Arbeitsmoral adé: Wie fleißig sind die Deutschen?

Wie fleißig sind die Deutschen? Darüber diskutiert Marie-Christine Ostermann von Rullko Großeinkauf und Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ mit Fabian Kienbaum von der gleichnamigen Unternehmensberatung in unserem aktuellen Podcast.

Marie-Christine Ostermann, Geschäftsführerin von Rullko Großeinkauf und Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ im Streitgespräch mit Fabian Kienbaum von der gleichnamigen Unternehmensberatung.

Lesen statt hören: Podcast Special "Die Streitfrage" zum Nachlesen

Marie-Christine Ostermann [00:00:00] Wir haben sehr motivierte Mitarbeitende, aber es gibt einfach zu viele Hürden, die Arbeit in Deutschland schwerer machen.

Fabian Kienbaum [00:00:10] Ich wette, dass in Unternehmen, in denen Menschen als Menschen auch gesehen werden, Krankheitsstände am Ende niedriger sind als in solchen Unternehmen, wo vielleicht eine Kultur vorherrscht, die Menschen als Ressourcen betrachtet, wo man gar nicht das Gefühl hat, dass man irgendwie einen Beitrag leisten kann.

Jingle [00:00:33] Gute Geschäfte, die Streitfrage. Wohin steuert der deutsche Mittelstand? Eine Podcast-Reihe von Creditreform.

Tanja Könemann [00:00:48] Mein Name ist Tanja Könemann und ich begrüße Sie ganz herzlich zu einer neuen Folge von Gute Geschäfte, die Streitfrage von Creditreform. Unsere Frage lautet heute: Wie steht es um Leistung, Disziplin und Arbeitsmoral hierzulande? Oder kurz gesagt: Wie fleißig sind die Deutschen? Zu Gast ist bei mir heute Marie-Christine Ostermann, Chefin von Rullko Großeinkauf und Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer. Hallo Marie, herzlich willkommen! Schön, dass du heute hier bist.

Marie-Christine Ostermann [00:01:17] Hallo Tanja, ich freue mich auch.

Fabian Kienbaum [00:01:19] Und zugeschaltet ist uns auch Fabian Kienbaum von der gleichnamigen Unternehmensberatung. Hallo Fabian, schön, dass auch du bei uns bist.

Fabian Kienbaum [00:01:28] Hallo Tanja. Schön, dass ich hier sein darf.

Tanja Könemann [00:01:30] Herzlich willkommen! Ja, wir haben ein straffes Programm vor uns. Wir sprechen darüber, welche Arbeitskräfte der Mittelstand braucht und wie viele. Und wir sprechen auch darüber, was Arbeitnehmer in unterschiedlichen Lebensphasen und Lebenssituationen benötigen. Außerdem zeigen wir, was zu Arbeit befähigt, was motiviert und wie Arbeiten effizienter wird. Zum Ende fassen wir alles kurz und knapp zusammen mit Tipps und Handlungsempfehlungen für den Mittelstand und die Politik. Zunächst werfen wir einen Blick auf den Arbeitsmarkt. Marie, meine erste Frage geht an dich: Seitens der Konzerne dominiert das Thema Stellenabbau. Wir haben SAP, Volkswagen, Continental, Audi, die Deutsche Bank und viele mehr.  Wenn wir alle zusammenrechnen, gehen in Deutschland Zehntausende Jobs verloren. Wie sieht es aus im Mittelstand bzw. bei den Familienunternehmen?

Marie-Christine Ostermann [00:02:21] Auch die Familienunternehmer sind in einer schlechten Lage. Laut unserer Quartalsumfrage ist die Lage so schlecht wie noch nie. Und rund die Hälfte aller Familienunternehmer in Deutschland will aktuell gar nicht mehr am Standort Deutschland investieren. Und auch neue Arbeitsplätze werden kaum noch geschaffen. Es gibt noch nicht so viele Entlassungen. Viele Familienunternehmen halten fest an ihren Mitarbeitenden. Denn wir haben ja auch einen hohen Fachkräftemangel in Deutschland. Aber es gibt auch immer mehr Unternehmensinsolvenzen. Also die Lage ist insgesamt sehr düster.

Tanja Könemann [00:02:52] Marie, beim Industriegipfel des Wirtschaftsministeriums Ende November hat die IG Metall den Unternehmen vorgeworfen, mit Stellenabbau und Druck auf Löhne und Gehälter Renditen zu sichern, statt in die Produkte von morgen zu investieren. Marie als Präsidentin der Familienunternehmer warst du nicht eingeladen. Möchtest du Jürgen Kerner, das ist der IG Metall Chef, hier im Podcast etwas zu dem Vorwurf sagen?

