Creditreform Magazin

Resilienz vor Effizienz

Unternehmen suchen nach Lösungen, um mit weniger Gas auszukommen. Konzepte mit erneuerbaren Energien aber lassen sich wegen der Lieferengpässe nicht kurzfristig realisieren. Notgedrungen setzen viele Betriebe daher auf schnelle Substitution, um durch die Krise zu kommen. Das aber geht zulasten der Energieeffizienz.

Georg Geier steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er ist Geschäftsführer der Gießerei Siempelkamp in Krefeld und produziert Gussteile für Industrie und Maschinenbau. Die Schmelzverfahren verbrauchen neben elektrischer Energie auch große Mengen an Gas. Bereits seit mehreren Monaten hat ein Expertenteam bei Siempelkamp deshalb sämtliche Möglichkeiten untersucht, wie sich Erdgas in der Produktion teilweise austauschen lässt. „Es ist keine triviale Aufgabe, unsere Prozesse umzustellen. Aber erste Erfolge sind bereits zu verzeichnen“, sagt Geier. Bisher war Gas für das Unternehmen nicht nur aus produktions- und effizienztechnischer, sondern auch aus kommerzieller Sicht die günstigste Lösung. Mit den aktuellen Preiserhöhungen aber hat sich dies grundlegend gewandelt. Die Gasumlage, die alles nochmals verteuert, verschärft das Problem. 

Ganz auf Gas verzichten kann Siempelkamp derzeit nicht. „Wir würden für mögliche Substitutionsverfahren auch Genehmigungen benötigen. Bis wir damit fertig sind, vergehen Monate. Diese Zeit haben wir als agiler deutscher Mittelständler im internationalen Wettbewerb nicht“, erklärt Geier. Daher hat er für den Fall eines Gasstopps vorsorglich mit seinem Netzanbieter gesprochen, um seine schwierige Lage zu erläutern und gemeinsam mögliche Lösungen zu erarbeiten. „Bei einem Engpass gibt es für die gerechte Verteilung keine Blaupause. Eine Situation wie diese gab es bisher nicht. Wir gehen nicht davon aus, dass dies reibungslos abläuft, und bereiten uns vor“, sagt Geier.

Dominoeffekt nicht auszuschließen

In mühsamer Detailarbeit hat das Expertenteam der Gießerei eine ganze Reihe Maßnahmen aufgelistet, die schnell helfen. „Resilienz kommt momentan leider vor Effizienz“, sagt Geier. Zum Beispiel stellt das Unternehmen teilweise auf Öl oder Flüssiggas um und arbeitet bei der Trocknung – soweit möglich – mit Strom als Energieträger. Nur bleibt das Problem, dass explodierende Gaspreise auch einen Schub bei allen anderen Energiepreisen auslösen. „Kalkulatorisch führt dies Substitutionen ad absurdum. Preisvorteile werden durch Effizienznachteile zusätzlich aufgezehrt“, so der Unternehmer.  

Auch die Zulieferer der Gießerei – etwa Firmen der Keramikindustrie – haben mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine Studie im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen in Berlin sieht überdies Betriebe der Metallerzeugung und -verarbeitung sowie die Papierindustrie und die Lebensmittelhersteller stark von der Gaskrise betroffen. Wobei sich Engpässe in einer Branche auf andere Branchen auswirken: „Eine mangelnde Versorgung mit Primärenergieträgern trifft die deutsche Wirtschaft ins Mark unserer vernetzten Lieferketten. Ein einzelner Ausfall wird sich schnell auf die Produktion entlang der gesamten Lieferkette auswirken“, kommentiert der Familienunternehmer Christian Heinrich Sandler, Vorstandsvorsitzender der Sandler AG in Schwarzenbach an der Saale, die Vliesstoffe herstellt. 

