KI im Controlling: Bereit sein, zu teilen
Künstliche Intelligenz kann im Controlling zu besseren Ergebnissen führen. Eine große Hürde stellt die Datenqualität dar. Mittelständische Unternehmen sollten sich auf die innovative Technik vorbereiten und sie testen. Wie der Einstieg gelingt.
Manch Auszubildender hätte nach dem Lesen dieser Nachricht wohl am liebsten seine Lehre geschmissen. Kurz nachdem OpenAI seinen digitalen Assistenten ChatGPT auf die Version 4.0 upgedatet hatte, ließ ein deutsch-amerikanisches Forscherteam den KI-Chatbot zur Prüfung antreten. Das Ergebnis lief in den Fachmedien rauf und runter: Der Textroboter bestand wichtige Prüfungen für Buchhalter mühelos.
Kein Wunder also, dass KI häufig im Finanzwesen eingesetzt wird. Laut dem Statistischen Bundesamt wenden meist große Unternehmen ab 250 Beschäftigten die Technologie an – 25 Prozent von ihnen nutzen sie in der Buchführung, im Controlling oder in der Finanzverwaltung. Fachleute wie Ronald Gleich bestätigen: „Die Konzerne geben Gas. Sie sind bereit für ein datengetriebenes Controlling mit generativer KI“, sagt der Professor für Management Practice & Control der Frankfurt School of Finance & Management.
Günter Lubos, Mitglied der Geschäftsleitung der Unternehmensberatungsgesellschaft Wieselhuber & Partner sieht bei kleinen und mittleren Unternehmen hingegen noch keine Verbreitung. Ein Fehler. Denn mit KI könnten Unternehmen Informationen mit einer hohen Aussagequalität als Entscheidungshilfe erhalten. Typische Einsatzbereiche für umfassende Data Analytics sieht Lubos zum Beispiel in Branchen, bei denen riesige Datenmengen anfallen – etwa die Kassenbon-Daten bei den großen Handelsfilialisten. Eine automatisierte Auswertung spart viel Zeit und vermeidet Fehler. Der wesentliche Vorteil für Unternehmen liegt darin, präzise Informationen mit einer hohen Aussagequalität als Entscheidungshilfe zu erhalten und somit Erkenntnisse zu gewinnen, „die sie aus Excel-Tabellen nicht ziehen können“, so Lubos. Planungstools etwa berechnen auf Basis von Algorithmen Szenarien für die Zukunft.
Angenommen, ein Unternehmen möchte für ein bestimmtes Produkt sein in der Region zu erwartendes Umsatzvolumen realistisch einschätzen. Dafür etwa können KI-gestützte Anwendungen sehr schnell und sehr umfassende interne und externe Datenvolumina auswerten und daraus ableiten, mit welcher Wahrscheinlichkeit welcher Umsatz zu erwarten ist. „Die Automatisierung der Planung auf Basis von Eintrittswahrscheinlichkeiten ist eine Anwendung. Die Identifikation von Ursachen von Planabweichungen insbesondere bei großen Datenmengen und von Auffälligkeiten ist ein weiteres Feld für den Einsatz der KI“, so Lubos.
Problem: Mangelnde Datenqualität
Die Voraussetzung für den sinnvollen Einsatz von KI im Controlling ist eine bereinigte und belastbare Datenbasis. Wenn es allerdings um mehr als Finanzdaten geht, haben „kleine und mittlere Unternehmen im Datenmanagement noch erhebliche Probleme“, sagt Daniel Peter, Professor und Leiter des Studiengangs Controlling der Hochschule für Wirtschaft Zürich. Häufig wiesen die Daten keinen tiefen Reifegrad an Datenexzellenz aus und eingesetzte Softwaresysteme seien nicht durchgängig kompatibel.
