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Insolvenz: Strafbarkeit vermeiden!

Mehr als 18.000 Unternehmen mussten im vergangenen Jahr 2023 Insolvenz anmelden. Für dieses Jahr stehen die Zeichen auf Rezession, was weitere Firmenpleiten zur Folge haben dürfte. Während sich Geschäftsführer vornehmlich darauf fokussieren, den wirtschaftlichen Schaden einzugrenzen, stellen sie ihr persönliches Haftungsrisiko oft hintenan. Mit welchen juristischen Folgen sie rechnen müssen und wie sie sich absichern können, erklärt der Fachanwalt für Strafrecht und Kanzleigründer Martin Wilke.

Dr. Martin Wilke ist als Strafverteidiger und Mitgründer der Kanzlei WLK in Köln auf Steuer-, Insolvenz- und Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert. Im Gespräch mit Tanja Könemann (Handelsblatt Media Group) erklärt er, welche juristischen Konsequenzen eine Insolvenz für Geschäftsführer haben kann und was Betroffene tun können.

Lesen statt hören: Podcastfolge #26 zum Nachlesen

Tanja Könemann [00:00:00] Ihr Geld verdienten sie mit ganz unterschiedlichen Waren und Dienstleistungen. Dennoch haben sie eine traurige Gemeinsamkeit. Der Modehändler Peek & Cloppenburg, die Supermarktkette Real und die St. Vincenz Krankenhaus GmbH zählen zu den größten deutschen Insolvenzen des Jahres 2023. Allein sind sie damit nicht. Mehr als 18.000 Unternehmen in Deutschland mussten im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden. Insolvenzen und vor allem, wie sich Geschäftsführer absichern können, darum soll es hier heute gehen. Bei Creditreform - Gute Geschäfte.

Jingle [00:00:37] Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten Der Creditreform-Podcast.

Tanja Könemann [00:00:45] Herzlich willkommen, liebe Zuhörer. Mein Name ist Tanja Könemann und bei mir im Studio ist heute Martin Wilke, Mitgründer der Kanzlei WLK in Köln. Hallo Herr Wilke.

Speaker 3 [00:00:57] Hallo! Vielen Dank für die Einladung.

Tanja Könemann [00:00:59] Herr Wilke, Sie sind Strafverteidiger und spezialisiert auf Steuerinsolvenz und Wirtschaftsstrafrecht. Könnten Sie uns bitte erklären, was eine Insolvenz für Geschäftsführer persönlich bedeuten kann?

Martin Wilke [00:01:11] Persönlich, also wenn wir von Konsequenzen für einen Geschäftsführer sprechen, dann meinen wir damit im Grunde alle strafrechtlichen, finanziellen und auch beruflichen Folgen, die ein Strafverfahren nach sich ziehen kann. In erster Linie reden wir von der Möglichkeit, dass sie von einem Gericht zu einer Geldstrafe oder einer Haftstrafe verurteilt werden können. Im Fall einer Verurteilung droht ihnen außerdem für die Dauer von fünf Jahren der Ausschluss aus dem Vertretungsorgan, also von der Geschäftsführer- oder Vorstandstätigkeit. Und sie haften unter Umständen persönlich mit ihrem privaten Vermögen auf Schadensersatz, was wiederum eine private Existenzgefährdung nach sich ziehen kann. Als weitere Konsequenzen kommen dann in Betracht die Gewerbeuntersagung oder der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Tanja Könemann [00:01:56] Das sind ja ziemlich harte Konsequenzen. Wir wissen alle, dass Geschäftsführer sehr darum kämpfen, den finanziellen Schaden einer Insolvenz zu begrenzen. Aber haben Sie den Eindruck, sie machen sich genug Gedanken um die strafrechtlichen Folgen für sie persönlich?

Martin Wilke [00:02:12] In der Regel nicht, nein. Nach meiner Erfahrung geht es Geschäftsführern in erster Linie darum, die Unternehmensschieflage zu beenden und strafrechtliche Folgen werden dabei weniger beachtet. In der Regel ist es sogar so, dass sie eher missachtet werden.

Tanja Könemann [00:02:31] Wie oft kommt es denn überhaupt soweit? Ich meine, wie viele Insolvenzdelikte gibt es in Deutschland?

