„Mehr als eine kleine, aber feine Ratingagentur“
Creditreform Rating nimmt in Kürze eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Akkreditierung durch die EZB. Benjamin Mohr, Chefvolkswirt von Creditreform Rating, erklärt, warum die Anerkennung der Notenbank für Wettbewerb sorgen wird und welche Wachstumsperspektiven sich im Fall einer positiven Entscheidung für Creditreform eröffnen.
Herr Mohr, Creditreform Rating ist eine der führenden Ratingagenturen in Europa, hat aber nur einen Marktanteil von 0,53 Prozent. Wie kann das sein?
Benjamin Mohr: Der Grund ist die starke Dominanz der drei großen amerikanischen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Sie teilen mehr als 90 Prozent des Marktes unter sich auf, weltweit und auch in Europa. Das ist zu einem großen Teil historisch bedingt. Die US-Agenturen sind seit mehr als hundert Jahren aktiv. Wer im angelsächsischen Raum Finanzbedarf hat, stützt sich von jeher stark auf die Kapitalmärkte. Schuldscheindarlehen, Anleihen und weitere Finanzierungsquellen wie etwa Leasingmodelle werden dort seit langem intensiv nachgefragt. Dagegen ist das kontinentaleuropäische und insbesondere das deutsche Wirtschaftssystem traditionell stark banken- und kreditfokussiert.
Und an der Marktposition der großen Drei lässt sich nicht rütteln?
Daran arbeiten wir! Aber um nennenswert wachsen zu können, benötigen wir die Anerkennung der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie stützt sich leider bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit von Anleiheemittenten vor allem auf das Urteil von Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Neben ihnen ist es bisher nur der zum amerikanischen Finanzanalyseunternehmen Morningstar gehörenden DBRS gelungen, von der EZB akkreditiert zu werden. Das war 2009 in der Folge der Finanzkrise.
Warum ist die Anerkennung durch die EZB so wichtig?
Viele Ratings werden beauftragt, damit die Anleihen entweder in die Kaufprogramme der EZB aufgenommen oder von ihr als Sicherheit für Finanzierungsgeschäfte akzeptiert werden. Dabei gelten nur solche Papiere als notenbankfähig, die über ein Rating von zwei akkreditierten Agenturen verfügen. Bisher teilen die Big Three und DBRS diesen Markt unter sich auf. Wettbewerb sieht nach unserer Auffassung anders aus.
Wie hoch sind die Hürden für eine Akkreditierung gesteckt?
Die Anforderungen sind hoch. Trotzdem haben wir uns bereits vor vier Jahren entschlossen, den Legitimationskatalog Punkt für Punkt abzuarbeiten. Ohne die Anerkennung der EZB werden wir über den Status einer kleinen, aber feinen Ratingagentur nicht hinauskommen können. Eine große Hürde werden wir im Januar 2022 nehmen. Dann werden wir über die geforderten drei Jahre nachgewiesen haben, dass wir für zwei Drittel der Länder des Euroraums ein Länderrating sowie mindestens drei von vier Vermögenskategorien bewertet haben, also für Unternehmensanleihen, ungedeckte Bankschuldverschreibungen, gedeckte Schuldverschreibungen und Asset-Backed Securities. In jeder Anlageklasse werden wir Ratings für mindestens zehn Prozent der notenbankfähigen Vermögenswerte und Emittenten sowie für mindestens 20 Prozent der ausstehenden Nominalbeträge bereitgestellt haben.
Wie geht es danach weiter?
Wenn wir diese quantitativen Kriterien erfüllt haben, werden wir gegenüber der EZB darlegen, dass wir nach unserer Überzeugung auch qualitativ gut aufgestellt sind: Wir besitzen ein fachkundiges Team und verfügen über die notwendigen Methodiken sowie die erforderliche Software, um geforderte Ratings tagesaktuell zu übermitteln.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die EZB der Argumentation folgen und Creditreform Rating akkreditieren wird?
