Die Streitfrage: Wohin steuert der deutsche Mittelstand?

Nie war Bürokratie so teuer wie heute. Jedes Jahr kommen neue Regeln dazu, obwohl die Politik Entlastungen verspricht. Warum das so ist und was Unternehmen dagegen tun können, erfahren Sie in unserer aktuellen Podcast-Folge.

Frau Professor Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung, im Gespräch mit dem ehemaligen Bevollmächtigten für Innovation und Strategie des Saarlandes, Herr Ammar Alkassar.

Lesen statt hören: Podcast Special "Die Streitfrage" zum Nachlesen

Tanja Könemann [00:00:00] Nie war Bürokratie so teuer wie heute. Jedes Jahr kommen neue Regeln dazu. Obwohl die Politik Entlastungen verspricht. Warum das so ist und was Unternehmen dagegen tun können, das erfahren Sie heute bei… 

Jingle [00:00:15] Gute Geschäfte. Die Streitfrage. Wohin steuert der deutsche Mittelstand? Eine Podcast Reihe von Creditreform.

Tanja Könemann [00:00:30] Mein Name ist Tanja Könemann und ich begrüße Sie ganz herzlich zu einer neuen Folge von Gute Geschäfte. Die Streitfrage. Zugeschaltet sind mir heute Frau Professor Friederike Welter. Sie ist Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung. Hallo Frau Welter. 

Friederike Welter [00:00:46] Hallo Frau Tanja Könemann. 

Tanja Könemann [00:00:47] Und zu Gast ist auch der ehemalige Bevollmächtigte für Innovation und Strategie des Saarlandes, Herr Ammar Alkassar. Herzlich willkommen! 

Ammar Alkassar [00:00:56] Hallo Frau Könemann! 

Tanja Könemann [00:00:58] Wer unternehmensseitig Bürokratieabbau fordert, läuft Gefahr, dass ihm unterstellt wird, Gesetze ganz verhindern zu wollen. Was sagen Sie dazu? 

Friederike Welter [00:01:08] Nein, das sehe ich tatsächlich nicht so! Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der Bürokratieabbau fordert, wirklich Gesetze verhindern will, sondern es geht darum, dass unternehmerisches Handeln weiterhin Spaß machen kann und dass man damit eben einfach auch den Lebensunterhalt verdient. Also Gesetze verhindern! Ich nehme dich mal mit, wenn ich zu den Unternehmern ins Siegerland und Sauerland fahre und frage mal nach, welches Gesetz sie denn mit der Forderung verhindern wollen. Sehe ich so nicht. 

Tanja Könemann [00:01:43] Okay, falls doch, dann schreiben Sie mir nachher noch mal! Es gibt ja immer wieder ganz absurde Beispiele, die ARD zeigte kürzlich, wo Sie gerade über das Sauerland sprechen, einen Bäcker aus dem Sauerland, der seine Werkstatt auf Chemikalien prüfen sollte, die schwangeren oder stillenden Müttern gefährlich werden könnten. Der Mann hat aber in der Werkstatt nur männliche Mitarbeiter. Wie kann das sein? Herr Alkassar, haben Sie auf so was eine Antwort? 

Ammar Alkassar [00:02:10] Dadurch, dass man halt alles sehr kleinteilig regeln will und es wenig Vertrauen gibt, dann muss man halt alles regeln. So, dann gibt es den Ansatz: Es könnte theoretisch eine Frau arbeiten, dann muss man das sozusagen prüfen. So, und jetzt ist da eine Lücke. Also wie würden wir in Deutschland das Problem lösen? Ja, da müssen wir noch mehr regulieren. Warum? Weil wir müssen dann noch mal eine Abfrage machen – arbeitet dort gerade eine Frau? – und dadurch entstehen dann diese komplexen Systeme. Statt zu sagen, na ja, wir haben ja ein paar Anforderungen, ist ja völlig klar, dass wenn eine Frau dort arbeitet, wenn es da eine Verordnung gibt, dass die eingehalten wird, also das umzudrehen. Ich glaube, das kriegen wir nur in den Griff, wenn wir den Menschen mehr Vertrauen geben. Es hat ja übrigens vor 30 Jahren auch funktioniert, da hatten wir deutlich weniger Regulierung. Wir haben das jetzt ein bisschen stärker standardisiert. Das macht es natürlich einfacher, Regelprozesse abzuarbeiten. Aber es macht es insgesamt komplexer. 