Abhängigkeit vom Erdgas reduzieren

Als systemrelevantes Unternehmen der Lebensmittelindustrie muss auch der Zuckerhersteller Pfeifer & Langen die Lieferkette aufrechterhalten und arbeitet daran. „Rüben sind nicht lagerfähig. Wir sind gezwungen, in der Zeit der Ernte und der Produktion von September bis Dezember – oder länger – unsere fünf Standorte in Deutschland zu befeuern. Wir haben hier wenig Spielraum und richten uns nach der Entwicklung der Rübe auf dem Feld“, erklärt Jens-Peter Wegner, Geschäftsleiter Produktion. Einige der Werke von Pfeifer & Langen sind auf Gas angewiesen. Andere lassen sich mit Brennstoffen wie Kohle, Öl oder Holzpellets betreiben. „Wir können durch Substitution unseren Gasverbrauch immerhin um bis zu 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr reduzieren“, rechnet Wegner vor. Das Unternehmen hat sich bereits mit Brennstoffen eingedeckt. „Mittelfristig investieren wir Millionen in alternative Energieträger, die aber unter Umständen nicht in unsere Strategie zur Dekarbonisierung passen, nur um unsere Abhängigkeit von Erdgas zu reduzieren“, erklärt der Produktionschef. Das binde Investitionsmittel, Ressourcen und lenke von der CO2-neutralen Produktion ab. „Für uns ist dies leider notwendig, da wir eine ganzheitliche Energieversorgung mit nachhaltigen, erneuerbaren Energien so schnell nicht umgesetzt bekommen“, sagt Wegner. Dabei hatte Pfeifer & Langen im Zuge des Kohleausstiegs schon länger einen Plan zur treibhausneutralen Zuckerproduktion konzipiert. Ein möglicher künftiger Energieträger könnten bei der Herstellung anfallende Reststoffe sein, vor allem Zuckerrübenschnitzel.


Wie die Energiekrise Unternehmen belastet

  • sehr gering: 2 %
  • gering: 5 %
  • neutral: 20 %
  • stark: 46 %
  • sehr stark: 27 %
     

Quelle: Deutscher Mittelstands-Bund, Blitzumfrage Mitglieder, 31.08.2022


Auch der Direktvertreiber von Tiefkühlessen Bofrost investiert schon lange in energiesparende Lösungen und einen Wechsel zu alternativen Energien – zum Beispiel über Solarstrom oder Wärmetauscher in den Tiefkühllagern. Um 40 Prozent konnte das Unternehmen seinen Energieverbrauch in den vergangenen zwölf Jahren so reduzieren. Angesichts des europäischen Gasnotfallplans arbeitet Bofrost derzeit mit Hochdruck daran, Gas so weit wie möglich zu substituieren – etwa im Hinblick auf das firmeneigene Blockheizkraftwerk. „Viele Unternehmen wollen weg von den fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien“, weiß Energieexperte Klaus Neuhäuser, Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen (BDU). Zum Beispiel stehen Konzepte für den verstärkten Einsatz von Wasserstoff auf der Agenda. „Mittelständische Unternehmen können mit Energieversorgern entsprechende Kooperationen eingehen, um hierfür individuell passende Lösungen hinsichtlich Technik und Organisationsform zu entwickeln“, sagt er. Das bedarf aber langfristiger Planung. „Auch die Lieferfristen für Photovoltaikanlagen betragen mehr als sechs Monate“, so Neuhäuser. Für den Einbau von Wärmepumpen fürs Heizen oder in begrenztem Umfang inzwischen sogar für Prozesswärme müssen Interessenten ebenfalls mit einem Vorlauf von mindestens sechs Monaten rechnen. 

Seit Juli dieses Jahres registriert Sebastian Wurth, Geschäftsführer des Unternehmens Wurth Sanitär & Heizung in Kürten-Herweg extrem viele Anfragen von Unternehmern, die sich zum Beispiel Wärmepumpen anschaffen wollen. Er klärt dann im ersten Schritt deren Bedarf und prüft, ob eine oder mehrere Wärmepumpen überhaupt eine geeignete Lösung sind. Oft brauche es zusätzliche Wärmequellen und neue, moderne Heizkörper, so der Fachmann.