Martin Wilke [00:02:35] Also böse Zungen behaupten, dass gewerbliche Insolvenzen ohne eine Straftat eher die Ausnahme bilden. Und es gibt Schätzungen, die besagen, dass 50 bis 80 Prozent aller Unternehmenszusammenbrüche mit Insolvenzdelikten einhergehen. Das mag man jetzt für überzogen halten, angesichts der Weite vieler Straftatbestände scheinen diese Schätzungen aber zumindest nachvollziehbar. Es ist auch schwierig, überhaupt eine verlässliche Zahl von Insolvenzdelikten zu benennen. Selbst wenn man nach den veröffentlichten Statistiken geht. Das BKA zählt 2022 mehr als 6.000 Insolvenzdelikte, orientiert sich zu deren Einordnung aber an einem abgespeckten Katalog. Das heißt, viele typische Delikte aus dem Bereich der Insolvenz werden hier gar nicht erfasst. Deshalb dürfte die eigentliche Zahl der Insolvenzdelikte höher sein.

Tanja Könemann [00:03:22] Das bedeutet ja, dass fast bei jeder zweiten Firmenpleite wissentlich oder unwissentlich eine Straftat begangen wurde. Ist das so?

Martin Wilke [00:03:30] Das kann man so sehen, ja. Wobei man auch natürlich berücksichtigen muss, dass zunächst einmal der Verdacht auf das Vorliegen einer Straftat erfasst ist. Die Zahlen sagen nichts darüber aus, wie die Verfahren letztendlich ausgegangen sind.

Tanja Könemann [00:03:45] Wenn wir jetzt über Straftaten reden - der Begriff Insolvenzverschleppung ist Einigen vielleicht noch geläufig, Eingehungsbetrug auch. Sind das tatsächlich die häufigsten Delikte oder gibt es noch andere, die einfach weniger bekannt sind?

Martin Wilke [00:03:58] Also die Insolvenzverschleppung erfasst ja nur die verspätete oder unzureichende Antragsstellung. Und wenn wir von Eingehungsbetrug reden, meinen wir meistens, dass ein Leistungsversprechen, also in der Regel eine Zahlung zu einem bestimmten zukünftigen Ereigniszeitpunkt, aller Voraussicht nach nicht erbracht werden kann. Was wir in der Praxis aber viel häufiger beobachten, sind Gestaltungen im Vorfeld einer später eintretenden Krise oder eben im Zusammenhang mit einer bereits eingetretenen Krise. Besonders praxisrelevant sind hier Bankrottdelikte, Bilanz- und Buchführungsdelikte oder Untreuedelikte. Oftmals erliegen Verantwortliche eben der Versuchung, für sich noch zu retten, was zu retten ist. Etwa durch die Auszahlung überhöhter Provisionen, durch unberechtigte Beraterhonorare, durch Überweisungen auf gesellschaftsfremde Konten, durch unberechtigte Entnahme von Barmitteln, durch eine Aushöhlung der Gesellschaft, durch Kapitalausschüttung oder eben durch Beiseiteschaffen von Waren und anderen Vermögenswerten im eigenen Interesse. Auch teilweise, um die still in ein anderes Unternehmen einzubringen. Was wir dann auch haben, sind häufig der Abschluss von Risiko- und Spekulationsgeschäften, in der Hoffnung, einen größeren Gewinn als sonst üblich zu generieren. Oder eben auch das Verschweigen von Schwarzeinkünften und das Nichtabführen von Steuern. Das sind in der Regel die Delikte, die wir in der Praxis sehr häufig beobachten.

Tanja Könemann [00:05:19] Und wenn Sie jetzt mal aus Ihrer Praxis Bilanz ziehen. Was landet am häufigsten auf Ihrem Schreibtisch?

Martin Wilke [00:05:24] Am häufigsten sind es Kombinationen. Zumeist haben wir eine Insolvenzverschleppung als Vorwurf. Das geht aber in der Regel einher mit Untreuehandlungen. Und auch vermehrt haben wir den Abschluss von Risiko- und Spekulationsgeschäften, in der Hoffnung, einen größeren Gewinn zu generieren als eigentlich üblich. Wir haben insbesondere auch das Verschweigen von Schwarzeinkünften und die Buchung von Luftrechnungen sehr häufig. Die Nichteinhaltung von sozialversicherungsrechtlichen Abgabeverpflichtung oder eben die Nichtabführung von Steuern. Man kann da jetzt kein seriöses Fazit ziehen, was am häufigsten vorkommt. Bankrottdelikte, Untreuedelikte und eben Steuerdelikte oder das Vorenthalten von Arbeitsentgelt.

Tanja Könemann [00:06:13] Wir schwenken jetzt mal auf das Thema Konjunktur. Es ist wahrscheinlich, dass die aktuelle Rezession noch andauern wird. Das bedeutet, viele Unternehmen müssen darum kämpfen, über die Runden zu kommen. An welchem Punkt, denken Sie, wird es kritisch? Nicht nur finanziell, sondern auch persönlich für Geschäftsführer?