Tanja Könemann [00:03:09] Nach der Sommerpause soll das vierte Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet werden. Sie waren dabei als Sachverständiger, als der Entwurf erstellt wurde. Können Sie uns mal die wichtigsten Punkte zusammenfassen, bitte? 

Ammar Alkassar [00:03:21] Ja, also es geht ja darum – das ist mittlerweile das vierte Bürokratieentlastungsgesetz. Und die Idee ist dabei, dass man immer wieder auch ein Stück weit zurückgeht und schaut, kann man auch Regulierung wieder zurücknehmen, sofern diese Regulierung ihren Zweck nicht mehr erfüllt, aber trotzdem eine Belastung gerade für den Mittelstand schafft. Und in dem Sinne gab es schon drei Bürokratientlastungsgesetze. Jetzt stehen wir vor dem vierten. Und dort werden wieder einige Maßnahmen aufgegriffen. Ob das reicht, um wirklich die Erwartungshaltung der Wirtschaft zu erfüllen? Das, glaube ich, steht auf einem anderen Blatt. 

Tanja Könemann [00:03:55] Und von welchen Maßnahmen reden wir hier? Haben Sie so ein paar Beispiele mitgebracht, die Sie uns schildern können? 

Ammar Alkassar [00:04:00] Ja, also es gibt zum Beispiel, jeder kennt es, wenn man einchecken will in einem Hotel, muss man nach dem Meldegesetz einen Anmeldeschein ausfüllen. Man muss normalerweise auch dort seinen Reisepass oder Personalausweis vorlegen. Und jetzt ist man zum Ergebnis gekommen, dass das tatsächlich nicht erforderlich ist. Da frage ich mich natürlich als erstes, warum hat man das nicht bei der Erstellung des Meldegesetzes direkt berücksichtigt? Also warum muss man einige Jahre dafür ins Land laufen lassen? Und die Idee dabei ist, beispielsweise auch Hotels zu entlasten vor Infrastrukturkosten. Man muss ja so ein Gerät zum Lesen des Reisepasses vorhalten und das soll damit vermieden werden. Aber auch da eine echte Herausforderung, weil man zwar diese Notwendigkeit weggelassen hat, aber nur für deutsche Staatsbürger. Das heißt, wenn jemand aus dem Ausland kommt, muss man weiterhin seinen Reisepass vorlegen und man muss deswegen auch als Hotel weiterhin die Infrastruktur vorhalten. Aber das ist zum Beispiel so ein Beispiel, dass in diesem Bürokratieentlastungsgesetz vorgesehen. 

Tanja Könemann [00:05:04] Frau Professor Welter, das vierte Bürokratieentlastungsgesetz, das klingt ja jetzt erst mal viel. Wie bewerten Sie den Fortschritt, den das Gesetz beim Bürokratieabbau mit sich bringen wird? Voraussichtlich. 

Friederike Welter [00:05:18] Ich kann das nicht beziffern, dass ich sage, das sind so und so viele 1.000 Euro oder hunderttausende von Euro. Bürokratieabbau ist gut. Entlastungsgesetze sind gut. Das Problem ist, dass die nicht unbedingt bei den Unternehmen ankommen, die schon stark belastet sind. Also nehmen wir mal jetzt das Beispiel hier. Ich finde das ja schön mit dem Meldeschein. Ja, das wird im Hotelgewerbe, im Gastgewerbe eine gewisse Entlastung schaffen. Herr Alcazar hat gerade selber gesagt, das Problem ist natürlich, dass das nur einen Teil der Eincheckenden betrifft. Und das ist ein Beispiel dafür. Das Entlastungsgesetz setzt an und nimmt Regelungen weg, die nicht mehr gebraucht werden oder vereinfacht auch Regelungen. Es trifft aber nicht diejenigen in den meisten Fällen, die sich durch Bürokratie tatsächlich stark belastet fühlen und. Auch wirklich stark belastet sind. Das ist das Hauptproblem dabei. 

Tanja Könemann [00:06:10] Die Bundesregierung hat ja selber davon gesprochen, dass Einsparungen von etwa einer Milliarde Euro anstehen mit dem Gesetz. Und die stehen aber gegenüber einer ganz anderen Belastung. Denn die Bürokratie kostet uns 23,7 Milliarden Euro im Jahr. Wieso ist das denn so wenig? Beziehungsweise Herr Alkassar, wo sehen Sie Verbesserungsbedarf bei dem Gesetz?