„Eigenstromversorgung ist das Mittel der Wahl“

Peter Radgen ist Professor für Energieeffizienz an der Universität Stuttgart und Mitglied diverser Forschungseinrichtungen. Er erklärt, wie Unternehmen in der Krise agieren können.

Die Energiepreise explodieren. Wie stellt sich die Situation momentan dar? 
Preissteigerungen von bis zu 500 Prozent und mehr bei Energie sind natürlich enorm. Wenn Firmen die hohen Kosten nicht weiterreichen können, schlägt das voll ins Kontor. Deshalb ist es kein Wunder, wenn viele Unternehmerinnen und Unternehmer unter einem extremen Druck stehen. Ein weit größeres Problem würde aber entstehen, falls tatsächlich das Gas rationiert werden müsste. Das kann keiner mit Sicherheit ausschließen, selbst wenn sich die Dramatik der Lage zuletzt aufgrund der sich füllenden Gasspeicher entspannt.

Wie können sich Unternehmen vorbereiten? 
Versorgungssicherheit ist ein hoher Wert, den viele bisher nicht so im Blickfeld hatten. Energiesparen ist jetzt Sache von allen. Sicherheitshalber können Unternehmen andere Energieträger wie Öl oder Flüssiggas bevorraten. Das sorgt aber selbstverständlich für ganz erhebliche Zusatzkosten und eigentlich wollen wir ja aus den fossilen Energien aussteigen. Wir empfehlen deshalb, möglichst direkt in erneuerbare Energien wie etwa Photovoltaik und Speicher zu investieren, auch wenn das meist den eigenen Bedarf nicht vollständig decken kann. Eigenstromerzeugung ist das Mittel der Wahl. 

Viele Unternehmen halten sich zurück, weil sie unter Unsicherheit agieren. Ist das verständlich? 
Vermutlich ja, zumal das zumindest für diesen Winter nicht viel bringen wird. Photovoltaik und auch Solarthermie bringt in den dunklen Monaten nur zehn Prozent der Leistung. Die Unternehmen müssen aber – wenn nicht jetzt – zumindest in den nächsten vier bis fünf Jahren für erneuerbare Energien Geld ausgeben, um wettbewerbsfähig zu bleiben.


Investitionen nicht schieben

Solche Investitionen in Energieeffizienz bedeuten hohe Kosten. „Sie machen aber Sinn, weil sich die Amortisationszeiten für erneuerbare Energien aufgrund der Explosion der Energiepreise von bisher vier bis sechs Jahre teilweise auf zwei Jahre verkürzt haben“, sagt Peter Radgen, Inhaber des Lehrstuhls für Energieeffizienz der Universität Stuttgart. Unternehmen müssen ohnehin mittelfristig deutlich energieeffizienter werden und mehr auf erneuerbare Energien setzen, um Klimaneutralität zu erreichen. „Die hohen Energiepreise können zur Gefahr für die Liquidität werden, weshalb jetzt schnell in Energieeffizienz und erneuerbare Energien investiert werden muss, um sich von Preisschwankungen und -steigerungen unabhängig zu machen“, rät auch Martin Bornholdt, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF). Unterm Strich würden klimaorientierte energieeffiziente Lösungen zum Kern der Unternehmensstrategie. Bornholdt empfiehlt, Experten zurate zu ziehen. „Es lohnt sich, jetzt externes Know-how einzubinden und ein Energiemanagement einzuführen. Dienstleister wie Contraktoren können bei Finanzierung und Umsetzung unterstützen“, so Bornholdt. 

