„Wenn es kracht, dann richtig“ – eher große Unternehmen werden insolvent
Ein erster Fingerzeig: Aktiengesellschaften haben ihren Anteil am Gesamtaufkommen der Rechtsformen insolventer Unternehmen von 0,5 auf 0,7 Prozent gesteigert. Tatsächlich rückläufig waren im ersten Halbjahr 2022 kleine Unternehmen in ihrer Teilhabe am Gesamtaufkommen an Unternehmenspleiten.
Dagegen hat sich der Anteil der Großunternehmen mit Umsätzen von über 50 Mio. Euro im Jahr verdoppelt. Diese machen zwar insgesamt nur 1,1 Prozent aller Fälle aus, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es jedoch nur 0,5 Prozent. Aber auch die Zahl mittelgroßer Unternehmen mit Umsätzen zwischen 0,5 und 5,0 Mio. Euro erhöhte sich von 34 auf 37 Prozent. Es ist vor allem der industrielle Bereich, in dem die großen Insolvenzfälle zu Hause sind. Bezieht man unter die größeren Insolvenzen Betriebe mit mehr als 5,0 Mio. Euro Jahresumsatz mit ein, so sind im Verarbeitenden Gewerbe rund ein Viertel der Insolvenzen dieser Größenklasse angesiedelt. Ganz anders sieht das im strukturell völlig verschiedenen Dienstleistungssektor aus, wo fast die Hälfte der Fälle einen Jahresumsatz von höchstens 250.000 Euro erwirtschaftet. Dabei ist noch darauf zu verweisen, das im tertiären Sektor der Dienstleister eine Vielzahl von Solo-Selbstständigen, etwa im konsumnahen Bereich, unterwegs sind, die ein vereinfachtes Verfahren nutzen und sich wie Verbraucher auf kurzem Weg in eine Entschuldung begeben können.
Industrie betroffen
Nicht nur, weil im industriellen Bereich mehr große Unternehmen angesiedelt sind, sondern weil das Verarbeitende Gewerbe insgesamt eine deutliche Zunahme unter den insolventen Unternehmen insgesamt zeigt, zeichnet sich hier eine bedenkliche Entwicklung ab. Die Zahl der Insolvenzen im Verarbeitenden Gewerbe hat um 14,9 Prozent zugenommen. Gesteigert hat sich aber auch das Insolvenzgeschehen im Bausektor mit einem Plus von über 19 Prozent. Dagegen gingen sowohl im Handel als auch bei den Dienstleistern die Insolvenzen im ersten Halbjahr 2022 zurück. Der Anstieg der „Großen“, wie er an den Umsatzgrößenklassen und den Rechtsformen festzumachen ist, aber auch die Entwicklung im mittelständisch größeren Bereich entspricht der Zunahme bei der Schadenentwicklung, denn die Betriebe in diesem Sektor sind insgesamt größer im Hinblick auf ihre Umsätze und Beschäftigtenzahlen.
Viel Arbeit für Sanierer
Auch andere Beobachter des Insolvenzgeschehens, Sanierer oder Versicherer, weisen auf die bedenkliche Entwicklung hin zu betroffenen größeren Unternehmen hin. Die Falkensteg GmbH, die das Insolvenzgeschehen auch aktuell beobachtet, schrieb bereits im ersten Quartal, dass Betriebe mit einem Umsatz über 20 Mio. Euro ihren Anteil am Insolvenzaufkommen in dieser Größenklasse um ein Drittel vermehrt hatten. Falkensteg führt weiter aus, „dass bereits zum Ende des vergangenen Jahres bei den großen Insolvenzen ein Zuwachs von 19 Prozent zu registrieren war und gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar ein Anstieg von 71 Prozent“. Die großen Insolvenzfälle sind vor allem im Verarbeitenden Gewerbe zu finden. Demgegenüber ist der Dienstleistungssektor, der immer noch das Gros der Insolvenzen auf sich vereinigt, schon strukturell deutlich seltener vertreten. Im industriellen Bereich ist fast jede zehnte Pleite die eines Betriebes mit mehr als 25 Mio. Euro Jahresumsatz. Aber noch auf ein weiteres verweisen die Düsseldorfer Berater: Bedenklich ist, dass bereits im ersten Quartal, bevor die Ukraine-Krise sich bemerkbar machen konnte, die positiven Verfahrensausgänge ins Stocken gerieten. Von den 73 aus 2021 gezählten Großinsolvenzen gelang nur in 27 Fällen ein Neustart. Die Quote geretteter Unternehmen liegt nach den Berechnungen von Falkensteg bei nur 36 Prozent und zählt damit zu den schwächeren Ergebnissen seit 2017. So waren im ersten Quartal 2021 noch 102 Fälle abgeschlossen worden – das waren immerhin 56 Prozent des Aufkommens der großen Fälle.
Und so lässt auch das IWH in Halle verlauten: „Das Insolvenzgeschehen wird seit mehreren Monaten deutlich stärker von der Industrie geprägt“. Dabei sind es nach Ansicht der Forscher des Institutes im ersten Quartal weniger die Ukraine-Krise als die bereits länger anhaltenden Probleme, die vor allem im Bereich der Industrie auch zu Lohn- und Einkommenseinbußen der Beschäftigten führten.
Auch die Allianz-Trade-Studie spricht die Herausforderungen an, mit denen sich gerade große Unternehmen konfrontiert sehen. Überall ist die Rede vom Reißen der Lieferketten, von den gestiegenen Arbeitskosten bei noch ausstehenden Tarifverhandlungen, aber vor allem von den Engpässen, die bei der Energie und den Rohstoffen drohen. Auch in der Studie der Allianz heißt es: „Es gab weniger Insolvenzen, dafür aber besonders große“. In diesem Zusammenhang sprechen die Versicherer auch die Gesamtverschuldung aller insolventen Unternehmen an. Ihre Berechnungen kommen für das Jahr 2021 auf eine Steigerung von 10,5 Prozent mit einer Gesamtsumme von über 48 Mrd. Euro. Die Steigerung des Schadenniveaus ist für die Allianz schon das dritte Jahr in Folge erfolgt. Die Gesamtverschuldung stieg nämlich 2019 bereits um 26 Prozent und 2020, im ersten Jahr der Krise, um mehr als 65 Prozent. Aber noch macht die Allianz auch Hoffnung, wenn sie feststellt, dass gefährdete Unternehmen in Deutschland 2021 ihren Anteil von 7 auf 6 Prozent reduziert haben. Aber dennoch spricht man auch in dieser Studie von einem künstlich niedrigen Niveau und weiter davon, dass sich das Insolvenzgeschehen durch die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und ihren Problemen abgekoppelt habe.
Quellen: Creditreform, Falkensteg GmbH, IWH