Ammar Alkassar [00:06:35] Also, was Sie ansprechen ist ein sehr, sehr spannender Punkt und kam auch in der Anhörung tatsächlich zum Tragen. Da hatte mich ein Abgeordneter im Ausschuss gefragt: Wir haben jetzt zwei Jahre etwa gebraucht, um dieses Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg zu bringen. Es wird eine Entlastung, Sie haben es erwähnt, von einer Milliarde Euro bringen. Und da war die Frage, wie viel ist in diesem Zeitraum durch neue Gesetze, also nicht durch bestehende Bürokratie, sondern durch neue Regulierung, zusätzliche Bürokratiekosten dazugekommen? Und da war die Antwort im letzten Jahr neun Milliarden Euro und im Jahr davor sechs Milliarden. Damit sind wir bei 15 Milliarden, die in diesem Zeitraum, wo eine Milliarde eingespart worden ist, hinzugekommen ist. Und da war natürlich die berechtigte Frage, aber wie kann das denn sein? Es gab vor einigen Jahren schon mal den Beschluss, bei dem man eine sogenannte One-in-one-out-Regel macht. Das heißt, wenn man ein neues Gesetz mit einer neuen Regulierung reinbringt, dann muss man mindestens in der gleichen Belastungshöhe ein altes Gesetz auflösen. Bei diesem Gesetz haben wir so viele Ausnahmen reingepackt. Also mal ein Beispiel: Alle Umsetzungsgesetze für EU-Verordnungen sind ausgenommen. Die machen aber heute mittlerweile 55 Prozent der Regulierungen aus, die wir im Deutschen Bundestag beschließen. Das heißt, wir haben zwar einen netten Ansatz, wie man so etwas in den Griff bekommt, aber durch die vielen Ausnahmen, die wir machen, hebeln wir das am Ende aus. Und das ist, glaube ich, auch eine der großen Herausforderungen. Wenn man sich natürlich zu Recht fragt: Warum kriegen wir das trotzdem nicht hin und haben eine ständig zunehmende Bürokratie. Und das hängt sehr stark damit zusammen, dass wir immer noch einen sehr, sehr hohen Anspruch haben auf Einzelfallgerechtigkeit und dass wir in vielen Bereichen tatsächlich versuchen, vieles mit zusätzlicher Komplexität zu lösen. 

Tanja Könemann [00:08:24] Frau Professor Welter, zur Einzelfallgerechtigkeit also wäre ein Mittelständler vielleicht sogar bereit, auf solche Ausnahmen zu verzichten und für weniger Gerechtigkeit im Sinne des Bürokratieabbaus zu stimmen? 

Friederike Welter [00:08:40] Wenn ich mit denen heute über Bürokratie und über Bürokratieabbau spreche, dann höre ich was gewünscht ist. Ist jetzt nicht unbedingt weniger Regeln. Klar, auch immer weniger Regeln, aber einfach mal mehr Mut zur Lücke. Und ich denke, das passt ganz gut auf diese Einzelfallgerechtigkeit, weil man da eigentlich von meinem Verständnis ja versucht, mit einem Gesetz bzw. ¬¬¬der Verordnung jeden möglichen Fall zu regeln. Also jemand muss sich registrieren als Unternehmen, dann gibt es eine Ausnahme, unter Umständen für die mit zehn Mitarbeitern. Es gibt eine weitere Ausnahme für die mit 50 Mitarbeitern usw. und so fort. Das wäre für mich so eine Einzelfallgerechtigkeit, wo man dann eben sagt, es gibt Ausnahmen, aber ihr müsst trotzdem etwas machen. Der Mut zur Lücke wäre dann da, wenn man sagt Registrierung, ja ist notwendig. Wir wollen es aber vor allen Dingen erst mal von den Großen wissen, weil wir da eben wissen, okay, die sind vielleicht auch noch stark im Ausland. Die Kleinen lassen wir erst mal raus. Ihr kommt nur dann rein, wenn ihr bestimmte Tatbestände erfüllt. Das ist jetzt ganz vereinfacht. Das ist ein ganz hypothetisches Beispiel. Und das ist genau der Punkt, den die Mittelständler immer stärker betonen: Sie möchten mehr Vertrauen haben anstatt einer neuen Regulierung. Sie möchten einfach mehr das Gefühl haben, es gibt eine Regulierung im Sinne von „Wir geben etwas vor“. Und in diesem Rahmen, also ich stell mir das immer vor wie so einen Bilderrahmen, in diesem Rahmen können wir uns bewegen und sobald wir aus dem Rahmen raustreten, haben wir eine Übertretung des Gesetzes oder sonst etwas. Oder man muss noch sich noch mal zusammensetzen und sagen okay, hier ist ein neuer Tatbestand. Meinetwegen durch neue Märkte oder sonst etwas kann ja etwas entstehen, was gar nicht abgedeckt ist. Da bräuchten wir jetzt vielleicht noch mal eine neue Regel oder Vertrauen im Sinne von dem Gesetz. In der Verordnung steht drin: Das müsst ihr umsetzen. Wir regulieren das jedes Jahr. Warum jedes Jahr? Warum sagt man dann nicht: Erst in drei Jahren oder in fünf Jahren? Das ist dieses Aufbrechen, nicht mehr Einzelfallgerechtigkeit, nicht versuchen, alles, was passieren könnte, von vornherein in der Verordnung drin zu haben, sondern eben zu sagen: Hier ist euer Rahmen, in dem Rahmen wirtschaftet ihr. Und wir gucken uns das an, wenn wir das Gefühl haben, es klappt nicht, dann setzen wir uns noch mal zusammen und gucken. 

