In Deutschland wie in Europa
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa hat sich auch 2021 gegenüber dem Vorjahr verringert. Waren im ersten Jahr der Krise noch 116.000 Unternehmenszusammenbrüche in den 14 EU-Staaten, Großbritannien, Norwegen und der Schweiz zu zählen, so sind es 2021 mit rund 110.000 Fällen etwa 6.000 weniger. Es bleibt bei der paradoxen Situation, die mit dem Beginn der Pandemie 2020 eingesetzt hat und die dazu führte, dass es trotz des Lockdowns und den Problemen für die Unternehmen zu einem Rückgang bei den Insolvenzen gekommen ist.
Vor der Krise bewegte sich die Zahl der Insolvenzen in Westeuropa bei rund 160.000 Fällen im Jahr, jetzt liegt sie um ein Drittel geringer. Der Grund liegt auf der Hand: Staatliche Maßnahmen wie die Aussetzung des Insolvenzrechts und finanzielle Unterstützungen sorgten dafür, dass Betriebe auch in der Schieflage überleben konnten. In unterschiedlicher Form und verschiedenem Maß haben die europäischen Länder ähnliche Maßnahmen unternommen wie in Deutschland, um das Bestehen der Unternehmenslandschaft zu sichern. Dabei stellt sich natürlich die Frage, inwiefern das marktwirtschaftliche Geschehen, das wesentlich geprägt ist vom Kommen und Gehen von Unternehmen, damit verzerrt wird und Betriebe am Markt bleiben, die unter normalen Bedingungen nicht überlebensfähig wären.
Nicht allen ist zu helfen
Trotz dieser Sondereffekte zeigten 2021 immerhin sechs Länder wieder einen Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen. Vor allem in Dänemark, wo ein Plus von fast 50 Prozent zu registrieren war, aber auch in Italien, Finnland, Großbritannien, Griechenland und in der Schweiz, haben sich im Vorjahr wieder Zugänge beim Insolvenzgeschehen gezeigt. Doch prägend sind neben diesen sechs Ländern elf Staaten, die (wie Deutschland) mit einem Minus von fast 12 Prozent Abnahmen gegenüber dem Vorjahr zeigten. Festzuhalten ist allerdings auch, dass der Trend zu weniger Insolvenzen bereits seit über zehn Jahren anhält. Mit dem Referenzwert von 2008 (= 100 Punkte) zeigen vor allem die wichtigen Volkswirtschaften in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den Benelux-Staaten Werte von fast der Hälfte dieses Referenzwertes. Langfristige Zunahmen weisen die skandinavischen Länder, aber auch Italien und Spanien auf. Hier ist darauf hinzuweisen, dass in einigen dieser Länder das Insolvenzrecht einen anderen Stellenwert im Zusammenhang mit der Schließung von Betrieben gewonnen hat. So wurde in vielen Ländern das Insolvenzrecht im Hinblick auf Sanierungsmöglichkeiten wie in Deutschland reformiert und damit zu einer Option, ein Unternehmen unter geänderten Vorzeichen fortführen zu können.
Schutzschirme nicht nur in Deutschland
Dominiert wird das Aufkommen in Westeuropa von den Insolvenzen in Frankreich – und Skandinavien seinen Anteil an den Insolvenzen in Gesamteuropa mit 18,5 Prozent ausgebaut. Auch Großbritannien hat zugelegt und liefert 13,4 Prozent der Insolvenzen, während Deutschland über die letzten zehn Jahre einen Rückgang von anteilsmäßig fast 17 auf knapp 13 Prozent im letzten Jahr zu verzeichnen hatte.
