Schlechte Zahlungsmoral ist Krisenindikator der Wirtschaft
Die Datenbasis ist gigantisch. Um einen Überblick über das Zahlungsverhalten in Deutschland zu gewinnen, nutzt Creditreform Rechnungen, die an über eine Million Unternehmen gestellt werden.
Das gesamte Volumen dieser Belege erreicht knapp 90 Mrd. Euro und allmonatlich werden aktuell 24 Millionen Zahlungsinformationen aufgenommen und ausgewertet. Überfällig waren im letzten Halbjahr 4,2 Mio. Belege, die zusammen ein Überfälligkeitsvolumen von über 9 Mrd. Euro darstellen. Eine wichtige Anmerkung: Es wurden nur überfällige Zahlungen, nicht aber Zahlungsausfälle in die Analyse aufgenommen.
Liquidität zählt
Das Zahlungsverhalten ist ein wichtiger Indikator für die Liquidität und Stabilität der Unternehmenslandschaft in Deutschland. Wie ein Seismograph registriert der Zahlungseingang mögliche Erschütterungen der Unternehmen. Dies nicht nur für den einzelnen Betrieb und sein Debitorenmanagement, sondern eben auch perspektivisch für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft.
Es ist keine Frage – Deutschlands Wirtschaft leidet. Mit den beiden großen Krisen seit Beginn der laufenden Dekade ist die Konjunktur außer Tritt geraten. Technisch gesehen befinden wir uns in einer Rezession, das Bruttoinlandsprodukt ist negativ. Während andere europäische Länder weiter vorwärtskommen, nimmt hierzulande tatsächlich auch die Zuversicht ab. Ein weiterer Spiegel dieser schlechten Entwicklung, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten zu sehen ist, sind die wieder steigenden Zahlen bei den Unternehmensinsolvenzen. Der weitaus größte Teil der Insolvenzen beruht auf der Zahlungsunfähigkeit, wiederum in fast allen Fällen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Verzögerung beim Begleichen der Rechnungen vorausgeht.
Vorsicht geboten
Der durchschnittliche Zahlungsverzug beträgt im ersten Halbjahr 2023 10,77 Tage. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es noch 10,51 Tage, die sich die Debitoren Zeit ließen bis zur Rechnungsbegleichung. Nun kann man bei einem Vergleich der Zahlen über einen etwas längeren Zeitraum erkennen, dass dieser Wert fast genau dem der Vorkrisenzeit entspricht: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 lag der durchschnittliche Zahlungsverzug bei 10,78 Tagen. Handelt es sich hierbei also nur um eine Normalisierung des Geschehens? Davon ist leider nicht auszugehen, zeigen doch die Säulen, welche den Verzug abbilden, seit dem Jahr 2020 eine stetige Aufwärtsentwicklung hin zu einer Verschlechterung beim Zahlungsverzug. Im zweiten Halbjahr 2022 war ein Höchstwert für die Zeit seit 2015 mit 10,95 Tagen erreicht worden. Das erste Halbjahr ist saisonal bedingt immer ein wenig besser, so dass zu befürchten ist, dass im zweiten Teil des Jahres 2023 ein neuer negativer Höchstwert erreicht wird.
Bau und Dienstleister schwach
Das nach wie vor schlechteste Zahlungsverhalten und den höchsten Zahlungsverzug zeigt das Baugewerbe. Wer Betriebe aus der Baubranche beliefert, wartet mehr als zwei Wochen auf den Zahlungseingang (15,49 Tage). Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es noch 15,1 Tage. Auch der konsumnahe Dienstleistungsbereich schneidet mit 14,69 Tagen schlecht ab – hier findet sich die markanteste Veränderung gegenüber dem ersten Halbjahr 2022, als der Verzug noch bei 11,50 Tagen lag. An dritter Stelle folgen die unternehmensnahen Dienstleister mit einem Zahlungsverzug von 12,80 Tagen (Vorjahr: 12,17 Tage). Besser sieht es in den industriellen Sektoren aus, wo die Branchen „Konsumgüter“ 8,60 Tage, „Chemie/Kunststoffe“ 8,75 Tage und „Metall/Elektro“ 9,31 Tage mit der Bezahlung ihrer Rechnungen warten.
Der Zahlungsverzug ist nur eine Facette bei der Betrachtung des Zahlungsverhaltens. Es ist auch auf die Forderungslaufzeiten insgesamt zu sehen – und zunächst auf die Zahlungsziele. Wie lange geben die Kreditoren ihren Kunden Zeit, die Rechnungen zu begleichen? Die Gläubiger, die Lieferanten also, gewährten insgesamt ein Zahlungsziel von 29,93 Tagen im ersten Halbjahr 2023. Das ist weniger als in früheren (besseren) Zeiten. So wurden 2020 dem Rechnungsempfänger noch 32 Tage zugestanden. Eine Verkürzung von Zahlungszielen ist ein klares Zeichen der Krise. Die Betriebe schauen verstärkt auf Ihre Liquidität, sie sind, auch um ihrerseits Rechnungen zu begleichen, auf einen raschen Zahlungseingang angewiesen. Dabei ist das Zahlungsziel ein schmaler Grat. Wird es zu kurz gesetzt, sieht sich der Kunde unter Druck. So haben sich etwa im Bereich der persönlichen Dienstleistungen die Zahlungsziele von 22,25 Tagen (1. Halbjahr 2022) auf aktuell 26,18 Tage markant verlängert. Hier lassen wieder die industriellen Bereiche ihren Kunden weniger Zeit bei den Zahlungszielen. Sie haben den Spielraum bis zum gewünschten Forderungseingang verknappt.
Inflation treibt Rechnungsbeträge
Zahlungsziele und der Zahlungsverzug ergeben zusammen die Forderungslaufzeiten. Diese haben sich im ersten Halbjahr 2023 leicht erhöht und liegen aktuell bei 40,70 Tagen – das ist gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres eine Zunahme von 0,39 Tagen im Durchschnitt. Dabei sind die insgesamt kürzeren Forderungslaufzeiten vor allem durch den Krieg in Osteuropa und die gestiegenen Energiepreise entstanden, die wiederum zu kürzeren Zahlungszielen führten. Die Inflation hält an und die Wirtschaft hat Probleme mit höheren Zinsen. Dieser Druck belastet alle Branchen, wenn auch starke Unterschiede bei der Außenstandsdauer der Branchen deutlich sind. Während bei Metall- und Elektrounternehmen die Forderungslaufzeit über 45 Tage beträgt, ist sie bei Rechnungen im Sektor der Konsumgüterindustrie rund 10 Tage kürzer (35,53 Tage).
Apropos Inflation: Das durchschnittliche Rechnungsvolumen hat einen neuen Höchststand erreicht. Mit fast 22.000 Euro liegt das durchschnittliche offene Forderungsvolumen über dem Niveau von vor 2020. Nur ist diese Zunahme beim nominalen Rechnungsbetrag im Durchschnitt nicht mit einem höheren Geschäftsvolumen begründet, sondern in der Teuerung, die zu Steigerungen auch bei den Rechnungsbeträgen geführt hat.