Creditreform Magazin

Grüne Transformation - Von 100 auf null

Der Ukraine-Krieg hat Schockwellen durch Europa geschickt, Energie knapp und teuer gemacht. Schwere Zeiten für die Unternehmen, von denen sich viele momentan eher um ihren Cashflow sorgen als ums Weltklima. Doch für manche ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um ihre Klimastrategie mit Weitsicht voranzutreiben.

Kuchenmeister ist ein Klima-Champion. Als solchen verstehen sich die Großkonditoren aus Soest zumindest selbst. Die Westfalen machen bei der Klimaschutzinitiative „ZNU goes Zero“ der Privatuni Witten-Herdecke mit, der sich rund 100 mittelständische Unternehmen aus ganz Deutschland angeschlossen haben. Eigentlich hatte Kuchenmeister schon im vergangenen Jahr an seinen Unternehmensstandorten „zu 100 Prozent nettoklimaneutral“ arbeiten, also sämtliche Treibhausgase entweder vermeiden oder kompensieren wollen. Die vom Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise aber durchkreuzte die großen Pläne. „Da bisher nicht sichergestellt werden kann, dass es nicht wieder zu energetischen Engpässen kommt, wollen wir uns zurzeit noch auf kein neues Datum festlegen, bis wann wir die Nettoklimaneutralität erreichen“, sagt Fabian Meiberg, Head of Business Development & Marketing bei Kuchenmeister. 2021 hatte das Unternehmen noch ausschließlich Ökostrom eingekauft, ein Jahr später kam auch wieder konventioneller Strom aus den Steckdosen. Das Teilziel, im laufenden Jahr 80 Prozent aller Verpackungen aus recycelbaren Materialien herzustellen, scheint ebenfalls unerreichbar. „Aufgrund der Schwierigkeiten auf den Beschaffungsmärkten im vergangenen und auch noch in diesem Jahr sind wir froh, dass wir alle benötigten Verpackungsmaterialien überhaupt bekommen“, so Meiberg. Auch andere Mitglieder aus dem „ZNU goes Zero“-Netzwerk haben ihre Ziele vorerst auf Standby gestellt. Eine einzige Malaise für Betriebe, die sich Sorgen ums Klima machen, aber auch aus Eigennutz Energie sparen wollen. 

Energie- und CO2-Einsparerfolge motivieren

„Kompensation ist für uns der letzte Schritt. An erster Stelle steht die Steigerung der Energieeffizienz, dann die Eigenversorgung, zum Schluss die Kompen­sation“, sagt Jan Eschke, Leiter Digitalisierung, Innovation und Ressourceneffizienz bei der Worlée-Chemie GmbH in Hamburg. Für Digitalisierung und Innovation habe er kaum noch Zeit, scherzt Eschke, weil er sich fast nur noch um die dritte Stelle in seiner Positionsbeschreibung kümmern müsse. Worlée stellt in seinen zwei Werken in Lauenburg bei Hamburg und Lübeck Bindemittel für Farben und Lacke her, Gewürzmischungen und Nahrungsergänzungsmittel für die Lebensmittel-, Pigmentdispersionen für die kosmetische Industrie. Viele kleine Maßnahmen haben die Rohstoffproduzenten eingeleitet, nachdem sie erstmals im Jahr 2000 ein Umweltmanagementsystem nach dem Standard ISO 14001 einführten: Schnelllauftore eingebaut, Abfälle thermisch wiederverwertet, Elektromotoren eingesetzt, herkömmliche Lampen durch LEDs ausgetauscht. 