Marie-Christine Ostermann [00:03:16] Na ja, wir waren bei einem anderen Wirtschaftsgipfel eingeladen. Denn die Wirtschaft besteht auch nicht nur allein aus Industrie oder Automobilindustrie, sondern da gibt es auch Handel und Dienstleistungen. Und gerade wir, der Mittelstand, gehören dazu, zu den anderen 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes abgesehen von der Industrie. Und ja, es ist natürlich wichtig, dass Investitionen sich am Standort Deutschland rechnen. Das ist aktuell nicht mehr der Fall. Wir sind in allen Rankings, was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft, ganz hinten im zweiten Jahr der Rezession. Und die Krise ist hausgemacht. Wir brauchen Kostensenkungen, und zwar ganzheitlich, zum Beispiel bei Steuern, bei Abgaben. Die Bürokratie ist extrem hoch und auch die Unberechenbarkeit der Wirtschaftspolitik ist ein Grund, warum hier aktuell nicht investiert wird. Wir brauchen also ganzheitliche Strukturreformen, um die Standortnachteile zu beheben. Und dann würden auch private Investoren in allen Branchen und Bereichen in Deutschland wieder hier vor Ort auch investieren und Wachstum anregen können.

Tanja Könemann [00:04:15] Ich würde gerne noch mal zurückgehen, ein bisschen näher an die Frage nach der Einstellung hierzulande. Fabian, früher haben wir ganz viel über Vier-Tage-Woche gesprochen und wie sich Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber positionieren können. Und jetzt auf einmal werden so viele Leute entlassen. Was sind denn die wichtigsten Themen aktuell bei dir in der Beratung?

Fabian Kienbaum [00:04:37] Unternehmen suchen an verschiedenen Stellen qualifizierte Arbeitskräfte. Und viele Konzerne entlassen an anderen Stellen qualifizierte Arbeitskräfte. Und ich glaube, da müssen wir den Arbeitsmarkt noch mal ganz anders flexibilisieren in Bezug auf das Thema Qualifizierung. Das ist ein Riesenthema, über das wir auch schon sehr, sehr lange reden. Andere Stichworte sind Reskilling, Upskilling, Umschulung. Es gibt noch zu wenig, glaube ich, wirklich Vorzeigeprojekte, die auch diese Machbarkeit unterstellen. Denn der einfache Reflex, natürlich, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Menschen zu entlassen, ist das eine. Aber die Folgekosten, die entstehen, die sind ja häufig gar nicht eingepreist. Und es gibt eine tolle Initiative, die möchte ich hier gerne einmal nennen für alle Zuhörerinnen und Zuhörer. Das ist diese sogenannte Allianz der Chancen. Ich weiß nicht, ob ihr das vor Augen habt. Das ist eine tolle Initiative, wo es insbesondere auch um die Frage geht: Wie kann man Fachkräfte wirklich in Umschulungen bringen? Und jetzt, gerade weil wir über die Automobilindustrie gesprochen haben, Continental ist Teil davon, um wirklich zu überlegen, wie kann man beispielsweise aus einem Schlosser, der vielleicht nicht mehr gebraucht wird - oder viele Menschen, die auch mit dem Verbrennermotor zu tun haben - wie kann man die denn eigentlich auch abhängig von natürlich ihrer Lebensphase in neue Berufe hineinbringen? Und da sind sehr sehr tolle Beispiele schon genannt und das müssen wir pushen und das ist ein Riesenthema. Dass Unternehmen anders mit ihren Belegschaften, mit ihren Kernbelegschaften umgehen, weil natürlich das Suchen und Finden herausfordernd geworden ist. Zu schauen, wie können wir eigentlich die Qualifikation, die Loyalität, die wir heute haben, wie können wir das ummünzen und nach vorne raus, daraus wieder einen Wettbewerbsvorteil gewinnen?

Tanja Könemann [00:06:20] Noch mal zurück zur Eingangsfrage, ob wir ein Leistungsproblem haben. Leistung heißt natürlich auch - Fabian, das was du gesagt hast - ich bin bereit, mich zu verändern. Das ist ja auch ein Teil der Anforderungen, um die es aktuell geht. Marie, wie ist der Eindruck bei euch bei Rulko? Ist da eine Bereitschaft vorhanden, sich fortzubilden in neuen Technologien, Digitalisierung, KI? Hast du den Eindruck, die Leute wollen arbeiten und die wollen auch das tun, was notwendig ist?

