Creditreform Magazin

Das große Bewerberwerben

Unternehmen, die Personal suchen, gibt es trotz der Corona-Pandemie reichlich. Allerdings heißt suchen nicht finden. Denn viele Fachkräfte wollen Sicherheit und scheuen einen Wechsel. Betriebe, die überzeugen wollen, müssen ihre Anstrengungen erhöhen und kreativer werden.

Hätte sie keine Fahrer, könnte Vera Lanz sprichwörtlich einpacken. Ihr Unternehmen, die Stuttgarter Lanz Hebebühnen- & Nutzfahrzeugvermietung, braucht Lastwagenfahrer, um Geschäft zu machen. Ihre Mitarbeiter transportieren in der ganzen Region Raupenkräne, Hebe- und Scherenbühnen zu Auftraggebern aller Art. Nur sind Lkw-Fahrer rar gesät, dazu muss man nicht nach Großbritannien schauen. Der Mangel an Fahrern herrscht auch in Deutschland seit einer halben Ewigkeit. 

„Wir suchen Lkw-Fahrer per Headhunter. Das hat bislang gut funktioniert.“
Vera Lanz, Lanz Hebebühnen- & Nutzfahrzeugvermietung

Wie reagiert die 32-jährige Lanz auf die Misere? Sie schaltet Stellenanzeigen, sie ist in den sozialen Medien aktiv, sie macht Mund-zu-Mund-Propaganda – und sie beschäftigt eine Personalberatung. Die Dienste der Personalprofis haben Lanz’ Eltern schon vor rund 15 Jahren in Anspruch genommen. Petra und Ralf Lanz, Gründer der Firma, arbeiten seitdem mit einer lokalen Headhunterin zusammen. „Das hat bislang immer gut funktioniert“, sagt Vera Lanz. Sie kann im Gegensatz zu manchem Wettbewerber einige Vorteile ihres Betriebs aufzählen: „Die Lkw-Fahrer werden fest und unbefristet angestellt, sie fahren die Ware nur wochentags zu normalen Büroarbeitszeiten aus. Kein Schichtdienst, keine Wochenendarbeit.“

Mehr als 130 Engpassberufe

Vera Lanz’ händeringendes Werben um Lkw-Fahrer ist nur eins von vielen Beispielen für den Fachkräftemangel. Die Bandbreite der suchenden Branchen ist enorm. Im Dienstleistungssektor klagt laut KfW-ifo-Barometer inzwischen jede zweite Firma über fehlende Fachkräfte, im Verarbeitenden Gewerbe ist es mit 37 Prozent mehr als jede dritte. Die Bundesagentur für Arbeit weist inzwischen mehr als 130 Berufsgattungen als sogenannte Engpassberufe aus. 

Wirklich überraschend kommt der Mangel nicht. Davor dass der demografische Wandel auf den Arbeitsmarkt durchschlagen werde, warnen Experten schon seit Jahren. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet allein aufgrund der vorhandenen Altersstruktur damit, dass das sogenannte ­Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2030 um 14 Prozent und 6,1 Millionen Menschen sinkt.
 
Die Vorläufer dieser Entwicklung spüren einige Branchen bereits sehr deutlich. Beispiel Maschinen- und Elektrobranche. Zunächst erfreulich ist: In den Unternehmen zeichnet sich ein erkennbarer Beschäftigungsaufbau ab. Nach einer Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau wollen 82 Prozent der Personalverantwortlichen im kommenden halben Jahr zusätzliches Personal einstellen. 61 Prozent der Befragten möchten in den nächsten sechs Monaten mehr Stellen für Fachkräfte anbieten, 39 Prozent möchten mehr Stellen für Ingenieure und 38 Prozent für Meister und Techniker anbieten. Doch oft bleibt es beim Angebot. Auf 100 offene Stellen in der Bauelektrik etwa kommen lediglich 25 Arbeitslose, bei Mechatronikern sind es 34 und bei studierten Elektrotechnikern 29. 

