stattessen sagt. "Ich kann das vielleicht nicht, aber meine männlichen Kollegen können das im Zweifel auch nicht." Und zu sagen. "Ich mach das jetzt einfach und zieh das durch." Das ist meine Lesson learned, und ich glaube, das sollte man tun, die Frauen darin zu bestärken, zu sagen: Glaubt an euch. Die anderen kochen auch nur mit Wasser und ja, geht Euren Weg und versucht es. Das kann ich jeder Frau nur ans Herz legen und dann entsprechend die Chancen, die sich auftun, zu ergreifen. Und natürlich kann man das nie beeinflussen. Und am Ende muss man auch das Quäntchen Glück haben, dass da die richtige Position kommt. Aber ich glaube, das, was ich gerade gesagt habe: Man kann selbst viel daran tun, in dem man selbstsicher ist, in dem man sich Dinge zutraut, indem man vorangeht und auf sich aufmerksam macht. Da kann man schon mal viel, viel selbst dazu beigetragen, dass das in die richtige Richtung geht.
Tanja Könemann [00:12:22] Also mutig vorangehen und die anderen kochen auch nur mit Wasser. Sagt Sina Rintelmann. Herzlichen Dank für das Gespräch.
Sina Rintelmann [00:12:30] Gern. Tschüs!
Tanja Könemann [00:12:32] Und auch an unsere Zuhörerinnen und Zuhörer ein ganz herzliches Dankeschön - und bis zum nächsten Mal bei Gute Geschäfte.
Jingle [00:12:39] Gute Geschäfte, Businesswissen in zehn Minuten Der Creditreform Podcast.