Im Lauenburger Werk werden die Rohstoffe in rund 20 chemischen Reaktionskesseln produziert. Die Kessel sind verschieden groß, arbeiten im Innern bei einer Temperatur von fast 300 Grad. Üblicherweise ist ihr Mantel isoliert, aber mehr nicht. „Wenn man während der Produktion vor einem chemischen Reaktionskessel steht, strahlt er einen regelrecht mit Wärme an. Da kam mir die Idee, auch den Deckel zu isolieren. Die Idee war trivial, aber in der Umsetzung nicht so einfach“, erinnert sich Eschke. Wie ein Puzzle musste das Schaumglas auf die Deckel gelegt, um all die Anschlüsse und Stutzen herumdrapiert, für jeden Behälter einzeln angefertigt werden. „Das war aufwendig und teuer. Aber der Effekt war, dass wir von einem Jahr aufs andere zehn Prozent Gas eingespart haben“, so Eschke. „Das war ein perfekter Einstieg ins Energiesparen. Wenn man einen Erfolg hat, der auch finanziell nachweisbar ist, dann steigt die Motivation, in weitere Maßnahmen zu investieren.“ 

Worlée ist Teil des Firmennetzwerks „Klimaschutz-Unternehmen“, das vor rund zehn Jahren von Bundeswirtschaftsministerium, Bundesumweltministerium und Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ins Leben gerufen worden ist und mittlerweile 61 Mitglieder umfasst. In Kooperation mit der Universität Kassel entwickelte eine Pilotgruppe von zehn Unternehmen, darunter auch Worlée, von Anfang 2021 bis Ende 2022 individuelle Klimaschutzstrategien und Energiesparmaßnahmen. Weitere zehn Firmen gingen im Sommer 2022 neu an den Start. Sie müssen sich aktiv für eine Vereinsaufnahme bewerben, nach Angaben der Uni Kassel werden nur zehn bis 15 Prozent der Bewerber aufgenommen. 

Worlée will als Nächstes am Standort Lauenburg sein Kühlungswassersystem umbauen, vom Kreislaufsystem auf Hochbehälter umsteigen. „Das wird einen großen Effekt auf unseren Stromverbrauch haben“, ist Eschke überzeugt. Außerdem wollen die Norddeutschen eine größere Wärmepumpe einbauen, als Wärmequelle das Kühlwasser aus der Produktion heranziehen. Auf einer Freifläche neben dem Werksgelände, die das Unternehmen erworben hat, entsteht zudem noch eine Photovoltaikanlage. Und auch die benachbarte Biogasanlage hat man Ende 2022 kurzerhand gekauft, um Strom zu produzieren oder Biogas als Brennstoff einzusetzen. Denn zunehmend an Bedeutung gewinnt – neben Klimaschutz und Energieeffizienz – das Motiv der Autarkie, die Unabhängigkeit von den Wirren der Weltpolitik und Weltwirtschaft. „Die Low Hanging Fruits haben wir schon vor vielen Jahren geerntet“, sagt Eschke. „Wir müssen nun mehrere Millionen Euro in die Hand nehmen. Aber dann werden wir es schaffen, bis 2030 am Standort Lauenburg weitgehend klimaneutral zu wirtschaften.“ 

Regularien bremsen Unternehmen beim Klimaschutz aus

Am Anfang jeder Klimaschutzstrategie müsse die Erfassung des Status quo stehen, darüber sind sich die Experten einig. Nur wer wisse, welche Treibhausgase wann und wo im Unternehmen entstehen, könne realistische Reduktionsziele formulieren und wirksame Maßnahmen einleiten. Nach Angaben der Uni Witten-Herdecke wollen zwei Drittel der befragten Mitglieder von „Klimaschutz-Unternehmen“ ihre Klimastrategien auch in der Krise weiterverfolgen, vor allem in Energieeffizienz- und Energieeinsparungsmaßnahmen, Photovoltaik, Maschinen und Gebäude investieren. Die größte Barriere für die Wirtschaft sind die regulatorischen Rahmenbedingungen. Über jene hatten sich im Mai 2021 laut einer Umfrage unter den „Klimaschutz-Unternehmen“ noch 60 Prozent der Befragten beklagt, im Dezember 2022 schon 80 Prozent. Demnach würden Behörden und Genehmigungsverfahren zunehmend bremsen, die Regularien immer komplexer, eine Zertifizierung oder standortübergreifende Nutzung von EE-Anlagen schwierig bis unmöglich gemacht. Auch sind viele Firmenlenker im Unklaren darüber, was Klimaneutralität für Unternehmen zukünftig bedeutet, bei Baugenehmigungen etwa, oder wie Emissionen im Bundesimmissionsschutzgesetz geregelt werden. Für die Hälfte der befragten Unternehmen geraten Finanzierung und Fördermittel zu einem Problem, weil etwa Förderprogramme immer komplexer und Verwendungsnachweise immer aufwendiger würden, weil die Budgets von Förderprogrammen begrenzt, die Bearbeitungszeiten für Fördermittel aber umso länger seien. Hinzu kommen akute Probleme wie Materialknappheit, Liefer- und Fachkräfteengpässe. All die Solarpanels, Wechselrichter, Wärmepumpen und Trafostationen müssen schließlich erst hergestellt und dann von einem Fachmann oder einer Fachfrau professionell installiert werden — keine Selbstläufer im aktuellen Umfeld.  