Marie-Christine Ostermann [00:06:51] Ja, den Eindruck habe ich absolut. Wir haben sehr motivierte Mitarbeitende. Wir haben auch sehr, sehr viele Auszubildende, haben die Anzahl der Ausbildungsplätze verdoppelt. Und wir benutzen KI auch im Rahmen der Ausbildung, um für den Prüfungsstoff vor der IHK für die Abschlussprüfung zu lernen. Und die Menschen bei uns sind sehr motiviert. Aber es gibt einfach zu viele Hürden, die Arbeit in Deutschland schwerer machen. Zum Beispiel ist mein Unternehmen jetzt verpflichtet, extrem umfassend Nachhaltigkeitsberichterstattung zu machen. Und meine Mitarbeitenden haben somit viel weniger Zeit für das Kerngeschäft, für unsere Kunden, für das, womit wir wirklich Nutzen und Wertschöpfung erreichen können. Sondern sie müssen extrem viel dokumentieren. Und mein Unternehmen macht viel im Bereich Nachhaltigkeit. Aber diese Dokumentation ist so aufwendig, dass es die Mitarbeitenden wirklich demotiviert und eben auch unfassbar viel Zeit in Anspruch nimmt. Oder auch, dass generell zu wenig Netto vom Brutto übrig bleibt. Wir brauchen zusätzlich zu der Motivation und den guten Ideen, die da sind, bei allen Mitarbeitenden auch bessere Rahmenbedingungen. Dass sich Arbeit in Deutschland einfach mehr lohnt und dass wir uns alle wieder mehr aufs Kerngeschäft konzentrieren können.

Tanja Könemann [00:08:06] Fabian Du kennst die Frage nach Fleiß und Leistung ganz besonders gut, denn Kienbaum hat dazu eine Studie verfasst. Welches sind denn da die wichtigsten Erkenntnisse?

Fabian Kienbaum [00:08:16] Es gibt darauf keine klassische Antwort nach dem Motto: Die Mitarbeitenden von heute... Oder solche Aussagen wie die Gen Z sei faul und so was. Das ist es nicht. Was wir vielmehr herausgefunden haben mit der Studie, das ist ganz interessant: Es gibt vielfältige Herausforderungen mit der Frage, die schon allein damit starten, was verstehen wir denn genau unter Leistung? Also gibt es dazu ein klares, gleichförmiges Verständnis alleine innerhalb unserer Unternehmung. Welche Dimensionen verknüpfen wir damit? Und ein Schuh wird draus, das bedeutet es sind Annäherungen, was wird beispielsweise bewusst auf eine Bühne gehoben? Was wird honoriert? Ich glaube, das ist ganz stark, auch ein Führungsthema. Das haben wir in dieser Studie herausgefunden. Also feiern wir Erfolge? Ihr erinnert euch vielleicht zurück. Vor einigen Jahren sprach man immer bewusst davon, dass man auch Fehlerkultur leben möchte. Das hat man ja eigentlich nur nach vorne gestellt, weil man sich auch von den Fehlern, die man begeht, erhofft, gewisse Erkenntnisse zu erlangen, um daraus möglicherweise natürlich erfolgreicher zu werden, gar Innovation zu treiben. Das ist jetzt ein Phänomen, in dem wir mittendrin stecken. Ich habe auch den Eindruck, vieles speist sich aber auch aus so einem anekdotischen Charakter. Ich glaube, der Punkt ist: Das Thema ist komplex. Und gleichzeitig müssen wir aber deutlicher dafür sensibilisieren. Ich meine, wenn wir uns auch die Nettoarbeitsstunden in Deutschland angucken und unsere Produktivitätsentwicklung in den vergangenen Jahren. Dann müssen wir zu dem Ergebnis kommen und festhalten, dass wir offensichtlich nicht mehr so fleißig sind oder dass es vielleicht auch nicht smart genug arbeiten. Die Formel ist nicht: Leistung ist gleich: Mehr Input erzeugt auch gleichzeitig mehr Output. Es hat ja auch die Frage von Digitalisierung. Wo liegen Produktivitätsversprechen verborgen? Also ein vielschichtiges Thema, was aber mehr und mehr Bedeutsamkeit erlangt und glaube ich auch in der Führung, sowohl jetzt im wirtschaftlichen Kontext als auch für unser Land wieder nach vorne gestellt wird. Wir begrüßen das insgesamt.

