Wirtschaftsforschung SchuldnerAtlas Deutschland

SchuldnerAtlas Deutschland, Jahr 2017

Trotz eines guten gesamtwirtschaftlichen Umfeldes, das auch für den Verbraucher geprägt ist von einem stabilen Arbeitsmarkt und gutem Konsum, sinkt die Überschuldung nicht. Tatsächlich hat sie leicht zugenommen. Eine Entwicklung, die auch bestimmt ist von älteren Betroffenen und von Frauen.

Leichter Anstieg überschuldeter Verbraucher

Die Überschuldung von Privatpersonen in Deutschland ist seit 2014 zum vierten Mal in Folge angestiegen, allerdings weniger stark als zu befürchten war. Zum Stichtag 1. Oktober 2017 wurde für die gesamte Bundesrepublik eine Überschuldungsquote von 10,04 Prozent gemessen. Damit sind über 6,9 Millionen Bürger über 18 Jahre überschuldet und weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf. Dies sind rund 65.000 Personen mehr als noch im letzten Jahr (+ 0,9 Prozent). Die Überschuldungsquote sinkt leicht, da die Bevölkerung nochmals spürbar zugenommen hat.

Überschuldung mit geringer Intensität nimmt zu

Der aktuelle Anstieg der Überschuldungszahlen beruht im Gegensatz zu den letzten Jahren auf einer gleichzeitigen Zunahme der Fälle mit hoher und mit geringer Überschuldungsintensität. Die Zahl der Fälle mit juristischen Sachverhalten nahm in den letzten zwölf Monaten um rund 53.000 Fälle zu (+ 1,2 Prozent), die Zahl der Fälle mit nachhaltigen Zahlungsstörungen um rund 12.000 Fälle (+ 0,5 Prozent). Allerdings sinkt der Anstieg der harten Überschuldungsfälle im Vergleich zum Vorjahr deutlich. Hingegen nimmt die Zahl der Fälle mit geringer Überschuldungsintensität erstmals seit 2011 / 2012 wieder zu – und dies ausschließlich in Westdeutschland. Derzeit sind rund 4,22 Millionen Menschen in Deutschland in einer dauerhaften Überschuldungsspirale (2006 / 2017: + 822.000 Fälle).

Osten stärker betroffen …

Die Überschuldungsquote liegt aktuell in den neuen Bundesländern (10,42 Prozent, - 0,1 Punkte, ohne Berlin) zum sechsten Mal in Folge (wie auch bis 2008) über dem Vergleichswert im Westen (9,97 Prozent; - 0,03 Punkte). Insgesamt sind in diesem Jahr im Westen rund 5,79 Millionen Personen als überschuldet zu betrachten, im Osten Deutschlands sind dies rund 1,12 Millionen Personen.

… aber Westen legt zu

Alles in allem hat sich 2017 der Anstiegstrend im Vergleich zum letzten Jahr sowohl im Osten wie auch im Westen Deutschlands wieder verlangsamt. Die entsprechenden Vergleichswerte zeigen aber, dass sich die Überschuldungsspirale im Westen weiterhin schneller dreht als im Osten. Der (prozentuale) Anstieg der Fälle mit hoher Überschuldungsintensität ist im Westen (+ 1,3 Prozent) weiterhin stärker ausgeprägt als im Osten (+ 0,9 Prozent). Zugleich nimmt auch in diesem Jahr die Zahl der Fälle mit nachhaltigen Zahlungsstörungen im Osten ab (- 0,8 Prozent), während sie im Westen erstmals seit 2011 / 2012 wieder zunimmt (+ 0,7 Prozent). Auch deshalb fällt die absolute Zunahme der Überschuldungsfälle im Westen Deutschlands (+ 62.000 Fälle) deutlich stärker aus als im Osten (+ 3.000 Fälle).

