„Angst-Sparen“ gegen die Schuldenfalle
Der Blick hinter die Kulissen der aktuell guten Überschuldungslage in Deutschland 2024 zeigt, warum es noch einmal zu einer (leicht) positiven Entwicklung gekommen ist. Dabei ist zu beachten, dass die Zahlen zur Überschuldung ein nachlaufender Indikator sind.
Die Ursachen, die sich gesamtwirtschaftlich im Hintergrund des Überschuldungsgeschehens zeigen, machen sich erst nach einer gewissen Zeit bemerkbar. Ein Phänomen, das ähnlich bei der Entwicklung von Unternehmensinsolvenzen zu beobachten ist, bei dem die Krisen durch den Corona-Lockdown und die Energieknappheit erst in diesem Jahr zu markant steigenden Zahlen führten.
Alles wird teurer
Hinzu kommt, dass sich angesichts von Schwierigkeiten sowohl Unternehmen als auch Konsumenten auf diese einstellen. Die Verbraucher sahen sich gezwungen, ihre Konsumausgaben zu reduzieren. Zum einen ist das den stark gestiegenen Preisen zu verdanken, zum anderen aber wurden der Konsum zurückgestellt und die Ausgaben freiwillig reduziert. Das GfK-Konsumbarometer markierte immer wieder neue Tiefststände. Im Hinblick auf die Gesamtkonjunktur geriet der private Konsum immer mehr in den Fokus, erhoffte man sich doch durch ihn eine gewisse Kompensation für den Export von Industriegütern. Hochrechnungen für die Höhe der Konsumausgaben 2024 ergeben ein Minus von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Jahr nach Corona (2022) waren sie noch um fast 13 Prozent gestiegen – dies nicht zuletzt im Zeichen der höheren verfügbaren Einkommen. Wegen der Inflation war es nicht nur bei den Preisen, sondern auch bei den Löhnen und Gehältern zu deutlichen Steigerungen gekommen. Diese betrugen im Jahr 2022 ein Plus von knapp 8 Prozent. 2024 sind die Einkommen aber nur noch um 1,8 Prozent für das Gesamtjahr gestiegen. Dabei sind die Steigerungen bei den Ausgaben zusammen mit den bisher nicht gesehenen Inflationsraten zu bringen. Die Verbraucherpreise waren 2022 um knapp 7 und nach 2023 um knapp 6 Prozent gestiegen. Die Inflationsrate markierte einen zweistelligen Wert – bis die Europäische Zentralbank gegensteuerte.
Der Verbrauch kommt nicht in Bewegung, obwohl die Löhne gestiegen waren. Es ist davon auszugehen, dass sich angesichts schlagzeilenträchtiger Entlassungen in der Industrie Furcht breitmacht, was die eigene finanzielle Lage angeht. Die Rede ist vom „Angstsparen“. So zeigen sowohl die Zahlen zu den Sparguthaben – als auch die Sparquote – am aktuellen Rand 2024 deutliche Zugänge. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Sparquote um 2,1 Prozentpunkte auf 12,5 Prozent des Einkommens erhöht. Nur im ersten Jahr des Lockdowns (2020) war die Sparquote höher. Angesichts der Pandemie lag sie bei 15,9 Prozent. Eine Hochrechnung für 2024 für die gesamten Sparguthaben in Deutschland ergibt fast 307 Mrd. Euro – 2023 waren es noch gut 256 Mrd. Euro. Auch hier gab es einen Höchststand im Corona-Jahr 2020 mit 332 Mrd. Euro Guthaben auf der hohen Kante.
Sparen in der Not
Aufschlussreich ist es, diese Zahlen den Angaben zum Schuldenvolumen gegenüberzustellen. So hat sich das volkswirtschaftliche Gesamtvolumen der Schulden in den letzten Jahren einhergehend mit den Überschuldungszahlen verringert. 2024 beträgt es 174 Mrd. Euro – ein weiterer Rückgang auch gegenüber 2023 mit 178 Mrd. Euro. Einen Höchststand registrierte das Gesamtschuldenvolumen 2020 mit 200 Mrd. Euro. Das mittlere individuelle Schuldenniveau beträgt 2024 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 31.300 Euro. Dies ist ein leichter Rückgang gegenüber 2023 mit 31.600 Euro und insgesamt eine Zunahme gegenüber dem Vorkrisenjahr 2019 mit 28.200 Euro. Noch 2006 lag das durchschnittliche Schuldenvolumen bei 36.900 Euro – also ein Rückgang zum aktuellen Wert um rund 15 Prozent. Dabei ist der Wert für das Schuldenvolumen nicht nur im Durchschnitt zu sehen, sondern etwa auch im Hinblick auf die Altersstufen. Die Unterschiede fallen markant aus: Während die über 70-Jährigen 2024 im Durchschnitt mit 57.000 Euro bei der Überschuldung in der Kreide stehen, sind es bei den unter 25-Jährigen nur 4.400 Euro. Es wundert nicht, dass die Misere für Rentner im Hinblick auf ein Ende der Überschuldung sehr viel ausgeprägter ist. Dies ist nicht nur der Fall, weil kaum Einkommensmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sondern eben auch wegen der Höhe des Schuldenbergs. Bemerkenswert bleibt aber auch, dass die Höhe der Sparguthaben die der Schulden mit 307 Mrd. Euro gegenüber 174 Mrd. deutlich übersteigt.
… und dann noch arbeitslos
Bei den Gründen für Überschuldung spielt die Arbeitslosigkeit eine große Rolle. In vielen Untersuchungen steht sie an erster Stelle, wobei immer zu beachten ist, dass meist eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe als Auslöser zusammenkommen. Nun zeigt sich bei den Untersuchungen zum aktuellen Arbeitsmarkt, dass sich Deutschland wohl von den guten Zeiten eines stabilen Arbeitsmarktes mehr und mehr verabschiedet. Zum Herbst 2024 sind rund drei Millionen Arbeitslose zu zählen. Die letzten verfügbaren Zahlen vom September 2024 zeigen eine Zunahme bei den Langzeitarbeitslosen um 6,3 Prozent, bei den Kurzarbeitern um gut 40 Prozent und bei der Unterbeschäftigung um 4 Prozent. Zum ersten Mal ist bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ein Minus hinzunehmen: Im März 2024 waren es minus 0,1 Prozent. Diese Zahlen sind noch nicht dramatisch, es wäre eher verwunderlich, wenn die Beschäftigung angesichts der aktuellen Produktionsprobleme in der Industrie weiter steigen würde. Auf der anderen Seite bleibt der Arbeitsmarkt durch den Fachkräftemangel und das Ausscheiden älterer Arbeitnehmer noch solide.
Nicht nur die Zahlen zum Arbeitsmarkt, sondern auch die zur Überschuldungsentwicklung machen deutlich, wie sich die Krise langsam aber spürbar in Deutschland bemerkbar macht. Es ist höchste Zeit gegenzusteuern, um die Entwicklung, die sich bisher ja nur andeutet, aufzuhalten.
Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Destatis, GfK