Sicherheit schlägt Zufriedenheit

Wie es in der Praxis zugeht, weiß Marco Henry Neumueller, Partner der internationalen Personalberatung Odgers Berndtson, gut. „Die Anzahl der Menschen, die sich auf freie Positionen bewerben, hat massiv abgenommen“, sagt Neumueller. „Wenn wir beispielsweise einen Bereichsleiter für die globale Entwicklung bei einem der Hidden Champions in ländlicher Gegend suchen, dann müssen wir heute schon auch mal bis zu 260 Personen ansprechen, damit wir einen Willigen finden.“ Noch vor zwei bis drei Jahren sei es ein Drittel gewesen. Neumuellers Erklärung: „Die Menschen sind wegen der Corona-Pandemie verunsichert und bleiben lieber in ihren ungekündigten Arbeitsplätzen.“ Selbst wenn sie massiv unzufrieden seien, wagen sich viele nicht aus der Komfortzone, berichtet der Headhunter. Statt etwas zu verändern, ärgern sie sich darüber, dass ihr Arbeitgeber an der Präsenzkultur festhält, es kein vertrauensvolles Miteinander gibt. Zu wenig neue Arbeitskultur, zu viel Silodenken. „So etwas können sich selbst Hidden Champions mit einem heute stabilen Geschäftsmodell eigentlich nicht mehr leisten“, sagt Neumueller.

 „Die Menschen sind wegen der Pandemie verunsichert und bleiben lieber in ihren ungekündigten Arbeitsplätzen.“
Marco Henry Neumueller, Partner der Personalberatung Odgers Berndtson

Über die Mühen der Personalsuche kann auch Anja Sievers-Sack, Personalchefin der Basler AG aus Ahrensburg bei Hamburg, berichten. Ihr Unternehmen stellt mit rund 850 Mitarbeitenden Industriekameras her, technische Berufe sind hier also dominant – und neues Personal werde dringend gesucht. 120 neue Mitarbeitende will Sievers-Sack in den nächsten zwölf Monaten einstellen, 70 Prozent davon Informatiker und Ingenieure. Sie setzt dabei auf einen Mix aus der herkömmlichen Schaltung von Stellenanzeigen, der Teilnahme an Pitch-Veranstaltungen, wo Firmen sich Interessierten präsentieren, sowie der Direktansprache durch spezialisierte Dienstleister, die Social-Media-Plattformen durchsuchen. „Der effektivste Weg ist sicherlich die Direktansprache“, sagt die Personalexpertin. Insbesondere bei Zielgruppen wie Softwareentwicklern sei das am erfolgversprechendsten. Es wecke Interesse bei Talenten, die nicht aktiv auf der Suche nach einem neuen Job sind, und erzeugt bei einem attraktiven Angebot einen Wechselwunsch. Allerdings nur mit einer attraktiven Story, bestehend aus einer modernen Unternehmenskultur, spannender Technologie und Entwicklungsperspektiven. 

Dialog statt Assessment

Auch die Atmosphäre sei wichtig, sagt Sievers-Sack. „Bewerbungsinterviews sind nicht mehr Stresstests, sondern inspirierende Dialoge.“ Zugleich kann es für Sievers-Sacks Team durchaus mal stressig werden. Weil Kandidaten in Zeiten eines Bewerbermarktes mehrere Angebote vorliegen haben, zähle Schnelligkeit und Genauigkeit, sagt Sievers-Sack. Daher kommt es immer wieder mal vor, dass die Interviewer in das finale Bewerbungsgespräch mit dem jeweiligen Kandidaten bereits mit dem fertigen Arbeitsvertrag gehen. „So bekommt der Bewerber eine sofortige Entscheidung und kann uns nicht mehr so schnell entkommen“, sagt Sievers-Sack augenzwinkernd. 