Die weiterhin negative Entwicklung spiegelt sich auch im Vergleich der Überschuldungszahlen nach Bundesländern wider. So weisen zwar zwölf Bundesländer einen Rückgang der Überschuldungsquote auf, aber nur ein Bundesland weist auch einen Rückgang der Überschuldungsfälle auf (Brandenburg: 10,02 Prozent; - 0,12 Punkte; - 1.000 Überschuldungsfälle). Die stärksten Anstiege verzeichnen Bayern (7,47 Prozent; + 0,11 Punkte) und Sachsen (9,97 Prozent; + 0,08 Punkte). Diese Bundesländer, zudem Baden-Württemberg (8,31 Prozent; - 0,03 Punkte), Thüringen (9,25 Prozent; + 0,01 Punkte), Hessen (9,99 Prozent; - 0,08 Punkte) und Brandenburg bleiben damit unterhalb der Überschuldungsquote für ganz Deutschland. Bayern und Baden-Württemberg führen weiterhin fast traditionell das Ranking der Bundesländer an. Thüringen verbleibt seit 2013 auf Rang drei. Auffällig: Die Anstiege der Überschuldungsfälle liegen in Bayern seit 2015 über denen in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg.

Frauen holen auf

In diesem Jahr können in Deutschland rund 7,61 Prozent der Frauen über 18 Jahre (2016: 7,55 Prozent) als überschuldet und zumindest nachhaltig zahlungsgestört gelten. Bei Männern sind dies aktuell 12,59 Prozent (2016: 12,72 Prozent). Die Zahl der Überschuldungsfälle nahm in diesem Jahr bei den Frauen stärker zu (2,7 Millionen; + 39.000 Fälle) als bei den Männern (4,2 Millionen; + 26.000 Fälle).

Jugend wird solider

Das Thema „Altersüberschuldung“ bleibt virulent und zeigt einen weiter ansteigenden Trend. 2017 müssen rund 194.000 Menschen in Deutschland ab 70 Jahren als überschuldet eingestuft werden (+ 20.000 Fälle; + 12 Prozent). Die entsprechende Überschuldungsquote (1,50 Prozent; + 0,16 Punkte) liegt weiterhin deutlich unter den Vergleichswerten der anderen Altersgruppen. Der Anstiegstrend ist im Mehrjahresvergleich 2013 / 2017 mit plus 76 Prozent allerdings überdurchschnittlich. Im Gegensatz dazu ist die Überschuldungszahl und -quote in der jüngsten Altersgruppe in diesem Jahr nochmals zurückgegangen. Die Überschuldungsquote beträgt hier 14,06 Prozent (- 0,45 Punkte). Allerdings müssen weiterhin rund 1,66 Millionen junge Menschen in Deutschland (unter 30 Jahre) als überschuldet eingestuft werden (- 6.000 Fälle).

Mittelstands-Milieu in Überschuldung

Zudem zeigt eine Sonderauswertung nach Milieuzugehörigkeit, dass auch in diesem Jahr fast alle neuen Überschuldungsfälle aus der „Mitte der Gesellschaft“ stammen (4,38 Millionen; + 69.000 Fälle) – die Zahl der Überschuldungsfälle aus den „gehobeneren Schichten“ (1,76 Millionen; - 3.000 Fälle) hat in diesem Jahr ebenso wie in den „unteren Schichten“ (Prekäre: 0,77 Millionen; - 1.000 Fälle) leicht abgenommen.

Das diesjährige Sonderthema („Die angegriffene Mitte“) befasste sich daher auch mit den Folgen von Überschuldung auf Mittelschichtfamilien in Deutschland. Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde, zeigt sich, wie sehr die Identität von Familien aus der Mittelschicht erschüttert wird, wenn diese in Überschuldung und Privatinsolvenz geraten. Überschuldung zeigt sich in jedem Fall als „massiver Einschnitt in das normale Leben“ und führt die Betroffenen oft genug in eine „Schockstarre“.

Für die nahe Zukunft ist trotz weiterhin sehr positiver konjunktureller Rahmenbedingungen nicht mit einer nachhaltigen Entspannung der privaten Überschuldungslage in Deutschland zu rechnen. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Überschuldungszahlen weiter ansteigen werden.

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Neuss, 09. November 2017

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