Tieferen Einblick in das europäische Insolvenzgeschehen gibt die Verteilung auf die Hauptwirtschaftsbereiche insgesamt und in den einzelnen Ländern. Diese sind in Europa über die letzten zehn Jahre recht konstant geblieben. Bestimmt werden die Insolvenzzahlen vom Anteil, den der Dienstleistungsbereich mit rund 43 Prozent hält. An zweiter Stelle steht auch 2021 der Handel (einschließlich des Gastronomie Sektors), der mit über 28 Prozent am Gesamtaufkommen in Europa beteiligt ist. Es folgen der Bau mit fast 19 Prozent und schließlich das Verarbeitende Gewerbe mit rund10 Prozent der Insolvenzen von Unternehmen. Die Rückgänge beim Insolvenzgeschehen in den letzten zehn Jahren lassen sich für alle Hauptwirtschaftsbereiche gleichermaßen festhalten – dabei zeigt sich diese Kontinuität dann ab 2020 auch bei den einzelnen Wirtschaftsbereichen markant beschleunigt. Die Insolvenzen haben also durch die Sondereffekte gegen die Corona-Pandemie in allen Wirtschaftszweigen Abnahmen vorzuweisen. Dies ist besonders bemerkenswert und zeigt, wie die Stützungsmaßnahmen gewirkt haben, weil auch in den stark betroffenen Sektoren der Dienstleistungen und des Handels ebenfalls die Anzahlen der Pleiten abnahmen.
Auch wenn das Aufkommen der Branchen insgesamt aus europäische Sicht wenig Veränderungen aufweist, so sind doch die Strukturen in den einzelnen Ländern deutlich unterschiedlich. Überdurchschnittlich hohe Anteile des Verarbeitenden Gewerbes weisen Italien mit 23,7 Prozent, Portugal mit 18,9 Prozent, Spanien (14,4 Prozent) und Finnland mit fast 13 Prozent auf. Das Baugewerbe war im letzten Jahr besonderes in der Schweiz mit fast 25 Prozent, in Norwegen mit knapp 30 Prozent und in Belgien, Finnland und Frankreich mit ebenfalls über einem Fünftel aller Fälle beteiligt. Der Handel war vor allem in Portugal, Belgien und in Spanien mit deutlich mehr als einem Drittel aller Insolvenzen vertreten. Nicht nur über alle einzelnen Länder hinweg in gesamteuropäischer Sicht, sondern bei jedem einzelnen europäischen Land stellen die Dienstleister den Löwenanteil beim Insolvenzgeschehen. An der Spitze steht Luxemburg mit fast 70 Prozent – es folgen Irland, Dänemark, Deutschland und die Niederlande – hoch entwickelte Volkswirtschaften, die auch einen starken Anteil von Dienstleistungen im Finanzsektor aufweisen.
Hitparade der Pleiten
Apropos „hochentwickelt“: Ein Blick auf die Insolvenzquoten der westeuropäischen Länder, also einem Ranking, dass die Unternehmensinsolvenzen zu der Anzahl der Unternehmen eines Landes insgesamt ins Verhältnis setzt, zeigt an der Spitze drei Länder, die dafür beispielhaft sind: Dänemark mit 353 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen, Luxemburg mit 338 und die Schweiz mit 127 Insolvenzfällen bei 10.000 Unternehmen, führen die Liste mit ihren weit überdurchschnittlichen Zahlen an. Insgesamt liegt der Wert bei 47 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen in Europa. Deutschland markiert einen eher unteren Rang mit 43 Insolvenzen je 10.000 existierende Unternehmen. Auch an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die unterschiedlichen Insolvenzordnungen in den einzelnen Ländern, aber auch die Führung der Statistiken von den offiziellen Stellen, höchst unterschiedlich sind. Schließungen und „Stille Heimgänge“ sind vor allem in manchen Ländern Südeuropas immer noch der Königsweg für den Marktaustritt. Hinzu kommen beim Unternehmensranking im Hinblick auf die Insolvenzen natürlich auch die unterschiedlichen Strukturen einer Volkswirtschaft zum Vergleich, wie sie ja auch im Nord-Süd-Gefälle der Union bestimmend sind.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa hat sich 2021 weiter verringert. Das aber ist nur eingeschränkt als gute Nachricht zu betrachten, denn zu befürchten bleibt, dass die Volkswirtschaften, die ohne flankierende Maßnahmen wieder zum normalen Geschehen zurückkehren, bald auch wieder Insolvenzen auf dem alten Niveau zeigen – wenn nicht sogar ein Nachholeffekt zu einer Flut von Unternehmenszusammenbrüchen führt.