Tanja Könemann [00:11:07] Herr Alkassar, ich sehe Sie gerade ganz zustimmend nicken und eifrig. Frau Welter fordert also im Namen der Mittelständler mehr Vertrauen und weniger Kontrolle. Behörden aber wollen Regeln, die sie abhaken können. Wo können sich denn Ihrer Meinung nach beide Seiten treffen? 

Ammar Alkassar [00:11:26] Ich glaube, Frau Professor Welter hat ja nicht in Frage gestellt, dass es Regeln bedarf. Also die Regeln sind, glaube ich, das Fundament, auf dem wir sozusagen uns beide treffen. Aber die Frage ist tatsächlich Vertrauen, so wie Sie es völlig zu Recht sagen: Warum vertrauen wir nicht den Bürgern, den Unternehmen mehr? Warum müssen wir alles kontrollieren? Und dass es in anderen Volkswirtschaften auch anders funktioniert, zeigen zum Beispiel die USA. Dort gibt es in vielen Bereichen bis hin zum Umweltstrafrecht – da wird nicht so viel kontrolliert. Aber wenn kontrolliert wird und jemand sich nicht an die Regeln hält, sind die Konsequenzen sehr, sehr viel umfassender. Was auch dazu führt, dass man dann während der Zeit auch auf viele Regeln, aber auch auf viele Kontrollen sozusagen verzichten kann. Und man kann das bis hin auch zu Genehmigungsprozessen vereinfachen. Wir sind es gewohnt und da sage ich explizit: Es ist nicht der Staat, der das einfordert. Es sind auch manchmal tatsächlich diejenigen, die sagen ich brauche hier einen behördlichen Stempel, bevor ich überhaupt loslegen kann. Wenn man könnte, zum Beispiel, es ist eine Idee, die ich aufgegriffen hatte während meiner Amtszeit und die jetzt auch einzelne Bundesländer umsetzen. Man kann das Baurecht, das ein Bauordnungsrecht, man kann zum Beispiel sagen, dass bestimmte Bauten keine Baugenehmigung erfordern, sondern der Architekt trägt die Verantwortung dafür, dass das, was dort geplant ist, seine Richtigkeit hat. Man schafft einen Rahmen, in dem man relativ einfach agieren kann. Und nur wenn man aus diesem Rahmen rausgeht, wenn es komplexer wird, nur dann fängt man sozusagen an, auch beispielsweise eine Genehmigung zu bekommen. Damit entlastet man von Standardaufgaben, von Regelaufgaben, wo eben nur abgehakt wird und konzentriert sich wirklich auf die komplizierteren Dinge. 

Tanja Könemann [00:13:21] Frau Professor Welter, ist das denn realistisch? Also können Sie sich vorstellen, dass so ein Architekt das mitmacht, ohne Stempel loszulegen und zu riskieren, dass er vielleicht einen Fehler macht? 