Personalengpässe werden zum Geschäftsrisiko

Anteil Unternehmen, die im Jahr 2021 Stellen nicht besetzen konnten

  • Bau: 66 %
  • Industrie: 53 %
  • Dienstleistungen: 50 %
  • Handel: 45 %
     

Quelle: DIHK-Fachkräftereport 2021


Nicht viel einfacher ist die Personalsuche im Handwerk. Die Elektrobau Coburg GmbH setzt auf pfiffige Videospots und die Anwerbung von Praktikanten direkt aus den Schulen heraus. „Vor vier Jahren haben wir erstmals eine Kampagne mit Videospots gefahren, diese über die sozialen Medien verbreitet“, erzählt Hans Zapf, einer von drei Geschäftsführern der Firma mit rund 13 Mitarbeitern. Immerhin sei der Bekanntheitsgrad der Firma gestiegen, aber das Recruiting-Ergebnis sei überschaubar ausgefallen. Fachlich geeignete Bewerber hätte es dadurch nicht gegeben, auch würde generell kaum jemand aus einem festen Angestelltenverhältnis wechseln. Deutlich mehr Erfolg bringt die Rekrutierung von Praktikanten, die später zu Auszubildenden werden und dann übernommen werden. „60 Prozent unserer Belegschaft sind ehemalige Auszubildende und auch teils Praktikanten“, sagt Zapf. Er ist sich sicher, dass auch im Handwerk Headhunter aktiver werden, vor allem bei größeren Firmen. „Das zielgerichtete Identifizieren von geeigneten Mitarbeitern wird deutlich zunehmen.“ Die Ansprache habe aber auch ihre Grenzen. „Es verbietet der Anstand, dass man bei Mitbewerbern direkt Mitarbeiter anspricht“, sagt Zapf. Er selbst hält es auch so, wenn sich Angestellte von Konkurrenten direkt bei ihm bewerben. Dann hält er Rücksprache mit dem Geschäftsführer des Konkurrenten. „Dieser Anstand ist ein bisschen verloren gegangen, ich halte aber daran fest.“

Renaissance der Zeitung

Mit eher herkömmlichen Ansprachen hat Holger Feikes gute Erfahrungen gemacht. Feikes ist Netzwerkmanager des Metall- und Maschinenbaunetzwerkes bei der Emsland GmbH. Er verschickt wöchentlich einen Newsletter an rund 900 Firmen der Region und präsentiert dort manchmal gleich mehrere Fachkräfte. Interessierte Firmen melden sich darauf beim Netzwerkbüro, um weitere Details und die Kontaktdaten zu den suchenden Spezialisten zu bekommen. 

Aber auch für die Suche nach Auszubildenden wird neben digitalen Kanälen und Formaten nach wie vor auf ein klassisches Konzept gesetzt: Eine jährlich in Zusammenarbeit mit dem NOZ-Verlag produzierte Ausbildungsbeilage erhielt in Pandemiezeiten sogar seitenweise Zuwachs und liegt regelmäßig mehreren regionalen Zeitungen bei. „Diese Beilage kann nicht einfach digital weggewischt werden, sondern liegt im Elternhaus häufig an präsenten Stellen, um quasi ständig mahnend Aktivität einzufordern“, sagt Feikes. Die Beilage habe auch umso mehr Anhänger zurückgewonnen, weil Jobmessen wegen der Pandemie kaum stattfinden. 

Selbst recht unbekannte Ausbildungsberufe wie der Verfahrensmechaniker für Beschichtungstechnik, für die das Emsland mit seinen zahlreichen Beschichtungsunternehmen eigentlich eine Hochburg ist, bekommen wieder mehr Zulauf. „Der Beruf war wenig bekannt und somit kaum im Fokus, zumal das Image aufgrund von Schutzanzug, Farbe, Pulver und Chemie ramponiert war, insbesondere bei den hier stark beeinflussenden Eltern.“ Eine Imagekampagne mit authentischen Beiträgen direkt aus den teilnehmenden Unternehmen, ausgestrahlt auf Facebook, Tiktok und Instagram, habe den Trend gebrochen. Pfiffige Unternehmen wissen seitdem, mit passenden Angeboten zu werben. „Manche zahlen den Auszubildenden in der Ausbildungszeit Netflix oder stellen ihnen kostenlos einen Roller zur Verfügung.“

Mitarbeiter als Markenbotschafter

Headhunter Neumueller plädiert für einen ganzheitlichen Ansatz. „Jeder Mitarbeiter einer Firma ist auch deren Markenbotschafter und ein Stück weit Recruiter.“ Gerade Familienunternehmen in der Provinz, die noch dazu erklärungsbedürftige Geschäftsmodelle haben, müssten aus der Deckung rauskommen und ihre vornehme Zurückhaltung ablegen. Öffentlichkeitsscheu vorzugehen, sei nicht mehr zeitgemäß, meint Neumueller. Wenn Firmen in einem nahen Radius mit Großkonzernen konkurrieren und nicht deren Gehälter aufrufen können, müssen sie eben mit anderen Vorteilen werben und diese umso lauter und deutlicher benennen.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Martin Scheele



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