Tanja Könemann [00:10:20] Haben wir so ein Mindset-Problem? Die Zahl der Krankmeldungen ist mittlerweile so hoch, dass Unternehmen Detektive losschicken, um zu Hause nach dem Rechten zu schauen. Und es gibt Berechnungen, die besagen, dass die Wirtschaftsleistung im Jahr 2023 um 0,5 Prozent gewachsen wäre, wenn es diese ganzen Krankmeldungen nicht gegeben hätte. Hast du den Eindruck, wir bleiben mittlerweile wegen jedem Schluckauf zu Hause?

Fabian Kienbaum [00:10:45] Ich glaube, es ist ein ganz, ganz relevantes Führungsthema. Warum? Viele Menschen sind da interessiert, einer Arbeit nachzugehen, die sie erfüllt, wo sie auch mit anderen Menschen zusammenkommen, etwas bewegen können. Und ich glaube, diese Aspekte sind total interessant und die können natürlich durch gute Führung mit stimuliert werden. Dass man sich als Teil von etwas fühlt, dass man sich gesehen fühlt. Ich wette, dass Unternehmen, die diese Kriterien besser erfüllen, wo Menschen als Menschen auch gesehen werden, es dort Krankheitsstände am Ende niedriger sind als in solchen Unternehmen, wo vielleicht eine Kultur vorherrscht, die Menschen als Ressourcen betrachtet, wo man gar nicht das Gefühl hat, dass man irgendwie einen Beitrag leisten kann. Und deshalb würde ich sagen, das ist am Ende ein Führungsthema. Und eingebettet in den gesellschaftlichen Diskurs geht es aber natürlich auch um die Frage: Wo bewegen wir uns denn als Land hin? Ich glaube, das ist etwas, das hängt miteinander zusammen. Und deshalb müssen wir diesen gesellschaftlichen Diskurs wieder in diese Richtung lenken und gleichzeitig aber auch ein Zielbild entwerfen.

Tanja Könemann [00:11:50] Marie, ist das so? Dass das, was Fabian gesagt hat, auch darin begründet wird, dass wir gerade unseren Markenkern in Deutschland nicht mehr haben? Also früher waren wir Exportweltmeister, wir waren Made in Germany, unsere Ingenieurskunst war weltberühmt oder ist es ja eigentlich auch immer noch. Aber brauchen wir so ein neues Leitthema?

Marie-Christine Ostermann [00:12:11] Ich denke, viele oder die meisten Firmen wissen genau, wo sie hinwollen und was sie erreichen wollen. Und was Fabian gerade gesagt hat, dass gerade dieses Führungsteam wichtig ist, das kann ich nur nur bestätigen. Ich bin sehr dankbar, dass die kranken Quoten jetzt in meinem Unternehmen relativ niedrig sind, obwohl wir im Logistikbereich harte körperliche Arbeit haben, weil wir eben sehr wertschätzend mit den Mitarbeitenden umgehen, weil wir klare Ziele vor Augen haben und die Arbeit aber auch entsprechend organisieren, dass sie langfristig gesund machbar ist für die Menschen zum Beispiel, dass kaum Überstunden anfallen, also nur in Ausnahmefällen oder im Notfall. Aber dass die Leute ganz verlässlich wissen, in der Regel in Vollzeit, können sie nach acht Stunden nach Hause gehen. Oder auch, dass wir auf die Wünsche der Mitarbeitenden eingehen, wie sie ihren Arbeitsplatz gestalten wollen. Oder dass wir Regeln im Unternehmen haben, die sehr verlässlich, gerecht und klar sind. Dass wirklich jeder weiß, woran er ist und alles sehr transparent auch ist. Dann ziehen die Leute auch mit und sind sehr motiviert. Und wir geben diesen Halt, diese Sicherheit, diese Führung unseren Mitarbeitenden. Was aber wichtig ist es natürlich auch, dieses Land eine Führung hat, die klar in eine spezielle Richtung geht und dann eben auch handelt und umsetzt. Und das ist, denke ich, ein Problem, gerade auch der letzten drei Jahre, dass so viel gestritten wurde, in welche Richtung wir jetzt gehen, dass eben gar nichts passiert ist und wir den absoluten Stillstand erlebt haben. Und das färbt auch ab auf alle Menschen im Land und hat mit Sicherheit auch zu höheren Krankenständen beigetragen.

