Creditreform Magazin

Digital und doch persönlich

Corona verändert die Wirtschaft. Profitiert haben im vergangenen Jahr vor allem Unternehmen, die ihre Kunden – egal ob beruflich oder privat – digital ­erreichen. Sind jene, die bislang vor Ort verkauft ­haben, also die Verlierer? Nicht automatisch!

Thomas Kleb steht vor einer Maschine, die mit ihren Ausmaßen so gerade noch in die Lagerhalle in Kreuztal in Südwestfalen hineinpasst. Eine Walzschleifmaschine, 30 Meter lang, drei Meter hoch, vier Meter breit. Kleb ist in der Geschäftsführung des Sondermaschinenbauers Heinrich Georg für Personal und Marketing zuständig. Er hat mehr als ein anspruchsvolles Jahr hinter sich, der Corona-Pandemie wegen. Vor der Krise kamen die Kunden wie üblich in die Zentrale nach Kreuztal, inspizierten vor Ort die Sondermaschinen, tauschten sich direkt mit den Heinrich-Georg-Managern aus und verhandelten die Kaufverträge.

Seit März 2020 ist vieles anders. Seitdem sitzen die Vertriebsingenieure im Homeoffice und das Familienunternehmen, das auf einen Exportanteil von mehr als 75 Prozent kommt, verkauft seine Metall-Ungetüme überwiegend digital. Die Kunden sind die gleichen wie vor der Corona-Pandemie, sie haben ihren Sitz in China, Brasilien und in den USA. Aus allen Teilen der Welt reisten sie bislang ein ins beschauliche Kreuztal. Nur wie verkauft man derartig große Maschinen und Anlagen über eine Videokonferenz?

Der Sondermaschinenbauer ist kein Profiteur der Krise, aber ein Verlierer ist das Unternehmen auch nicht. Das Geschäft habe wieder stark angezogen, sagt Manager Kleb. In der deutlichen Mehrheit aber sind die Gewinner der Krise anderswo zu verorten.

Digitale Services profitieren

Niklas Volland, Geschäftsführer der Digitalberatung Bytabo, sagt: „Anbieter von digitaler Kundenkommunikation für Service und Vertrieb sind bisher gestärkt durch die Corona-Krise gekommen. Hierzu zählen auf der einen Seite einzelne Softwaredienstleister mit maßgeschneiderten Lösungen für Kunden und auf der anderen Seite größere Unternehmen, die verschiedene Module anbieten wie SAP oder Salesforce.“ Volland nennt zudem Anbieter für Lösungen zur digitalen Mitarbeiterkommunikation, die profitiert haben. Paradebeispiele hierfür sind Microsoft Teams, Slack und Google Chat. „Gewonnen haben außerdem Unternehmen, die den digitalen Auftritt von Firmen entwickeln, wie etwa Hosting-Anbieter und Page- und Shop-Builder wie Squarespace, Ionos, Jimdo.“

Aber auch im Endverbrauchermarkt hat sich manches Geschäftsmodell fester etabliert als zuvor. Statt der klassischen Freizeitangebote haben Videoplattformen wie Netflix und Youtube, Essenslieferanten wie Hello Fresh und Delivery Hero und Heimsportspezialisten wie Peloton und Fitteryou stark an Beliebtheit gewonnen. „Unternehmen, die ihre Dienstleistungen digital in die privaten vier Wände bringen konnten, haben profitiert“, sagt Bytabo-Manager Volland.

Produkte erfahren wollen

Besonders beeindruckend sind die Erfolge in der Konsumgüterindustrie, weiß David Holtmann, Managing Director der internationalen Unternehmensberatung Accenture. Er nennt als Beispiel etwa Hautcreme-Hersteller, die ihren Kunden Tutorials mit Ärzten verkaufen, in denen die Mediziner live das Produkt mit dem Verbraucher zusammenbringen. „Menschen wollen nicht mehr einfach nur ein Produkt kaufen, sondern eine Experience haben“, sagt Holtmann. „Die Creme soll nicht nur Feuchtigkeit spenden, sondern auch noch weiteren Bedürfnissen entsprechen, etwa vegan, lokal hergestellt oder nicht umweltschädlich sein.“

Holtmann nennt auch die US-Lebensmittelkette Korge, die nicht nur Essen und Rezepte zu ihren Kunden liefert, sondern als Ergänzung digitale Koch-Events mit renommierten Köchen ihren anbietet. Ebenfalls an der Schnittstelle vom B2B- zum B2C-Geschäft bewegt sich der Spirituosenhersteller Bacardi. Cocktailliebhaber bestellen sich ihr Getränk bei ihrer lokalen Bar, geliefert wird das Ganze aus der Produktion von Bacardi. „So werden Bars vor der Insolvenz bewahrt“, sagt Holtmann.