Martin Wilke [00:06:30] Also in der Regel gilt: Wird es finanziell kritisch, wird es auch strafrechtlich kritisch. Das gilt nicht erst, wenn Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bereits eingetreten sind. Das Strafrecht setzt schon früher an und fordert Handlungsbedarf bereits dann ein, wenn die Liquidität perspektivisch knapp werden könnte. Das heißt Strafbarkeitsrisiken existieren schon vor einer handfesten Krise. Und nicht selten erleben wir es dann, dass Unternehmensverantwortliche unter Umständen auch im Zusammenspiel mit eingeschalteten Sanierungsberatern im Rahmen ihrer Restrukturierungsbemühungen an die Grenzen erlaubten Handels stoßen und auch darüber hinausschießen. Also qualifizierte Rechtsberatung ist schon vor Eintritt der finanziellen Schieflage empfehlenswert.

Tanja Könemann [00:07:12] Gibt es darüber hinaus noch etwas, was Betroffene tun können? Was empfehlen Sie mit Blick auf die Haftung noch unbedingt zu tun?

Martin Wilke [00:07:22] Also Betroffene müssen sich vor Augen führen, dass Verstöße im Kontext mit Unternehmenszusammenbrüchen selten unentdeckt bleiben. Ein taugliches Frühwarnsystem zur Aufdeckung von Risiken im Unternehmen ist zwar mittlerweile Standard. Unternehmer können aber nicht jedes eventuelle Risiko vorhersehen. Zudem müssen aus erkannten Risiken auch die richtigen Gestaltungsmöglichkeiten abgeleitet werden. Das muss in der Regel durch einen Berater erfolgen. Ich empfehle Betroffenen daher: Holen Sie sich qualifizierten Rat und das so früh wie möglich und schalten Sie neben einem Sanierungs- oder Unternehmensberater immer einen Strafrechtsexperten hinzu, um sich abzusichern. Lassen Sie in einem ersten Schritt die Liquidität des Unternehmens und die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit prüfen und lassen Sie sich dann in einem zweiten Schritt über Ihre Handlungspflichten und eben strafrechtliche Risiken beraten, insbesondere auch im Hinblick auf eine mögliche Asset Protection.

Tanja Könemann [00:08:14] Dazu ist es ja gut zu wissen, dass die Gerichte standardmäßig jede Insolvenzakte an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Warum denn? Gibt es beim Thema Insolvenz gleich so einen Generalverdacht?

Martin Wilke [00:08:26] So kann man es durchaus sehen, ja. Die Insolvenzgerichte sind durch eine Anordnung dazu angehalten, die Staatsanwaltschaft über jede gewerbliche Insolvenz zu informieren. Darauf aufbauend fordert die Staatsanwaltschaft die Insolvenzakten an und wertet diese im Hinblick auf etwaige Insolvenzdelikte aus. Diese Praxis sollte man durchaus kritisch hinterfragen. Die Gerichte sind mitnichten zu Mitteilung verpflichtet. Zum anderen resultieren aus der bloßen Mitteilung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht per se Anhaltspunkte für eine Straftat. Nicht jedes unternehmerische Scheitern ist gleich strafbar. Das verkennen Staatsanwaltschaften nur allzu häufig.

Tanja Könemann [00:09:02] Wir haben ja zu Beginn schon über Konsequenzen und Strafmaß gesprochen. Womit müssen Geschäftsführer im Fall der Fälle denn noch rechnen?

Martin Wilke [00:09:10] Also bereits in einem Ermittlungsverfahren drohen empfindliche Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen oder Untersuchungshaft oder auch Arrestmaßnahmen. Im Fall der Fälle droht ihnen am Ende eines Verfahrens sogar eine Haftstrafe. Daneben droht ihnen die Vernichtung der beruflichen und privaten Existenz. Wenn man es mal so auf den Punkt bringen will. Es ist aber immer eine Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls, die von zahllosen verschiedenen Umständen abhängt. Und ein erfahrener Strafverteidiger wird ihnen immer ein seriöses Szenario abbilden können.

Tanja Könemann [00:09:41] Also wir haben gelernt: Die Konsequenzen einer Insolvenz können außerordentlich dramatisch sein. Das hat uns Martin Wilke erklärt. Herzlichen Dank, dass Sie heute mein Gast waren und ich danke auch Ihnen fürs Zuhören. Ich hoffe, wir begrüßen Sie bald wieder bei Gute Geschäfte.

Jingle [00:09:58] Gute Geschäfte. Wissen in zehn Minuten. Der Creditreform-Podcast.



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