Das ist schwer zu beurteilen, auch weil es keinen Präzedenzfall gibt. Noch nie hat eine europäische Agentur die erste, quantitative Hürde überschritten. Die qualitativen Kriterien sind komplex, aber aus Sicht der EZB absolut nachvollziehbar. Aber wir sind zuversichtlich, dass die Notenbank schon bald die Weichen auf mehr Wettbewerb am Ratingmarkt stellen wird.
Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?
Die EZB hat zugesagt, einen entsprechenden Antrag zügig zu prüfen. Wir erwarten, ein halbes Jahr nach Vorstellung ein Ergebnis zu haben.
Und wenn es negativ ausfällt?
Dann werden wir uns die Begründung sehr genau anschauen und gegebenenfalls nachbessern. So schnell geben wir uns nicht geschlagen.
Welche Perspektiven eröffnen sich Creditreform Rating, wenn die Notenbank grünes Licht gibt?
Wir würden deutlich wachsen. Wir hoffen, unseren europäischen Marktanteil innerhalb von zehn Jahren auf etwa drei Prozent zu steigern. Das wird nicht allein aus der Hauptverwaltung in Neuss heraus möglich sein. Wir werden zusätzlich eine Niederlassung in Frankfurt eröffnen und auch an anderen europäischen Finanzplätzen Flagge zeigen. Damit wird natürlich auch eine deutliche Aufstockung der Belegschaft verbunden sein. Abgesehen von den guten Perspektiven für uns, wird aber auch der europäische Finanzmarkt von mehr Wettbewerb profitieren – in Form einer größeren Transparenz und einem Druck auf die Preise.
Sollte die EZB aber ein hartnäckiges Nein aussprechen, war dann die harte Arbeit umsonst?
Natürlich wäre das äußerst schade, aber unsere Mühen wären nicht vergeblich gewesen. Auf diese Weise haben wir uns inhaltlich weiterentwickelt. Das erworbene Know-how hilft uns schon heute in anderen Bereichen, etwa beim Rating strukturierter Schuldverschreibungen oder mit Immobilien besicherter Anleihen. Und es gibt neue Herausforderungen, denen wir uns stellen. Zum Beispiel dem Thema Nachhaltigkeit. Gesetzliche Vorschriften und gesellschaftlicher Druck sorgen dafür, dass Unternehmen aller Größenklassen immer häufiger belegen müssen, welche ökologischen und sozialen Auswirkungen ihr Handeln hat. Wir schauen im Rahmen unseres Ratingprozesses zunehmend darauf, dass die zu prüfenden Unternehmen die geforderten Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Das Thema Nachhaltigkeit wird den Finanzmarkt in den nächsten Jahren stark aufwirbeln. Deshalb stellen wir uns diesem Thema – übrigens auch bereits im Rahmen des Akkreditierungsprozesses bei der EZB.
Die Große unter den Kleinen
Die Creditreform Rating AG wurde im Jahr 2000 gegründet. Mit etwa 150 Mitarbeitern analysiert sie die Kreditwürdigkeit von Unternehmen, Banken, strukturierten Finanzprodukten sowie Ländern und bewertet das Ausfallrisiko auf der internationalen Ratingskala von AAA bis D. Zudem beurteilt Creditreform Rating Finanzinstrumente in den Assetklassen Infrastruktur, Immobilien, erneuerbare Energien, Logistik, Aviation und strukturierte Finanzierungen. Seit 2011 ist die 100-prozentige Tochtergesellschaft der Creditreform AG bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) registriert. Damit sind ihre Ratings auch für regulatorische Zwecke nutzbar. Aktuell betreut Creditreform Rating mehr als 400 Ratingprojekte für Unternehmen unterschiedlicher Branchen, die rund 5.500 gültige Anleihen aus den Bereichen Corporate Issues, Bank Issues, Bank Covered Bonds, Institutional Investor Debt und Structured Finance umfassen. Im Zuge ihrer Länderratings bewertet die Agentur neben der Bonität von Staaten als Kreditnehmer auch Schuldtitel oder finanzielle Verbindlichkeiten, die von einem Staat in Landes- oder Fremdwährung emittiert werden.
www.creditreform-rating.de
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber