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Abenteuer Ausland: Wo sich Investitionen lohnen

Hohe Energiepreise, fehlende Fachkräfte, zu viel Bürokratie – der gute Ruf vom Standort Deutschland bekommt Risse. Umso wichtiger wird der Blick über den Tellerrand. Interessante Länder, in denen deutsche Unternehmen eine Fertigung errichten oder einen Absatzmarkt erschließen können, gibt es viele. Neben Chancen lauern dort aber auch kaum vorhersehbare Risiken.

Ein Engagement im Ausland kann im Desaster enden. Thyssenkrupp weiß ein Lied davon zu singen. Der Bau eines Stahlwerks in Brasilien ging in den Nullerjahren als eine der größten Fehlinvestitionen in die deutsche Wirtschaftsgeschichte ein. Explodierende Baukosten, unvorteilhafte Währungsschwankungen, unrentable Stahlproduktion, versenkte Milliarden, das Werk längst zum Schleuderpreis wieder verkauft.

Das Beispiel des Stahlkonzerns hatte die Tönnjes International Group vermutlich nicht vor Augen, als sie im vergangenen Oktober feierlich ihr neues Werk in der ägyptischen Hauptstadt Kairo in Betrieb nahm. Sämtliche Kfz-Kennzeichen des Landes sollte das norddeutsche Unternehmen im Joint Venture mit einem lokalen Partner fortan im Auftrag des ägyptischen Innenministeriums fertigen, drei bis vier Millionen pro Jahr.

„Ägypten ist aus unserer Sicht ein Land mit viel Potenzial“, sagt Geschäftsführer Jörn Bertram. „Aber wir haben im Moment sehr große Probleme mit der Abwertung des ägyptischen Pfund.“ Zwar sind Währungsrisiken des Unternehmens täglich Brot, an vielen der weltweit mehr als 50 Standorten ein wiederkehrendes Problem, in Südafrika oder Brasilien, zuletzt in Peru und Kolumbien. Doch in Ägypten verschmelzen sie ausgerechnet jetzt mit einer restriktiven Devisenbewirtschaftung. Tönnjes ist auf Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen und muss dafür Euro oder Dollar auf den Tisch legen – Währungen, die das Unternehmen vor Ort gegenwärtig nicht mehr bekommt. Für die Produktion der Kennzeichen wird insbesondere Aluminium benötigt. „Wir haben eine sehr moderne Fabrik in Kairo. Wir haben einen Auftrag, den wir gerne erfüllen möchten. Aber wir kriegen keine Rohstoffe ins Land“, sagt Bertram. „Aufbauen konnten wir es sehr schnell und professionell. Aber dieses Werk steht nun still.“ Wann die Fabrik in Kairo wieder hochfährt oder ob sie gar abgewickelt werden muss, ist aktuell völlig unklar.

EU-Binnenmarkt bleibt am beliebtesten


Mit großen Erwartungen waren die Delmenhorster in das Abenteuer Ägypten gestartet, wie eigentlich alle Unternehmen, die den Schritt über die Landesgrenzen wagen. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) aus dem März wollen 41 Prozent der deutschen Industriebetriebe, die bereits im Ausland aktiv sind, auch in diesem Jahr im Ausland investieren. „Bei den Motiven ist neben den klassischen Beweggründen wie Kundenbindung und Markterschließung die Kostenersparnis wieder auf dem Vormarsch“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Während der Anteil der Betriebe, die in China investieren wollen, abnimmt, gewinnen der restliche asiatische Raum sowie Nordamerika an Bedeutung. Am wichtigsten bleibt der EU-Binnenmarkt. 71 Prozent der befragten Industriebetriebe wollen in der Eurozone frisches Geld in die Hand nehmen, am häufigsten die Ge- und Verbrauchsgüterproduzenten (80 Prozent), am seltensten die chemische Industrie (58 Prozent). Als Absatzmarkt klar auf dem Vormarsch ist etwa Polen. Das östliche Nachbarland lag nach Angaben des Statistischen Bundesamts im April 2023 schon auf Platz drei der wichtigsten Exportmärkte innerhalb Europas für deutsche Produkte, hat in den vergangenen Jahren Belgien, die Schweiz, Italien, Österreich und sogar Großbritannien überholt. Nur Frankreich und die Niederlande nehmen noch mehr Waren „Made in Germany“ in Empfang.

Doch nicht nur der Absatz, auch die Produktion in Polen kann sich lohnen. Mit durchschnittlichen Arbeitskosten von 12,50 Euro rangiert das Land in der Teuer-Rangliste auf Rang 22 von 27 EU-Staaten. In Deutschland sind sie laut Statistischem Bundesamt mit durchschnittlich 39,50 Euro mehr als dreimal so hoch. Am kostspieligsten ist Luxemburg mit 50,70 Euro, am billigsten Bulgarien mit 8,20 Euro. Erst im Juni kündigte das US-Unternehmen Intel an, in Breslau für 4,2 Milliarden Euro eine neue Chipfabrik bauen zu wollen.

Schwieriges Geschäft in der Türkei

An Attraktivität verlieren laut DIHK-Umfrage dagegen Investitionen in Russland – aus bekannten Gründen –, außerdem in die südosteuropäischen Länder an der EU-Peripherie sowie in die Türkei. Unter Erdogans unorthodoxer Währungspolitik taumelt die türkische Lira immer weiter talwärts. Die Produzenten vor Ort können dadurch Importgüter zur Weiterverarbeitung schwerer bis gar nicht mehr beschaffen – ähnlich wie Tönnjes in Ägypten – und müssen ihre Preise teils drastisch erhöhen. Das betrifft etwa deutsche Unternehmen aus der Auto- oder Textilindustrie, von denen viele am Bosporus produzieren. Auch die Nachfrage der türkischen Konsumenten leidet angesichts der ins Bodenlose fallenden Lira. Für ausländische Investoren wird das Land Experten zufolge zusehends unattraktiver. Ähnliches lässt sich auch über Großbritannien sagen. Drei Jahre nach dem Brexit beklagen in einer Umfrage der Unternehmensberatung KPMG 51 Prozent der befragten deutschen und britischen Unternehmen eine Verschlechterung der Wirtschaftslage im Vereinigten Königreich, nur 14 Prozent sprechen von einer Verbesserung. Die Verwaltungsaufwände seien genauso gestiegen wie die Mehrkosten, was auf die Margen drücke. Gleichzeitig biete die Insel aber weiterhin ein geschäftsfreundliches Umfeld, vergleichsweise geringe Regulierung und wenig Bürokratie.

Auch eine andere Insel gilt nicht uneingeschränkt als Markt der Zukunft – wenngleich aus anderen Gründen. In Japan wurden im Jahr 2022 erstmals weniger als 800.000 Babys geboren, vor 40 Jahren waren es noch 1,5 Millionen. 29 Prozent der Japaner sind älter als 65 Jahre, so viele wie in keinem anderen Land auf dem Globus, 15 Prozent haben sogar schon die 75 Jahre überschritten. Das Land vergreist, das Arbeitskräfteangebot geht noch schneller zurück als im Westen. „Die Rekrutierung von gut ausgebildetem Personal bleibt die größte Herausforderung und hat an Signifikanz gegenüber dem Vorjahr sogar noch weiter zugenommen“, sagt Marcus Schürmann, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Außenhandelskammer Japan. „Das hat Einfluss auf das Wachstum und beeinflusst langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen vor Ort.“ In der Gegenwart aber können diese prächtig verdienen. Laut Geschäftsklima-Umfrage von AHK Japan und KPMG erzielten 93 Prozent der deutschen Unternehmen in Japan letztes Jahr Gewinne vor Steuern – 11 Prozent mehr als 2021. Sie profitieren vom Zugang zu innovativen und hochspezialisierten Lieferanten, können zudem ihre Abhängigkeit von China reduzieren.