Einen Neubau von Sudhaus, Gär- und Lagerkeller hat die Riedenburger Brauerei als Ziel vor Augen. „Preissteigerungen erleben wir aktuell in allen Bereichen, planen den Neubau jedoch im vollen Umfang umzusetzen“, bekräftigt Unternehmenssprecherin Katrin Trattner. Bislang hatte die kleine Bio-Brauerei aus dem bayerischen Altmühltal vor allem auf das umstrittene Instrument der Kompensationen gesetzt, um sich als klimafreundlich bewerben zu können. Nun hat ein Umdenken eingesetzt. Durch den Umstieg von Dampf auf Heißwasser, eine bessere Isolierung der Sudgefäße, neue Energierückgewinnungssysteme, effizientere Tankkühlungssysteme und einen höheren Automatisierungsgrad wollen die Niederbayern ihren eigenen Energieverbrauch um mindestens ein Drittel reduzieren. Konditor Kuchenmeister hat schon vor zwei Jahren in Soest eine neue Produktionshalle fertiggestellt, um Tortenböden und Frischeiwaffeln zu backen, und sich dabei am KfW-55-Standard für energieeffiziente Gebäude orientiert. Verbaut wurden Photovoltaikanlagen, energiesparende Öfen mit Wärmerückgewinnung und Blockheizkraftwerke. Ein Blickfang für Besucher sind die 30 Schafe, die im Sommer auf den umliegenden Grünflächen grasen und den Rasentraktoren die Arbeit abnehmen. Auch die Westfalen sind noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Sie wollen in Zukunft ohne Farbanstriche bauen, aus Reinigungsabwässern Biogas herstellen, ihre Verpackungen mit Grasanteil erhöhen, um Kunststoffe zurückzudrängen, und Wasserstoff produzieren, um in einigen Jahren die ersten Lkw mit Brennstoffzelle loszuschicken. „Wir bringen alle Kuchenreste, die in der Produktion anfallen, wieder in einen Verwertungskreislauf zurück – seien es Krümel, aussortierte Ware oder Schnittbruch“, ergänzt Fabian Meiberg. „Unser Reinigungswasser ist meist mit Kuchenkrümeln versetzt. Dieses Wasser stellen wir Bauern zur Weiterverwertung in Biogasanlagen zur Verfügung. Bruch und Schnittreste werden zu Tierfutter weiterverarbeitet.“ Aussortierte Produkte mit kleinen Schönheitsmängeln gehen als „Zweite Wahl“ im Werksladen über den Tresen. 

Wildwuchs bei Klima-Siegeln und Zertifikaten

„Initiativen wie ‚ZNU goes Zero‘ gehen in die richtige Richtung, weil es ihnen darum geht, die Emissionen, die von den Unternehmen selbst verursacht werden, zu reduzieren“, sagt dazu Agnes Sauter, Bereichsleiterin für Ökologische Marktüberwachung bei der Deutschen Umwelthilfe. So positiv gestimmt ist der Öko-Verein, selbst häufig im Kreuzfeuer der Kritik, nicht immer. „Wir stellen in Bezug auf Klimaschutzsiegel und -zertifikate immer größeren Wildwuchs fest“, so Sauter. Kritisch steht sie vor allem Organisationen gegenüber, die in Nicaragua Bäume pflanzen oder im Kongo Wasserkraftwerke bauen und bei denen Unternehmen Zertifikate einkaufen können, um eigene Emissionen auszugleichen. „Das ist ein Geschäftsmodell. Nur sehr wenig Geld kommt bei den Projekten vor Ort an. Insofern halten wir diesen freien Zertifikatehandel für äußerst problematisch“, sagt Sauter. Ein grundlegendes Verbot von Werbung mit Labeln wie „Klimaneutral“ fordern gar die Verbraucherzentralen. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine allgemeingültige Definition gibt. Viele Unternehmen orientieren sich an der praktischen Vorgabe, dass „Klimaneutralität besteht, wenn die Treibhausgase, die durch das bilanzierte Objekt verursacht werden, gemessen, reduziert und ausgeglichen werden“