Tanja Könemann [00:13:44] Wenn wir über die Ampel sprechen, dann hat sich, hatte sie ja tatsächlich Pläne dafür, was ältere Beschäftigte beispielsweise und Rentner und Rentnerinnen angeht. Und zwar für die Anreize für die Menschen, die das Renteneintrittsalter erreicht haben. Und ich habe mal ein bisschen geguckt :2023 ist die Zuverdienstgrenze für Rentner gefallen und die Wachstumsinitiative der Ampel, aus der man jetzt nicht weiß, was daraus wird, sah zum Beispiel vor, dass Arbeitgeber leichter einen befristeten Arbeitsvertrag mit einem Arbeitnehmer schließen können, der das Rentenalter erreicht hat. Es sollte eine Prämie für Beschäftigte geben, die länger im Job bleiben. Und noch einige andere Maßnahmen standen auf dem Plan. Marie war das jetzt. War das jetzt schon auch gut oder reicht das nicht, was ältere Beschäftigte angeht? Was ist deine Erfahrung? Was brauchen die? Du hast gerade zum Beispiel darüber gesprochen, eine schwere körperliche Arbeit auch dauerhaft machbar zu machen. Wie? Wie sieht so ein Gesamtpaket aus, um mehr ältere Beschäftigte dazu zu motivieren, länger zu arbeiten?

Marie-Christine Ostermann [00:14:51] Das sind sicherlich Schritte in die richtige Richtung, die die Ampel da vorgenommen hat. Aber es sind zu kleine Schritte. Das reicht eben auf Dauer nicht aus, denn in den nächsten Jahren werden 30 Prozent aller Arbeitnehmer die Boomer in Rente gehen und der Rest, der übrig bleibt, die jüngere Bevölkerung, die wegen der demografischen Entwicklung weniger ist. Ich muss die ganzen Sozialversicherungsbeiträge weiter erwirtschaften. Deswegen brauchen wir mutige strukturelle Reformen eigentlich schon seit zwanzig Jahren. Im Moment ist es ja oftmals ein Zahlenspiel, wenn man sagt, die Boomer verlassen den Arbeitsmarkt und die neue Generation oder die Generationen, die nachrücken, sind zu wenige. Wir haben jetzt im Creditreform Magazin vor einigen Ausgaben mal das Thema ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen recherchiert und dabei ganz hart den Eindruck gewonnen, dass Unternehmen gar nicht daran interessiert sind.

Tanja Könemann [00:15:42] Fabian, wie nimmst du das wahr? Wollen Führungskräfte überhaupt und Personaler die Älteren noch länger im Unternehmen halten? Oftmals gewinnt man ja auch bei den ganzen Paketen, die geschnürt werden, von Unternehmen, um ältere Beschäftigte dann aus dem Job rauszubekommen, den Eindruck, da ist eh kein Interesse vorhanden.

Fabian Kienbaum [00:16:03] Das ist gerade der Punkt, den ich eben meinte, auch unter diesen Altersteilzeit-Modellen, dass Menschen mit Paketen verabschiedet werden, von denen ich glaube, dass insbesondere in Verbindung mit wirklich heutzutage möglichen Umschulungen, Konzepten, Arbeitskräfte, loyale Arbeitskräfte vom Hof gejagt werden, wenn man so will, die enorm wertvoll sind. Ja, und das ist ein Aspekt. Ich glaube, das könnte man anders handhaben. Und ja, ich würde auch bestätigen, in der Tendenz tendieren Unternehmen dazu, jüngere Arbeitskräfte einzustellen, wenn sie die Möglichkeit haben im Verhältnis zu Älteren. Das mag manchmal Sinn ergeben, aber ich glaube in der Art und Weise, wie wir heute damit umgehen, tun wir uns selbst keinen Gefallen, insbesondere vor dem Hintergrund, was Marie auch sagte, da auf uns zurollt. Ich erhoffe mir perspektivisch, dass wir da eine ganz andere Flexibilität gewinnen. Die Bildungswege sind halt auch sehr starr. Man hat üblicherweise ja einen Abschluss erlangt und tritt dann einen Beruf an und bleibt sehr, sehr häufig, eigentlich in den gleichen Sphären zu Hause. Warum ist das eigentlich so? Ich glaube, man kann aus vielen, vielen Fähigkeiten, die man erlernt hat, wenn Sie jetzt nicht unbedingt fachlichen Anforderungen genügn müssen, kann man eigentlich Ableitungen treffen, um auch in anderen Feldern zu reüssieren. Und dann gibt es ja noch ein Thema abseits mal von Alter. Da werden dann vielleicht auch noch darauf zu sprechen kommen. Was ist eigentlich mit Teilzeitlern, die wir haben? Auch ein enormer Schatz, der insbesondere wegen der mangelnden Infrastruktur, was Kindergärten usw. anbelangt, auch nicht voll gehoben werden kann.

