Kurs halten
Kriege, Inflation, Abschwung: Unternehmer navigieren momentan in unsicherem Fahrwasser. Das erfordert ein professionelles Controlling, um Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu umschiffen. Wie Firmenchefs den Betrieb erfolgreich steuern und welche Kennzahlen dafür relevant sind.
Jürgen Schmitz ist kann gut mit Zahlen umgehen, er ist von Haus aus Ingenieur. „Aber als ich vor mehr als 15 Jahren die Firma meines Vaters übernahm, hatte ich von Betriebswirtschaft so gut wie keine Ahnung“, erinnert sich der Geschäftsführer des Unternehmens Druckluft Schmitz mit Sitz in Velbert. Der Betrieb ist auf Sandstrahltechnik, Stickstoff- und Sauerstoff- sowie Kühlwasseranlagen spezialisiert. Damit kennt sich der Unternehmer aus, „ein professionelles Controlling musste ich erst lernen“. Mit Erfolg: Die Firma bewegt sich auf Expansionskurs. Im Jahr 2014 erwarb er das Unternehmen Druckluft Walk, das nun eigenständig in Köln und der umliegenden Region tätig ist. „Mit der Übernahme konnten wir Synergien in der Angebotspalette der beiden Betriebe nutzen und unsere Stellung am Markt verbessern“, sagt Schmitz.
Der Ingenieur trifft solche strategischen Entscheidungen wie auch jene des operativen Geschäfts auf fundierter Basis. Etwa zehn bis 20 Minuten am Tag beschäftigt er sich mit dem Controlling. „Unsere Warenwirtschaft liefert über Nacht automatische Updates, zum Beispiel zu den Auftragseingängen. Anhand von Excel-Tabellen kann ich die Geschäftsentwicklung so permanent nachhalten und erkennen, wenn wir in einer Woche weniger Umsatz machen als im Vorjahresmonat“, sagt Schmitz. Bei Bedarf ergreift der Unternehmer Maßnahmen. Er führt die Geschäfte gemeinsam mit seinem Sohn Marvin Schmitz und der Unterstützung seiner Tochter Carolina Schmitz. „Wir haben mit vielen Kunden Serviceverträge abgeschlossen. Zeichnet sich ab, dass wir in einem Monat weniger Arbeit haben, vereinbaren wir mit diesen Auftraggebern die jährlichen Termine. Oder aber wir gehen verstärkt in die Werbung und in die Akquise, um ein drohendes Minus auszugleichen“, sagt Schmitz. So kann er Umsatzschwankungen weitgehend auffangen und behält die Kostensituation im Griff. „Wir können anhand der Auswertungen des Controllings ablesen, wie sich die Aufwendungen in Abhängigkeit von der Umsatzentwicklung verändern und auch hier frühzeitig eingreifen“, erklärt Schmitz.
Genauer Blick in die BWA
Der Unternehmer macht nicht alles allein. Kurz nach der Übernahme engagierte er Harald Schyja, Controllingexperte, KMU-Fachberater Sanierung und Geschäftsführer der Gesellschaft HS Control GmbH in Velbert. Mit ihm bespricht er sich, wenn die Entwicklung von der Planung abweicht. Schmitz kooperiert überdies eng mit seinem Steuerberater, der ihm jeden Monat aktuelle qualifizierte Betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWA) liefert. „Ein großer Pluspunkt für unser professionelles Controlling ist sicherlich auch, dass wir digital gut aufgestellt sind und unser Zahlenwerk daher à jour ist“, sagt Schmitz. So sollte es sein, viele Firmenchefs aber haben offenbar genau damit ein Problem: „Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen erkennen wir häufiger Defizite“, sagt Harald Schyja. Zum einen wird die BWA oft zu spät erstellt. „Bis zum 20. des Folgemonats sollte sie vorliegen. Sonst arbeitet man im Blindflug“, so der Unternehmensberater. Zum anderen sind viele Auswertungen kein verlässlicher Zahlenlieferant für eine realistische Standortbestimmung. Beispielsweise werden oft unterjährig Abschreibungen vergessen oder Veränderungen an halbfertigen oder fertigen Arbeiten nicht gebucht. Mit dem Jahresabschluss holt man das dann nach. Dann stellt sich mitunter die Geschäftssituation ganz anders dar als gedacht. Die BWA vom Dezember weicht deutlich ab. „Damit bilden viele Auswertungen nicht verlässlich ab, wie das Unternehmen momentan aufgestellt ist“, warnt Schyja. Im schlimmsten Fall ist das Ergebnis sogar negativ. Er empfiehlt Unternehmern daher, die BWA regelmäßig kritisch zu kontrollieren. Man sollte prüfen, ob der Steuerberater alle Eingaben richtig übernommen hat oder ob einzelne Eingangs- und Ausgangsrechnungen fehlen.
„Die Zahlen der BWA werden per se geglaubt“, beobachtet auch Werner Broeckmann, Geschäftsführer der Succeed Unternehmensberatung GmbH in Kevelaer. Er appelliert, sich etwa die Summen- und Saldenlisten genau anzusehen und insbesondere die offenen Forderungen zu checken. Viele Kunden überweisen zum vereinbarten Termin. „Aber es gibt eben immer wieder kritische Fälle. Wenn der Steuerberater nicht informiert ist, zeigt sich ein verfälschtes Bild“, so Broeckmann.