Friederike Welter [00:13:32] Noch haben wir nicht die Klagekultur, wie ich sie aus den USA kenne. Das ist ja nur der Gegenpol. Wenn der Architekt sich darauf verlassen kann, dass er sagt: Gut, ich habe meine Kenntnisse und ich weiß genau, ich kann das abnehmen usw., dann denke ich auch, dass die Bauherren da mitgehen. Das Problem ist natürlich, was passiert, wenn jetzt etwas passiert und da sind wir dann einfach auch übervorsichtig, dass man dann eben sagt, okay, dann will ich aber doch lieber gleich das Gesamte, ich kann mich aufs Gesetz berufen statt einfach auf den Stempel des Architekten. Dann hängt der Architekt in der Haftung. Auf der anderen Seite: Wenn ich Unternehmer bin, dann hafte ich sowieso. Und dann ist es eigentlich egal, ob ich jetzt auch noch diese Stempel Haftung mitnehme oder dann eben sage: Ich verlasse mich auf das Gesetz. Wenn mich jemand anklagen will, weil der Bau vielleicht nicht ganz so aussieht, wie er hätte aussehen sollen, dann wird's die Person sowieso machen. Das Problem ist, dass wir eine etwas andere Rechtskultur haben. Wir bauen extrem stark auf Sicherheit. Also wir wollen diese Sicherheit und das ist das, was ich so faszinierend finde. Von der einen Seite höre ich von den Mittelständlern immer wieder „Wir brauchen mehr Vertrauen“, „wir möchten mehr vertrauen“ usw. und auf der anderen Seite haben wir im Hintergrund immer dieses „Aber eigentlich möchten wir uns auch auf allen Ecken und Enden absichern“. Es widerspricht ja auch so ein bisschen dem, was Unternehmertum ausmacht. 

Tanja Könemann [00:14:57] Also muss da nicht nur bei der Bundesregierung mehr, ja, Wumms würden jetzt gewisse Leute sagen beim Bürokratieabbau stattfinden, sondern auch im Mittelstand. Ein Umdenken, weniger sicherheitsbezogen? 

Friederike Welter [00:15:13] Also ich höre es ja immer wieder. Man möchte gerne dieses Vertrauen in diese Idee mit Lass uns doch mal die Kontrollen nur auf alle drei oder fünf Jahre. Das ist nicht von mir, das habe ich auf einem Podium gehört, wo ich mit einem Unternehmer gesessen habe. Finde ich eine tolle Idee. Die Frage ist, was passiert, wenn man es wirklich umsetzt. Ja, weil natürlich hat man eine gewisse Sicherheit, wenn einer jedes Jahr kommt. Der Schornsteinfeger kommt bei mir jedes Jahr, liest einmal die Werte ab und kontrolliert. Ich verlasse mich drauf. Was passiert, wenn er jetzt nur alle fünf Jahre kommt. Zwischendurch habe ich ein kleines Gerät, liest die Werte selber ab. Ja gut, verlass ich mich auf mich, aber ich geh gewisses Risiko ein. Ich finde, das stünde uns gut an im Mittelstand. Der nimmt ja auch das Risiko auf sich. Wenn Sie an die Unternehmen denken, die auf internationale Märkte gehen, die neue Produkte einführen. Ja, ich kann mir vorstellen, dass es die einen oder anderen gibt, die lieber die Sicherheit hätten. 

Tanja Könemann [00:16:07] Herr Alkassar, als ehemaliger Bevollmächtigter für Innovation und Strategie des Saarlands stellt Digitalisierung denn einen Ausweg nahe? Oder könnte man sogar sagen, statt über Bürokratie zu klagen, könnten es die Unternehmen ja auch mal damit versuchen? 