Corona als Game Changer

Zurück zum Sondermaschinenbauer Heinrich Georg. Auch dessen Abnahmeprozess einer fertigen Maschine vor der Auslieferung läuft nun digital per Videokonferenzen und Live-Chats ab. In den Montagehallen werden rundherum diverse Kameras aufgestellt, mit denen der Kunde sämtliche Teile der Maschine genau begutachten kann.

Damit kennt sich inzwischen auch Rembe aus. Das Familienunternehmen mit 250 Mitarbeitern ist Spezialist von Produkten für Druckentlastung und Explosionsschutz. Technikchef Stefan Rüsenberg sagt: „Vor der Corona-Zeit haben wir mehrmals wöchentlich unsere Kunden zu Abnahmeprüfungen empfangen.“ Die Corona-Krise sei dann zu einem richtigen Game Changer geworden. „Innerhalb von wenigen Arbeitstagen haben wir eine Erstausrüstung zur Verfügung gestellt, damit wir sofort auf digitale Abnahmen setzen können“, sagt Rüsenberg. Seitdem wird der Prozess kontinuierlich verbessert.

Die Situation ist bei Heinrich Georg und Rembe dennoch nicht einfach. Das hängt zum einen mit dem stark personengebundenen Geschäft und mit der geringen Planbarkeit zusammen. „Unser Verkauf lebt von intensiver persönlicher Beratung und einer guten Beziehung“, sagt Heinrich-Georg-Manager Kleb, „unsere Kunden fühlen sich in unserer Zentrale immer sehr wohl, hier lässt sich das persönliche Geschäft einfacher pflegen.“


„Unser Verkauf lebt von intensiver, persönlicher Beratung und einer guten Beziehung.“
Thomas Kleb, Heinrich Georg GmbH


Das ist seit der Corona-Pandemie weggefallen. Man setze verstärkt auf digitale Kommunikationswege und habe eine Social-Media-Expertin eingestellt, um etwa die Kanäle LinkedIn und Instagram noch professioneller zu betreuen. „Überdies fahren wir wie alle Unternehmen auf Sicht, eine ernsthafte Geschäftsplanung kann man aufgrund der Corona-Dynamik nicht zuverlässig erstellen“, ergänzt Kleb.

Der Lerneffekt bleibt

Immerhin: Stefan Tewes, Professor für digitale Transformation und Innovation und Mitglied des Managementteams des Zukunftsinstituts, geht davon aus, dass uns nach Corona „eine Mischung aus digitalem und persönlichem Kontakt erhalten bleiben wird“. Denn ganz zurückdrehen lassen werden sich die Veränderungen wohl nicht. Ein Grund ist der Lerneffekt. Selbst wenn der Gang zum Einzelhändler um die Ecke wieder möglich ist, werden deshalb die Bestellungen bei Amazon und Co. wieder weniger? Wenn Restaurants wieder öffnen, ist die Bestellung beim Lieferdienst nicht doch praktischer? Und auch wenn Geschäftsreisen wieder möglich sind, warum sollten Kunden nach Kreuztal fliegen, wenn sie auch mit einem digitalen Service sehr zufrieden sind. Tewes sieht die digitale Transformation darüber hinaus aber in einem noch größeren Kontext: Abseits von Kontaktmöglichkeiten und Absatzkanälen lautet sein Rat: „Unternehmen müssen mehr denn je die Bedürfnisse ihrer Kunden erforschen, verstehen und sich diesen anpassen.“ 


Kunden verstehen

Wie Unternehmen neue Kundenbedürfnisse identifizieren, sie verstehen und sie für sich nutzen, erklärt Stefan Tewes, Professor für digitale Transformation und Innovation an der FOM sowie Mitglied des Managementteams des Zukunftsinstituts:  

Klassische Zielgruppenanalysen stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Ein Mensch besteht aus mehr als nur aus soziodemografischen Daten. In der heutigen Zeit ist es ratsamer, den Blick auf die individuellen Lebenssituationen zu richten und die Segmentierung entsprechend von Typologien im Kontext von Werteprofil, Lebensweise und Rolle in der Gesellschaft vorzunehmen. Nur so können wir die tieferliegenden Bedürfnisse identifizieren.

Im B2C-Markt etwa folgende Trends:

  • Werte wie Nachhaltigkeit, Sicherheit, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit, Wertbeständigkeit treten in den Vordergrund.
  • Bewusstsein für Qualität steigt.
  • Konsumenten kaufen weniger, aber bewusster.
  • Konsumenten werden anspruchsvoller und erwarten starke Serviceleistungen.


Im B2B-Markt diese Trends:

  • Kompetenz und Qualität sind die entscheidenden Kaufkriterien.
  • Persönliche Kundenbeziehungen stehen im Vordergrund, digitale können diese teilweise ersetzen.
  • Besonders wichtig sind Glaubwürdigkeit von Produkten, Marken und Unternehmen. 



Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Martin Scheele