„Der Einsatz Künstlicher Intelligenz ist in diesem Fall sicherlich sehr weit entfernt“, sagt Peter. Die Unternehmen stünden also schon bei der unabdingbaren Basis für KI-Anwendungen, dem professionellen Datenmanagement, vor großen Herausforderungen. Vor allem müssten Bereichsleiter alle Daten transparent machen und intern zur Verfügung stellen. In vielen Unternehmen aber sei das bisher nicht gewollt, ein Kulturwandel hin zu „Data Democracy“ müsse stattfinden. „Man muss bereit sein, sie zu teilen“, sagt der Controlling-Professor. Stimmen die Daten, wird es im nächsten Schritt darum gehen, mögliche Anwendungsfelder zu ermitteln. Das kann beispielsweise die Absatzplanung einer einzelnen Produktgruppe sein. Die gilt es dann mithilfe einer auf dem Markt verfügbaren Standard-Softwarelösung zu testen.
Ein Problem: „Es gibt keine fertigen One-size-fits-all-Lösungen, die man einkaufen kann und die sofort funktionieren“, sagt Claudia Maron, Leiterin Strategic Controlling und Riskmanagement bei Datev. Und schon gar nicht die eine Anwendung, die für alle Unternehmen gleichermaßen passt. „Die Chancen der KI zu nutzen, ist ein mühsamer Trial-and-Error-Prozess“, sagt Maron, die auch Vorständin des Internationalen Controller Vereins IVC ist. Man brauche Zeit und Lust, um über Datenanalysen neue Einsichten zu gewinnen.
Bei Datev hat das Nachdenken über KI-gestützte Anwendungen bereits vor rund einer Dekade begonnen. Die Genossenschaft gilt als Vorreiterin in Sachen Digitalisierung und Automatisierung – und zwar sowohl mit Blick auf ihr Angebot für die angeschlossenen Steuerberater als auch hinsichtlich der Prozesse innerhalb des Unternehmens. Controllerin Claudia Maron nennt Beispiele: „Wir haben unsere Umsatzvorausschau fachlich auf eine Top-Down-Planung umgestellt und sie weitestgehend datengetrieben hinterlegt. Um einen Forecast zu generieren, verwenden wir statistische Verfahren sowie Metriken. Hier arbeiten wir nicht nur mit klassischen Methoden, wir haben die Treiber unseres Geschäftsmodells ermittelt und kommen so zu deutlich besseren Ergebnissen als mit herkömmlichen Verfahren.“ Solche Treiber können etwa Märkte, Preiskonzepte oder Produktivitätskennzahlen sein.
Darüber hinaus entwickelten die Experten ein modernes Unternehmensreporting mit automatisiert erstellten Dashboards, also grafischen Visualisierungen der relevanten Kennzahlen. „Das beinhaltet noch keine KI-Elemente. Wir haben damit aber die notwendige Basis für deren Einsatz geschaffen“, sagt Maron.
Die Gefahr, sich zu verschlucken
Anderen Unternehmen empfiehlt Maron, mit kleineren Leuchtturm-Projekten zu starten und sich von Fehlversuchen nicht entmutigen zu lassen. Auch Experte Lubos rät zu einem langsamen Vorgehen: „Die Ausgangslage für die Einführung von KI im Controlling ist ähnlich wie beim Essen. Wenn man zu viel auf einmal will, besteht die Gefahr, sich zu verschlucken.“ Doch kleinere Mittelständler ohne Controlling-Abteilung haben keine Zeit für bedächtige Ausflüge in die Welt der KI. Dort ist meist der Steuerberater betriebswirtschaftlich agierender Dienstleister. Deshalb arbeitet Datev daran, seine Arbeit für die Unternehmen per KI zu professionalisieren. Mit dem „Liquiditätsmonitor“ zum Beispiel stehe schon jetzt ein Baustein zur Verfügung, der mittels Künstlicher Intelligenz in Form von Algorithmen die Kontobewegungen eines Betriebes analysiert und daraus eine automatisierte Liquiditätsprognose erstellt. Weitere KI-getriebene Anwendungen werden folgen.
Wer aber in den angesprochen Trial-and-Error-Prozess einsteigen will, wird schon jetzt fündig. Auch die digitale Unternehmensberatungsgesellschaft Canei beispielsweise hat ein KI-gestütztes Softwaretool entwickelt, das automatisiert Finanzplanungen, Reports, Analysen mit Kennzahlen und Handlungsempfehlungen erstellt. „Wir bieten für Unternehmen mit einem Umsatzvolumen zwischen 200.000 Euro und 30 Millionen Euro eine Lösung, die in wenigen Sekunden Online-Dashboards aufbereitet“, erklärt Vorstand Marcus Linnepe.