Tanja Könemann [00:17:46] Wenn wir über Teilzeitarbeit sprechen, die seit Jahren ansteigt, müssen wir natürlich auch darüber sprechen, wie denn eigentlich der Rahmen aussieht für Eltern und Menschen in der Lebensmitte, die im schlimmsten Fall gesandwiched sind zwischen pflegebedürftigen Eltern und Kindern, auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Wir müssen uns das tatsächlich mal auf der Zunge zergehen lassen. Also meistens sind ja Frauen davon betroffen, dass mehr als 40 PRozent der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, das tun, aus persönlichen und familiären Verpflichtungen. Auf der anderen Seite setzen Unternehmen aber wenig Anreize dafür, diese Menschen mehr in die Arbeit zu bringen, zum Beispiel Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes oder Kinderbetreuung. Woran liegt das deiner Meinung nach, Fabian? Warum wird da nicht mehr, nicht engagierter vorangegangen?

Fabian Kienbaum [00:18:42] Am Ende des Tages ist natürlich die Art und Weise, wie ich Arbeitsalltage gestalte, auch maßgeblich davon abhängig, welche Erfahrungen ich selbst gesammelt habe und was mein Selbstverständnis ist oder wie ich möglicherweise sozialisiert bin und welche Erwartungshaltung ich dann in einer Führungsrolle wieder in Unternehmung hinein projiziere. Und das ist insofern gut, als dass wir jetzt eben auch Generationenwechsel erleben, wo damit ein ganz anderes Verständnis einhergeht. Und die Punkte, die du machst, sind genau richtig. Es gibt heutzutage Möglichkeiten, Arbeit viel, viel flexibler zu verstehen, nicht mehr ortsgebunden zu verrichten. Der Betreuungsgedanke ist, glaube ich, nach wie vor massiv unterschätzt. Und das finde ich, ist eine absolut Königsaufgabe des Staates und der Institution, dafür zu sorgen, dass wir eine Betreuungsinfrastruktur erlangen in Deutschland, die dessen würdig ist.

Tanja Könemann [00:19:36] Ich möchte gerne die Zahlen mitgeben, um die es hier eigentlich geht. Wir müssen uns das mal wirklich bewusst machen. Wir haben seit mehr als zehn Jahren den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und aktuell fehlen immer noch 400.000 Kitaplätze. Marie, wie bekommen wir die Teilzeitarbeit nun in einen Vollzeitjob, wenn der Rahmen so ungünstig ist?