Politische Stabilität ist entscheidend

Als Standort für die regionale Asien-Zentrale ist Japan schon beliebter als China und Singapur. Das Land bietet ökonomische, politische und soziale Stabilität. Für 96 Prozent der deutschen Unternehmen ist das der größte Standortvorteil. „Es ist ein sehr wichtiges Kriterium, ob das Land politisch stabil ist“, bestätigt Jörn Bertram. Die Norddeutschen verlassen sich vor einem Markteintritt nicht nur auf öffentlich zugängliche Informationen und Länderratings. Sie ziehen auch ihren Joint-Venture-Partner ins Vertrauen, richten ihre Investitionsentscheidung nach dessen Einblicken und Einschätzungen aus – wenngleich nicht immer mit Erfolg. In einem lateinamerikanischen Land sei es schon vorgekommen, dass Tönnjes von einem öffentlichen Auftraggeber mit einem Fünfjahresvertrag ausgestattet wurde und fleißig investierte, der Vertrag aber nach zwei Jahren wieder entzogen wurde. Es braucht nur eine staatliche Intervention und alle guten Vorsätze sind obsolet. Aktuell plant Tönnjes den Aufbau eines neuen Werks in Taiwan. „Der taiwanesische Markt ist für uns sehr interessant, da er sehr technologiegetrieben ist“, sagt Bertram. Aber ein politisches Risiko bestehe natürlich auch dort. „Wir beobachten die aktuelle Situation in Taiwan sehr genau.“

Globaler Fachkräftemangel droht

Probleme, Arbeitskräfte zu finden, hatte Tönnjes bislang so gut wie noch nirgendwo auf der Welt. „Das Problem wird sich in den nächsten Jahren aber verschärfen“, glaubt Bertram. In Zukunft würden weniger Werker und Facharbeiter gebraucht, dafür mehr IT-Fachkräfte. Denn die Produkte und

Prozesse der Schilderhersteller werden immer stärker digitalisiert, was sich auf das geforderte Qualifizierungs­niveau auswirkt. Ein steigendes Bildungsniveau, IT-Affinität und eine junge Bevölkerung – das sind Argumente, die für einen aufgehenden Stern unter den Schwellenländern sprechen: Indien. Der Subkontinent hat 1,425 Milliarden Einwohner und die Zahl hört vorerst nicht auf zu wachsen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg verdreifachte der US-Konzern Apple im vergangenen Jahr seine iPhone-Produktion in Indien und eröffnete den ersten Apple-Store. Schon 2025 könnte ein Viertel der weltweit hergestellten iPhones aus Indien kommen. Apple-Chef Tim Cook frohlockte angesichts der wachsenden Mittelschicht bereits, dass Indien zu einem Schlüsselmarkt für Apple werde, womöglich sogar größer als China.

Unterdessen diversifiziert auch Apple-Zulieferer Foxconn, baut Kapazitäten in Indonesien, Thailand und Vietnam auf. „Aus unserer Sicht werden die Absatzmärkte in Asien und Westafrika immer wichtiger“, weiß auch Bertram. Er nennt als Beispiel die Philippinen mit ihren mittlerweile mehr als 110 Millionen Einwohnern, Tendenz steigend. Gute Erfahrungen habe sein Unternehmen zudem in Südamerika gemacht, speziell in ­Peru, wo man sogar eine IT-Abteilung mit gut ausgebildeten Softwareentwicklern aufgebaut habe. „Die europäischen Märkte werden dagegen zunehmend uninteressanter für uns“, sagt er. Aktuell bereitet Tönnjes den Markteintritt in Algerien, Benin und der Elfenbeinküste vor. Schlimmer als in Ägypten wird es schon nicht werden.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Sebastian Wolking 
Bildnachweis:  primeimages / Getty Images



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