Ammar Alkassar [00:16:23] Ja, ich glaube, wir haben noch sehr viel Luft nach oben, was die Digitalisierung in Deutschland angeht. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist aber nicht, den Fehler zu machen und zu glauben, dass man mit Digitalisierung Bürokratie automatisch beseitigt. Ich kann mich erinnern, an eine Diskussion, die ich mit Kollegen hatte, da ging es auch darum, sozusagen komplexe bürokratische Verfahren in den Griff zu bekommen. Dann hat irgendjemand gesagt: Ja, wunderbar, Digitalisierung, das können wir dann elektronisch abbilden. Und dann hat einer dann noch hinterhergeworfen: „Das ist ja noch besser, dann können wir es hier noch komplizierter machen, weil digitale Möglichkeiten das erlauben. Denn so, und das ist genau der falsche Ansatz, deswegen ist es, glaube ich, wahnsinnig wichtig zu überlegen: Welche Maßnahmen brauchen wir, welche Maßnahmen brauchen wir nicht? Also ich glaube, wir brauchen Digitalisierung. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir mit Digitalisierung die Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bringt, sozusagen Dinge auch noch mal ein Stück weit komplexer machen. Und das schließt auch an das, was wir eben diskutiert haben, auch das, was Frau Welter eben gesagt hat, ob wir sozusagen das uns als Gesellschaft auch zutrauen. Ich glaube, was wir wirklich dringend brauchen, ist, dass wir bereit sind, ein Stück weit auch über unseren Schatten zu springen. Wenn ich so ein bisschen zurückgehe, die Bürokratie ist ja erst mal was Positives. Diese stringente Verwaltung, die vor 200 Jahren in Deutschland vor allen Dingen durch Preußen, preußische Reformen um Stein und Hardenberg gepusht worden ist, hat uns die Grundstein gelegt für die wirtschaftliche Entwicklung der letzten 200 Jahre. Wir sind ja in der Welt ein Vorbild dafür, wie eine Verwaltung ordnungsgemäß funktioniert, wie eine Verwaltung korruptionsfrei ist, wie eine Verwaltung etwas ist, auf das man sich verlassen kann. Die Herausforderung besteht darin, dass wir gerade in den letzten Jahren viele Umwälzungen in der Welt haben. Digitalisierung, aber auch andere Technologien, die dazu führen, dass wir viel schneller reagieren müssen. Und dieses System, in das wir uns sozusagen ein Stück weit eingelebt haben, das zunächst mal gut ist, hindert das. Das ist wie so ein großer Tanker, und je größer dieser Tanker wird, desto schwieriger ist es, rechts und links zu manövrieren. Solange man geradeaus fährt, ist alles gut. Wenn sich aber die Welt ändert und man wirklich mal eine 90-Grad- oder eine 180-Grad-Drehung machen muss, dann funktioniert es nicht mehr. Und das ist sozusagen der das, was wir ein Stück weit stärker beherzigen müssen. Und zwar sowohl die Unternehmen als auch der Staat. Wie schaffen wir es, dort viel, viel flexibler zu sein und um diese Veränderungen zu antizipieren? Und wenn wir das machen, dann ist Digitalisierung ein gutes und entscheidendes Werkzeug, aber nicht sozusagen alleine betrachtet. Das wird wahrscheinlich eine zusätzliche Herausforderung mit sich bringen. 

Friederike Welter [00:19:13] Da würde ich es ganz gerne ein kleines bisschen widersprechen. Digitalisierung würde hier einfach auch mal bedeuten, dass Daten, die ständig irgendwo wieder neu eingelesen werden müssen. Entweder müssen sie jährlich neu eingelesen werden oder man hat fünf Stellen, die die gleichen Daten abfragen. Dass ich diese Daten einfacher verknüpfen kann und das würde im Unternehmensalltag und ich bin mir auch ziemlich sicher, im privaten Alltag ein ganzes Stück weiterhelfen. Das wäre für mich auch Bürokratieabbau. Wenn Daten, die im Unternehmensalltag ständig wieder irgendwo eingepflegt werden müssen, dort nicht nur vorgehalten werden, sondern auch miteinander verknüpft werden können. 

Tanja Könemann [00:19:51] Sie waren ja bei den Verhandlungen und Gesprächen zum Bürokratieentlastungsgesetz mit dabei. Herr Alkassar, war das irgendwie auch ein Thema, dass der Staat auch quasi mehr voranschreiten muss in puncto Digitalisierung, um Bürokratie abbauen zu können? Weil wenn die eine Seite da voranschreitet, also die Unternehmen die Digitalisierung vorantreiben, um Bürokratiebelastungen zu mindern, dann muss ja auf der Gegenseite auch was passieren. 