Marie-Christine Ostermann [00:20:01] Natürlich können auch die Unternehmen einiges tun. Es ist eben auch sehr, sehr wichtig, zum Beispiel flexibel zu reagieren. Auch wir sprechen natürlich mit den Eltern, die bei uns im Unternehmen arbeiten, wie wir die Arbeitszeiten auch wieder erhöhen können. Und hier spielt einfach Flexibilität eine große Rolle. Dass sich Eltern, wo es möglich ist, von den Prozessen her, dann auch die die Arbeitszeiten mit aussuchen können, wann sie präsent im Unternehmen sind, wann sie vielleicht auch von zu Hause aus arbeiten. Und hier wünschen wir uns absolut auch von von der Bundesregierung, dass die das Arbeitszeitgesetz reformiert wird. Das ist sehr stark geregelt. Es gibt tägliche Höchstarbeitszeiten, und es wäre besser, eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu regeln und in diesem Rahmen deutlich flexibler dann auch wegen der Digitalisierung agieren zu können. Das würde schon mal sehr weiterhelfen. Und natürlich kann man auch eine eigene Betriebskita bauen oder auch eine Kooperation mit anderen Unternehmen machen. Es gibt auch wieder Firmen, die sich selbst darauf spezialisiert haben und eben Personal anbieten, was Kinderbetreuung dann professionell machen könnte. Denn wir als Firma, das ist ja nicht unsere Kernkompetenz, Kinder zu betreuen. Und die sollen natürlich auch frühkindliche Bildung genießen können. Da wir selber ein Gebäude gerade umbauen, haben wir auch prüfen lassen, ob wir selbst eine Kita hätten bauen können. Es ist aber so, dass es auch hier sehr detaillierte Vorgaben gibt, extrem viel Bürokratie. Die Außenflächen müssen eine gewisse Größe haben in Relation zu den Innenflächen zum Beispiel. Das war auf unserem Betriebsgelände jetzt nicht möglich. Ich bin aber dankbar, dass die Stadt, in der wir leben, sich zum Ziel gesetzt hat, familienfreundlichste Stadt Deutschlands zu werden. Das heißt, die Politik hier kommunal vor Ort setzt eine hohe Priorität in Kitaplätze. Wir sind also gut ausgestattet. Trotzdem ist es so, dass halt spätestens um 17 Uhr Schluss. Ich glaube, es gibt hier eine Kita, die jetzt noch bis 19:00 auf und da müssen wir eben auch umdenken, dass da eben auch die Betreuungszeiten und die Angebote dahingehend natürlich auch ausgebaut werden müssen. Für die Zukunft. Das ist ganz, ganz wichtig, alle Eltern zu motivieren, auf freiwilliger Basis natürlich. Wer möchte, soll Karriere machen können und eben auch eine sehr gute Betreuungsmöglichkeit für Kinder dann bekommen können.

Tanja Könemann [00:22:25] Ich würde jetzt gerne rübergehen von den Menschen in der Lebensmitte zu jüngeren Beschäftigten. Wenn wir über die Gen Z und die Gen Y sprechen und wir darüber sprechen, dass sie weniger arbeitet als Vollzeit, dann geht es um das Thema Work-Life-Balance und um so Themen wie Purpose bei der Arbeit. Fabian, du hast es vorhin schon gesagt, dass es auch eine Zeit lang überhöht worden ist, dieser Gedanke. Es war aber auch in der Beraterbranche schwer angesagt. Wie bewertest du das denn heute, Fabian? Etwas differenzierter oder wie? Wie sieht der ideale Mix von Purpose und Pflichtgefühl aus?

Fabian Kienbaum [00:23:09] Der steht bei der jüngeren Generation ganz oben. Und er hat natürlich damit was zu tun. Wo? Wer bin ich und wenn ja, wie viele und wo kann ich mich eben idealerweise mit meinen Überzeugungen einbringen und damit natürlich auch meiner Arbeitskraft als solcher. Und deshalb ist das Thema Purpose einfach ein sehr, sehr wichtiges. Ich scheue mich aber auch davor, das jetzt als Anglizismus so nach vorne zu stellen, weil ich den Eindruck hatte, es ist so ein Marketingjargon geworden und irgendwie so ein bisschen belächelt. Aber ich bin fundamental davon überzeugt, dass dieser Sinn-Gedanke immer eine Rolle spielt, egal wo man sich bewegt. Und deshalb erachte ich das als wichtig. Und das bleibt es auch.

Tanja Könemann [00:23:52] Marie, lass uns noch mal auf das Thema Arbeits- und Fachkräftemangel zurückkommen. Du sprichst dich für eine regulierte Zuwanderung aus, die beim Schließen der Lücke, die entsteht, wenn die Boomer in Rente sind und die neue Generation nicht mehr ausreicht, mithelfen soll. Wie? Wie stellst du dir das vor? Wie sieht deine Idealvorstellung aus? Damit ausländische Fachkräfte überhaupt erst mal nach Deutschland kommen wollen, muss der Standort hier wieder deutlich attraktiver sein. Es muss zum Beispiel möglich sein, dass Arbeitnehmer hier deutlich mehr Netto vom Brutto verdienen können. Da ist natürlich auch die Infrastruktur. Modern ist, dass da auch der Staat eine digitalisierte, moderne Verwaltung anbietet, dass genügend Wohnraum da ist, der auch bezahlbar ist, also dass wir einfach wieder attraktive Standortbedingungen haben. Und dafür brauchen wir dringend Strukturreformen. Für ausländische Fachkräfte relevant ist sicherlich ein Punktesystem nach dem Vorbild von Kanada, dass auch wirklich die Fachkräfte ins Land kommen, die hier auch dringend gebraucht werden, mit unbürokratischen Verfahren, die auch möglichst schnell gehen, damit die Leute eben auch motiviert sind, herzukommen. Und auch eine entsprechende Willkommenskultur ist wichtig, dass die Menschen auch wissen, dass sie hier herzlich willkommen sind und dringend gebraucht werden. Und auch dafür ist eben jetzt eine Reformpolitik nötig, die die Probleme im Land löst. Und das muss die nächste Bundesregierung jetzt dringend tun. Wenn sie das nicht tut, dann habe ich die große Befürchtung, dass sie vier Jahre später, in der nächsten Legislaturperiode vielleicht extremistische Parteien an die Macht kämen. Und das wäre natürlich das Ende jeglicher Willkommenskultur für Fachkräfte aus dem Ausland. Und das müssen wir jetzt dringend vermeiden.