Die wichtigste Kennzahl
Doch der Liquiditätsstatus ist elementar. Banken interessieren sich sehr für die Kapitaldienstfähigkeit des Unternehmens – also dafür, dass der Betrieb Zins und Tilgung leisten kann. „Wer diese nicht darstellen kann, bekommt keinen Kredit“, warnt Broeckmann. Um auf die Kennzahl positiv einzuwirken, sollten die Zahlungsziele möglichst kurz gesetzt sein. „Jeder Tag einer offenen Forderung kostet Geld. Als Richtgröße gilt eine Frist von maximal 30 Tagen“, sagt Broeckmann. Unternehmer kontrollieren das Zahlungsverhalten ihrer Kunden am besten permanent, um ihre Liquidität realistisch einschätzen zu können. „Man sollte immer wissen, wo man heute und in den nächsten sechs bis acht Wochen steht.“ In dem Zusammenhang ist die offene Kreditlinie bei der Bank von hoher Bedeutung. Diese muss ausreichen, um bei einem möglichen Zahlungsverzug einzelner Kunden die Lücke zu decken. Es ist außerdem wichtig, die monatliche Liquiditäts- und Ertragsplanung mit der qualifizierten BWA abzugleichen. „Anhand dieser Analyse kann man feststellen, welche Maßnahmen einzuleiten sind, um auf Kurs zu bleiben“, sagt Schyja. Er beobachtet allerdings häufiger, dass dies nicht passiert. „Für viele Unternehmer ist ihr Bankkonto die einzige relevante Kennzahl. Erst wenn die Bank sich meldet, weil die Kreditlinie dauerhaft ausgereizt ist und erste Lastschriften nicht mehr eingelöst werden, reagieren sie notgedrungen.“
Transformation ist Pflicht
Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad sind im Vorteil, wenn es darum geht, das Zahlenwerk ohne großen Zeitaufwand im Griff zu behalten. Sie können sich auf die Analyse und das Definieren von Maßnahmen fokussieren, weil sie nicht erst mit großem manuellen Aufwand Daten sammeln und aggregieren müssen. Jedoch sind Automatisierung und Software nicht die Lösung, sondern lediglich ein Hygienefaktor. „Unternehmer sollten sich vorab darüber klar werden, welche Kennzahlen sie für die Unternehmenssteuerung benötigen und wie sie dieses Steuerungsmodell implementieren wollen. Erst darauf abgestimmt suchen sie die passende Software aus“, rät Jens Ropers, Partner der auf Controlling spezialisierten CA Akademie AG in Wörthsee. Führungskräfte haben oft das Ziel, möglichst viele Informationen zu sammeln. „Ich frage dann immer: wofür? Abhängig von der Strategie der Firma, sollte man gezielt die notwendigen Daten genieren und damit arbeiten“, so Ropers.Viele Mittelständler wählen am Ende die jeweilige etablierte Branchensoftware. Die Programme sind auf die Bedürfnisse der Betriebe zugeschnitten. Die meisten haben die notwendigen Schnittstellen, um die betrieblichen Daten automatisiert an den Steuerberater zu übermitteln. „Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass der elektronische Transfer künftig der Standard sein wird“, sagt Broeckmann. Insofern führe an der Transformation kein Weg vorbei. „Es macht keinen Sinn und es kostet auch viel zu viel, wenn heute noch jeden Monat Rechnungen ausgedruckt werden und in der Papierform der Steuerkanzlei übergeben werden, die sie dann aufwendig ins System eingeben soll.“
„Ein Universalmodell gibt es nicht“
Jens Ropers, Partner der CA Akademie AG in Wörthsee, erklärt, warum es für die Unternehmenssteuerung nicht ausreicht, sich auf die klassischen Finanzgrößen zu fokussieren.
Was sind die relevanten Kennzahlen für ein mittelständisches Unternehmen?
Das hängt von der Strategie ab. Unternehmen, die sich im Wettbewerb über den Preis differenzieren, sind für den Kunden austauschbar. Für diese Unternehmen stellt sich im Tagesgeschäft die Frage, wie sie optimal ihre Lieferfähigkeit zu den geplanten Kosten sicherstellen und welche Kennzahlen dafür in ihrer Wertschöpfungskette relevant sind. Für innovative Firmen dagegen ist die Lieferfähigkeit in der Regel weniger kritisch. Ihre Kunden warten im Zweifel auf die Neuheiten. Diese Unternehmen müssen in erster Linie dafür sorgen, dass ihre Innovationskraft erhalten bleibt. Die Kennzahlen hängen also von der Zielsetzung ab. Ein One-Size-Fits-All-Modell gibt es nicht.
Wie ermitteln Unternehmen die für sie wichtigsten Kenngrößen?
Neben klassischen Finanzkennzahlen sollten sie ihre Wertschöpfungskette, ausgehend von der strategischen Ausrichtung und den Kundenanforderungen, analysieren und Stellhebel identifizieren. Dazu ist die Dokumentation der Prozesse in einem Modell die Basis. Das schafft die notwendige Transparenz, um alle steuerungsrelevanten Faktoren zu bestimmen. Dabei definieren Unternehmer jeweils, welche Kennzahlen für die einzelnen Segmente, vom Einkauf über die Produktion bis zum Vertrieb, relevant sind, um die Unternehmensziele zu erreichen.
Und wie holt man die Mitarbeiter ins Boot?
Laufen die internen Prozesse reibungslos, sind auch die Kunden zufrieden. Das wirkt sich positiv auf die Umsatzentwicklung aus – und ist nur zu erreichen, wenn sich alle engagieren. Relevant dafür sind die Mitarbeiterqualifikation und -zufriedenheit. Letztere wird in vielen Unternehmen anhand der Fluktuation gemessen. Das ist ein eher schlechter Indikator, weil hier nachgelagert gemessen wird. Wesentlich ist es, Warnsignale schon frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger
Bildnachweis: Andriy Onufriyenko / Getty Images