Ammar Alkassar [00:20:18] Völlig klar. Und das, was Frau Welter, gesagt hat, ist ja eine unserer Herausforderungen, weil wir ja auch zu kompliziert denken und sozusagen viele Rahmenbedingungen ein Stück weit auch erst mal nutzen, um Dinge nicht zu machen. Also DSGVO ist ein wichtiges Thema. Und da gilt ganz oft, dass wir im Bereich des Staates den Datenschutz so eng auslegen, dass wir am Ende viele von diesen Dingen, die wir eigentlich machen müssten, auch der Umgang mit Daten ist sozusagen nicht tun. Und das Beispiel Mehrfachaufnahme von Daten ist so eins. Das ist jetzt nicht Gegenstand vom Bürokratieabbau-Gesetz direkt gewesen, es hat es nur tangiert, ist nur dort mit erwähnt. Das war aber Gegenstand vom Onlinezugangsgesetz, von der Änderung, die jetzt beschlossen worden ist. Da war ich auch Sachverständiger im letzten Jahr. Das hat ja ein Jahr gedauert, bis das durchgegangen ist. Und da war zum Beispiel ein Vorschlag, den ich gemacht habe, hinzugehen und zu sagen: Wir können es ja relativ einfach machen. Sofern eine behördliche Stelle einen Bürger oder ein Unternehmen nach einem Datensatz fragt, den der Staat irgendwann mal in seinem Leben schon mal abgefragt hat und der noch gültig ist, dann bekommt er 10 Euro dafür. Also einfach damit sozusagen klar ist, damit es einen Druck gibt. Weil es macht für mich gar keinen Sinn! Ich nutze das Elster Formular, da gebe ich alles ein, wo ich wohne, alles Telefonnummer, alles. Ich gehe in das nächste Formular und gebe das alles noch mal neu ein. Das klassische Melderegister kann das auf Knopfdruck abrufen. Das System steht. Das gibt es, das funktioniert. Es ist datenschutzrechtlich alles geklärt. Man kann es sozusagen einfach machen. So, und ich finde, muss da vielleicht so ein bisschen mehr Motivation geben. 

Tanja Könemann [00:22:07] Frau Professor Welter, ich wollte gerne noch mal auf ein Thema zurück, was Sie angesprochen haben. Von wegen einfach mal machen. Es setzt voraus, dass man Vertrauen hat. Und da sind wir gerade hängengeblieben an dem Thema. Und zwar, wenn ich Vertrauen fordere für Unternehmen, Wie kann ich denn auf der anderen Seite auch Verbindlichkeit herstellen? Also haben Sie, haben Sie vielleicht mal ein Beispiel, wo das gut funktioniert hat, wo der Staat vorangegangen ist und dem Unternehmen oder dem Mittelstand sogar Vertrauen geschenkt hat? Und es hat gut funktioniert. 

Friederike Welter [00:22:39] Aktuell fällt mir nichts ein. Wir wissen aus anderen Ländern, dass das durchaus funktioniert, beispielsweise in den Niederlanden ... Die mittelständischen Unternehmen werden bereits einbezogen und gefragt, bevor überhaupt über ein Gesetz nachgedacht wird, ob sie der Meinung sind, dass sie es brauchen. Und wenn sie es brauchen, wird es umgesetzt. In Großbritannien läuft das nicht so. Generell wird dort stärker ein Rahmen gesetzt, und dann wird gesagt: 'Ihr macht Selbstverpflichtungen. Man versucht es zum Beispiel mit der Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten. Das sieht man auch in anderen Bereichen. Das ist ein typisches Instrument, bei dem der Staat Vertrauen voraussetzt. Aber dann wird oft schnell gesagt, dass das nicht funktioniert. Die meisten mittelständischen Unternehmen, die ich kenne, setzen sich jedoch Was momentan passiert, ist eine Transformation, die stark von der EU getrieben wird, beispielsweise durch Berichtspflichten. Das bedeutet für den Mittelstand, dass viele dieser Zahlen gar nicht erhoben werden können, weil sie nicht vorliegen. eigene Ziele. Das könnte man auch auf diese Transformation anwenden. Manchmal ist auch zu hinterfragen, ob diese überhaupt notwendig sind – CO2-Ausstoß etc. Warum sagt man hier nicht: 'Wir vertrauen euch. Wir wollen eine Transformation und möchten bis 2030 ein bestimmtes Ergebnis sehen. Wir stellen uns vor, dass wir gewisse Vorgaben machen müssen. Dann spricht man mit dem Mittelstand und fragt: 'Wie kommt ihr dahin?' Ich bin mir sicher, dass die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer sagen würden, dass sie das nicht schaffen, indem sie jedes Jahr Berichte schreiben, sondern indem sie Unterstützung bekommen. Wo bekomme ich neue Energiequellen her? Wie komme ich tatsächlich an umweltfreundliche Energiequellen? Und damit meine ich nicht einmal Förderprogramme, sondern tatsächlich den Zugang zu solchen Quellen. Dadurch könnte auch Vertrauen geschaffen werden, damit der Mittelstand die Transformation aus eigener Kraft meistern kann. Die schwarzen Schafe, die man jetzt so implizit beiseiteschiebt, die gibt es immer. Es wird immer eine Art Regelung geben müssen. Aber man könnte vielleicht wirklich mal in Vorlage treten und sagen: 'Hört zu, das sind Unternehmer, das ist Unternehmertum. Sie gehen das Risiko ein, und wir schauen, was wir tun müssen, damit die Transformation gelingen kann.‘

