Osteuropa: Der Krieg fordert auch Wirtschaftsopfer
Auch in Mittel- und Osteuropa steht die Unternehmenslandschaft im Zeichen steigender Insolvenzen. Ein Bild, dass auch die Situation in Westeuropa bestimmt: Nach einem moderaten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 2020 und 2021 auf rund 37.000 bzw. 39.000 Fälle kam es 2022 zu einem markanten Plus von über 20.000 Unternehmensinsolvenzen.
Im Jahr 2023 schließlich setzte sich dieser Zuwachs fort und brachte 64.866 zusammengebrochene Unternehmen in den Ländern Mittel- und Osteuropas. Mit plus 7,9 Prozent ist die Steigerung gegenüber dem Jahr 2022 zwar weniger dramatisch als der zweistellige Zugang in Westeuropa, doch scheint sich damit ein Insolvenzplateau nach der akuten Krise zu verfestigen, das doppelt so hoch ist wie in den 2010er-Jahren. 2019 war es noch zu 32.800 Unternehmensinsolvenzen in den Regionen im östlichen Europa gekommen.
Viele Länder schaffen noch einen Rückgang
Angeführt wird das Geschehen im Sinne hoher Steigerungsraten von Estland mit einem Plus von 44 Prozent. Anzumerken ist jedoch, dass es sich hier nur um 141 Unternehmen handelt. Insgesamt tragen die Ungarn mit 47.625 Insolvenzfällen zu mehr als zwei Drittel des Gesamtaufkommens in Osteuropa bei. Alleine ein Vergleich der beiden Länder und ihrer Insolvenzzahlen zeigt, dass sowohl das osteuropäische Insolvenzrecht als auch die Erfassung von Insolvenzen durch die Statistischen Landesämter sehr unterschiedlich sind. So betrifft die hohe Zahl von Ungarn gleichermaßen Insolvenzen wie auch Liquidationen von Unternehmen. Gerade diese Löschungen werden in vielen Ländern – wie auch in Deutschland – gesondert erfasst. Auf der anderen Seite gilt für viele Länder auch Westeuropas, dass etwa Insolvenzanträge von Selbstständigen und natürlichen Personen nicht aufgenommen werden. Hinzu kommt die Besonderheit, dass bei einem Mangel an Masse nicht nur kein insolvenzrechtlich relevantes Verfahren durchgeführt wird, sondern auch die Anträge nicht erfasst werden. So ist also ein Vergleich der historischen Entwicklung über die letzten Jahre für die einzelnen Länder, aber auch für die Gesamtheit der osteuropäischen Staaten, sinnvoller als eine Gegenüberstellung einzelner Länder mit ihren jeweiligen Zahlen. Ein gutes Beispiel aus der aktuellen Statistik ergibt einen Vergleich Polens mit Rumänien. Während Polen nur 261 Unternehmensinsolvenzen für 2023 nennt, sind es in Rumänien mit einem wesentlich kleineren Unternehmensbesatz 6.650 Insolvenzanträge.
Unterschiede in Recht und Statistik
Entscheidend für die Bewertung der Lage in Osteuropa ist die Steigerung der Zahlen in den letzten Jahren, die 2023 gegenüber dem Vorjahr plus 7,9 Prozent beträgt. Insgesamt stellt der Jahresvergleich eine positivere Entwicklung als in Westeuropa dar. Im Osten des Kontinents sind, anders als in Westeuropa, in den meisten Ländern deutliche Rückgänge zu sehen. Am stärksten rückläufig präsentieren sich Kroatien (minus 22,3 Prozent), Lettland (minus 21,2 Prozent) und Litauen (minus 13,1 Prozent). Ein Plus bei den Insolvenzen verzeichnen neben Estland auch die Slowakei (plus 19 Prozent) und Ungarn (plus 14,6 Prozent).
Wie unterschiedlich das Insolvenzrecht aufgestellt ist und entsprechend verschieden die Statistiken ausfallen, zeigt einmal mehr das Beispiel Polen, für das Zahlen zu den betroffenen Arbeitnehmern vorliegen. Es ist die Rede von 11.000 betroffenen Mitarbeitern. Dies bedeutet, dass bei 261 Unternehmensinsolvenzen im Durchschnitt bei jeder Pleite mehr als 42 Beschäftigte freigesetzt werden. In jedem Land ist das Insolvenzgeschehen von eher kleinen Unternehmen bestimmt. So machen in Deutschland insolvente Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern nur rund 18 Prozent aller Unternehmensinsolvenzen aus. Dabei zeigen die betroffenen Branchen, wie in Polen nur größere Unternehmen erfasst werden – so ist das Verarbeitende Gewerbe hier mit rund 30 Prozent an den Insolvenzen beteiligt, in Deutschland nur mit 7,4 Prozent. Dennoch ist ein Blick auf die vorliegenden Zahlen zu den Wirtschaftssektoren in den einzelnen Ländern Osteuropas interessant. In fast allen Ländern dominiert der Handel das Insolvenzgeschehen – da herrscht große Ähnlichkeit mit dem Aufkommen in Westeuropa. Es gilt als ein Zeichen hochentwickelter Volkswirtschaften, dass der Dienstleistungssektor einen dominanten Einfluss gewinnt. Beim Insolvenzaufkommen von Dienstleistungsunternehmen wird dann auch der Unterschied in der Entwicklung zu Westeuropa deutlich: Während im Westen gut 40 Prozent aller Pleiten Dienstleister sind, sind es im Osten etwa 30 Prozent. Eine höhere Betroffenheit von Dienstleistern zeigen Lettland und Litauen mit etwa einem Drittel der Insolvenzfälle sowie Ungarn mit 38,1 Prozent.
Konjunktur und Krieg
Auch in Osteuropa ist es die Kombination von schwacher Konjunktur und den Spannungen, die sich durch den Krieg in der Ukraine ergeben, die zusammen für die steigende Zahl von Unternehmensinsolvenzen verantwortlich sind. Ein deutlicher Rückgang des Bruttoinlandsprodukts zeigt dies: Das BIP reduzierte sich von 4 Prozent Wachstum im Jahr 2022 auf weniger als 0,5 Prozent 2023. Dabei liegt die Betroffenheit vom Krieg in der Ukraine für die osteuropäischen Staaten auf der Hand – sie haben den Krieg und seine Auswirkungen vor der Haustür. Ein Weiteres stellt die Konjunkturschwäche der Partner in Westeuropa dar, die weniger Waren und Dienstleistungen abgenommen haben. Gerade Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner für viele Länder in Osteuropa.
Quellen: Coface, Creditreform, Statistische Landesämter