Abweichungen früh identifizieren
Die Unternehmen erhalten eine integrierte Finanzplanung mit Bilanz, GuV und Cashflow über bis zu fünf Jahre auf monatlicher Ebene. Dabei fließen Vergleichsdaten mit ein, die Canei aus den Softwareanalysen der Anwender generiert hat. „Automatisierte Soll-Ist-Vergleiche identifizieren Abweichungen frühzeitig und zeigen auf, wenn proaktiv Anpassungen vorgenommen werden sollten“, so Linnepe. Grundlage seien die aktuellen Summen- und Saldenlisten aus der Finanzbuchhaltung. Für Canei-Vorstand Linnepe ist hier noch längst nicht Schluss. „Wir wollen unsere Lösung so weiterentwickeln, dass eine Planung vollautomatisch erstellt werden kann“, sagt er. Und zwar so, dass man ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse mit den Analysen arbeiten könne. Mittelfristig sollten Anwender Fragen stellen können – etwa, wie hoch die Außenstände gerade seien.
Trotz aller Herausforderungen beim Einführen von KI – für Berater Günter Lubos steht fest: „Die Technologie wird sich auch im Mittelstand schnell verbreiten und durchsetzen. Spätestens wenn sie in den gängigen Standardlösungen von Microsoft oder SAP integriert ist.“ Deshalb baut sich Druck auf. Experten empfehlen, zunächst die Verfügbarkeit valider Daten sicherzustellen. Dazu wird eine leistungsfähige IT-Infrastruktur ebenso benötigt wie standardisierte interne Prozesse. Und nicht zuletzt engagierte Mitarbeiter, die sich mit Neugier in die Materie einarbeiten wollen.
„Deutlich höhere Zielgenauigkeit“
Professor Daniel Peter von der Hochschule für Wirtschaft Zürich, über die Chancen und Risiken der datengetriebenen Planung für den Mittelstand.
Welche Effekte lassen sich mit Data Analytics und KI-Prognosen im Unternehmen erzielen?
Budgetierungs- und Planungsprozesse gehören zu den personal- und kostenintensivsten Prozessen im Controlling. Die Ergebnisse werden durch Ziel- und Entlohnungssysteme beeinflusst, was oft zu falschen Ressourcenallokationen und verspäteten Korrekturmaßnahmen führt. Doch gerade die Planungsprozesse lassen sich bei vorliegender Datenexzellenz und durch Verknüpfung mit externen Datenquellen relativ gut digitalisieren.
Was kann KI, was der Mensch nicht oder nicht so gut kann?
Die KI identifiziert Muster, Abweichungen oder Trends nicht nur schneller, sondern auch präziser als der Mensch. Der Controller kann mit datengetriebener Analyse und Vorausschau neue Entwicklungen rasch erkennen und Handlungsbedarf aufzeigen.
Wie können Controller vorgehen?
Jede mit moderner Technik erstellte Prognose basiert auf einem Unternehmensmodell beziehungsweise auf den in den Daten abgebildeten Werteflüssen einer Unternehmung. In Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung identifiziert und beschreibt der Controller die Wertetreiber, welche der Prognose zugrunde liegen. Die KI unterstützt dabei, die Wechselwirkung zwischen Unternehmungsmodell und Wertetreiber laufend weiterzuentwickeln, um eine möglichst objektive Planung zu erstellen.
Sind die Ergebnisse vertrauenswürdig?
Ja, aber die Datenquellen müssen als valide identifiziert sein. Soweit beispielsweise ChatGPT in die Planung mit einfließt, kann man nicht sicher sein, dass die Informationen stimmen. Vor allem ist der Datenschutz eine große Herausforderung. Wenn Unternehmen der KI Informationen überlassen, müssen sie wissen, wohin die Daten abfließen.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger
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