Tanja Könemann [00:25:20] Ich würde gerne noch zum Schluss einmal zurückkommen auf die On-in-One-Out-Regel, von der sich Frau Professor Welter bestimmt wünschen würde, sie wäre eine One-in-Three-Out-Regel. Wie realistisch ist das denn, Herr Alkassar? Können wir irgendwann mal dahin kommen, dass wir sagen, wir geben eine neue Regel rein und schmeißen drei raus? 

Ammar Alkassar [00:25:42] Als die neue Regierung, da war ich noch relativ jung, 1999 ins Saarland gekommen ist und Peter Müller, der später Verfassungsrichter geworden ist, mit dem Anspruch kam ‚Ich baue jedes Jahr, ich glaube, 3000 Verordnungen ab‘. Das hat er gemacht und es hat auch funktioniert. Es gab einen riesigen Aufschrei, weil bei jeder Verordnung die Betroffenen meinten, sie sei unbedingt notwendig. Sie sagten: „Wenn wir diese Verordnung abschaffen, bricht das Abendland zusammen.“ Aber sie wurde abgeschafft, und es hat funktioniert – vielleicht wurden ein paar zu viele abgeschafft, aber die kann man ja wieder einführen. Das heißt, es ist realistisch, und es funktioniert. Man muss nur den Mut haben, das auch gegen Widerstand durchzusetzen. Und wie wir zu Beginn gesagt haben: Man muss die Kraft haben, solche Dinge auch gegen Widerstand umzusetzen. Und ich glaube, man muss den Menschen und der Gesellschaft klarmachen, dass nichts zusammenbricht, selbst wenn wir mal einen Fehler machen und etwas Falsches abbauen. Fehler machen ist kein Problem; das kann man korrigieren. Aber diese Flexibilität brauchen wir, sonst kommen wir nicht wirklich weiter.

Tanja Könemann [00:26:43] Ein sehr gutes Schlusswort. Wir haben uns hier im Podcast immer vorgenommen, ein Resümee und ein Fazit zu ziehen. Was haben wir heute von Ihnen gelernt? Wir haben gelernt, dass wir mehr Mut zur Lücke brauchen, wenn es um Regeln und Stempel auf Dokumenten geht. Und wir haben gelernt, dass der Staat mehr Vertrauen in die Unternehmen braucht. Was möchten Sie uns denn noch mitgeben, Frau Professor Welter?

Friederike Welter [00:27:06] Das, was an Regeln kommt von der internationalen Ebene, nicht eins zu eins oder sogar zu 150 Prozent in Deutschland umsetzen muss. Dieses sogenannte "Gold Plating" ist ein Problem. Und wir müssen den Mut haben, nicht alles regeln zu wollen. Nicht alles, was im Geschäftsleben passiert, bedarf eines Gesetzes oder einer Verordnung.

Tanja Könemann [00:27:34] Herr Alkassar, was würden Sie sich wünschen, was wir noch lernen? 

Ammar Alkassar [00:27:37] Mehr Vertrauen haben. Mehr Vertrauen. 

Tanja Könemann [00:27:39] Ganz herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren. Und auch Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Herzlichen Dank fürs Dranbleiben bis zum Schluss. Falls Sie Fragen oder Anmerkungen haben, schreiben Sie uns gern in die Kommentare oder auf LinkedIn. Ich hoffe, dass Sie uns auch beim nächsten Mal zuhören. Bis bald bei …

Jingle [00:00:15] Gute Geschäfte. Die Streitfrage. Wohin steuert der deutsche Mittelstand? Eine Podcast Reihe von Creditreform.