Tanja Könemann [00:25:41] Das finde ich ein sehr schönes Schlusswort, Marie. Ganz lieben Dank dafür! Wir haben uns im Podcast immer vorgenommen, wir gehen hier nicht ohne Fazit, Tipps und Handlungsempfehlungen raus und ich habe das angekündigt, wir richten uns an Wirtschaft und Politik. Fabian hat aber noch einen weiteren Stakeholder eingebracht und das sind die Unternehmenslenker, konkret also das Thema Führung. Wenn wir jetzt alle drei Bereiche mal durchdeklinieren, Marie, was ist dein Tipp, deine Handlungsempfehlung an die Politik in drei Punkten?

Marie-Christine Ostermann [00:26:13] Wir brauchen jetzt vor allen Dingen einen ganz, ganz klaren Kurswechsel wieder hin zur sozialen Marktwirtschaft. Strukturelle Reformen, damit wir wieder wachsen und investieren können. Aus eigener Kraft, nicht erkauft durch weitere Schulden. Das sind die wichtigsten Botschaften von mir an die Politik.

Tanja Könemann [00:26:32] Fabian, was sagst du zum Thema Unternehmensführung und Wirtschaft? Könntest du beide Punkte übernehmen?

Fabian Kienbaum [00:26:39] Wofür ich plädiere und was ich extrem schätze, sind engagierte Firmenlenker und Firmenlenkerinnen, die sich bewusst auch aktuell in den gesellschaftlichen Diskurs mit einbringen. Denn wir haben ja ganz stark gespürt, und Marie hat gerade den Punkt gemacht, wenn wir hier eine Willkommenskultur haben wollen, dann funktioniert das sicherlich nicht mit extremistischen Kräften, die irgendwelche wirren Parolen zum Besten geben. Das bedeutet die Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik zu stärken. Ich begrüße und möchte alle dazu ermutigen, dort mit zu partizipieren. Das gilt insbesondere für Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer, die das ehrlicherweise auch verstärkt machen. Zweiter Punkt ist das politische Engagement wieder zu stärken, indirekt oder direkt. Ich glaube, das ist auch ein ganz, ganz wichtiges Vermögen in unserer liberalen Demokratie, auch die Parteiensysteme als solche mit zu unterstützen, wie wir können. Und der dritte Punkt ist natürlich, dass wir uns nicht durch die Irrungen und Wirrungen der politischen Führung anstecken lassen, sondern mit einem klaren Versprechen unserer Verantwortung gerecht sind als Unternehmerinnen und als Unternehmern. Menschen, die sich in den Dienst der Sache stellen, die ihrer Arbeit nachgehen wollen, die mit dazu beitragen wollen, unsere Prosperität zu erhöhen, dass wir denen den bestmöglichen Rahmenbedingungen bieten, wiederum im Rahmen der Möglichkeiten, die wir selbst beeinflussen können.

Tanja Könemann [00:28:08] Ja, dann möchte ich euch beiden ganz herzlich danken, dass ihr euch die Zeit genommen habt für Gute Geschäfte - die Streitfrage. Und auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer: Sie sind uns treu geblieben bis zum Ende und ganz herzlichen Dank dafür! Wenn Sie Fragen oder Anmerkungen haben wir freuen uns über Zuschriften, Kommentare. Schreiben Sie uns auf LinkedIn oder über die Website. Wir antworten gern und nehmen auch Anregungen für neue Themen entgegen. Vielen Dank fürs Zuhören und bis bald bei Gute Geschäfte.

Jingle [00:28:45] Gute Geschäfte. Die Streitfrage: Wohin steuert der deutsche Mittelstand? Eine Podcast-Reihe von Creditreform.