Klimaschutzpotenziale von innen heben

„Wir brauchen eine Strategie und wir brauchen ein agiles Vorgehen“, resümierte Torsten Janwlecke, COO von Elektrotechnikunternehmen Phoenix Contact, bei der Abschlussveranstaltung der ersten Projektrunde vom Verein „Klimaschutz-Unternehmen“ und der Uni Kassel Anfang Februar. „Die strategische Verankerung von Nachhaltigkeit in der Unternehmensgruppe ist für uns der Schlüssel, um überhaupt auf den Weg in die Klimaneutralität zu kommen.“ Dabei könnten auch mal Projekte scheitern oder hinter den Erwartungen zurückbleiben. „Es ist nicht die Aufgabe eines Energiebeauftragten. Es ist eine Führungsaufgabe“, so Janwlecke. Viermal im Jahr tauscht sich Jan Eschke bei Worlée mit Energiemanagern, Produktionsleitern, Werksleitern und Technikern aus und berichtet direkt an die Geschäftsführung. „Es muss von oben getragen und unterstützt und in die Belegschaft kommuniziert werden“, bestätigt er. Es gebe ein innerbetriebliches Vorschlagswesen, auch externe Berater habe man kurzzeitig engagiert, um Impulse zu erhalten. „Richtigen Einblick in die Prozesse gewinnt ein externer Berater in der Kürze der Zeit nicht. Und um länger dazubleiben, ist er zu teuer“, bilanziert Eschke. „Die Potenziale müssen von innen gehoben werden, von den Fachleuten, die die Anlagen und Prozesse kennen.“ 

Ohne wirtschaftliches Risiko indes ist die heile Klimawelt von morgen wohl nicht zu haben. „Es braucht mutige betriebswirtschaftliche Entscheidungen und Investitionen“, so Philipp Andree, Geschäftsführer der „Klimaschutz-Unternehmen“ bei der Abschlussveranstaltung im Februar, ohne Gewissheit, ob sie sich am Ende auch wirklich rechnen. Das ist bei Kuchenmeister nicht anders: „Man muss die Durststrecke aushalten“, sagte Geschäftsführer Hans-Günter Trockels vor geraumer Zeit in einem Interview mit dem Lebensmittelverband Deutschland auf die Frage nach den Kosten. „Es rechnet sich nicht nach drei, vier Jahren, manchmal erst nach zehn, 15 oder 20 Jahren.“  

In 5 Schritten zur Netto-Null  

 

     Das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung und die Universität Witten/      Herdecke begleiten Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität in einem standardisierten Prozess. Er besteht aus diesen fünf Schritten: 

  1. Den Status quo erfassen: Aufstellen einer Klimabilanz für das Unternehmen oder den Standort gemäß des GHG-Protokolls des World Resources Institute. 

  2. Emissionen vermeiden und vermindern: Beginn mit Projekten und Maßnahmen zur Treibhausgasemission und Festlegung konkreter Reduktionsziele.  

  3. Greening: Ausschließliche Nutzung von Ökostrom.  

  4. Nettoklimaneutralität: Kompensation von nicht vermeidbaren Emissionen durch den Erwerb von Zertifikaten.  

  5. Klimaneutralität+: Zusätzliches Engagement, etwa durch Bildungsmaßnahmen und Kampagnen oder gesonderte Projekte zum Aufbau von Biomasse. 

 

Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Sebastian Wolking 
Bildnachweis: Onufriyenko / Getty Images



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