Was aber hilft kurzfristig? „Energiesparen ist das Beste, was man machen kann“, sagt Radgen. Um Heizkosten zu reduzieren, können Firmen überlegen, ob sie an den Feiertagen zwischen Weihnachten und Silvester komplett schließen können. Konzerne wollen die Arbeit zudem wieder verstärkt ins Homeoffice verlegen oder die Betriebszeiten straffen. Viele Firmen planen in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten, die Raumtemperaturen zu senken. Nach einer Umfrage des Handelsblatts wollen einige Dax-Konzerne wie Bayer um mindestens ein Grad herunterfahren. Fahrzeughersteller Daimler Truck plant sogar zwei Grad weniger in den Produktionshallen und in den Büros. „Das kann sechs Prozent Einsparungen beim Gasverbrauch bringen“, sagt Volker Quaschning, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.


Was sich Unternehmen von der Bundesregierung wünschen

  • Steuerentlastung: 76 %
  • Gaspreisdeckel: 59 %
  • Abschaffung kalte Progression: 52 %
  • Steuerfreier Bonus für Beschäftigte: 43 %
  • Übergewinnsteuer: 35 %
  • Hilfsprogramme: 33 %
  • Ende der Schuldenbremse: 16 %
  • Sonstiges: 16 %


Quelle: Deutscher Mittelstands-Bund, Blitzumfrage Mitglieder, 31.08.2022


Ohnehin gibt die Ende August beschlossene Energiesparverordnung die Empfehlung, Büros möglichst, statt auf 20 Grad nur noch auf 19 Grad Temperatur aufzuheizen. „Wenn jeder nur einen kleinen freiwilligen Beitrag zur Energieeinsparung leistet, dann hilft uns das in der Not“, appelliert Marc S. Tenbieg, geschäftsführender Vorstand beim Deutschen Mittelstands-Bund. 

Doch auch die technischen Lösungen sind teilweise simpel. Bewegungsmelder sparen Energie, ebenso die Beseitigung von Rohr­leckagen in Heizungs- oder Druckluftsystemen. Die Gebäudebeleuchtung kann reduziert oder nachts abgeschaltet werden. Auch die Umstellung auf LED-Leuchtmittel lässt sich rasch realisieren. „Sogar ein einfacher Heizungscheck kann bis zu 15 Prozent Einsparung bringen, wenn die Anlage dann optimal eingestellt ist“, sagt Wurth. In der Vergangenheit hätten viele Unternehmen die Wartung vernachlässigt. Experte Bornholdt ist da sicher: „Viele Maßnahmen, die einiges an Einsparungen bringen und sich schnell amortisieren, wurden noch nicht flächendeckend umgesetzt.“


„Viele Maßnahmen lassen sich schnell, günstig und teilweise durch eigene Techniker umsetzen“

Martin Bornholdt, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF), über die größten Herausforderungen und die Einsparmöglichkeiten in der Gebäudetechnik.

Wie reagieren Unternehmen auf die Krise?
In den Betriebsgebäuden stehen aktuell zunächst kleinere und schnell umsetzbare Maßnahmen auf der Liste, die sich rasch über die Energieeinsparung amortisieren. Beispiele können effiziente Beleuchtungssysteme sein oder intelligente Thermostate, die die Heizung automatisch herunterdrehen, wenn niemand im Raum ist, oder eine Optimierung der Lüftung oder der Heizanlage über hydraulische Abgleiche. Aber es werden nun auch endlich komplexere technische Maßnahmen in Angriff genommen wie die innerbetriebliche Abwärmenutzung, Verbesserung der Lüftungswärmerückgewinnung oder den Einsatz von Solarfassaden oder Wärmepumpen. Die Palette ist lang, in Einzelfällen werden auch wieder Ölheizungen reaktiviert, dies kann aber keine langfristige Lösung sein. 
 
Was sind die Herausforderungen?
Der Investitionsbedarf für langfristige Maßnahmen, die deutlich Energie einsparen und Gas substituieren, ist hoch. Werden sie aber nicht getätigt, laufen die Unternehmen eventuell in Liquiditätsengpässe, deshalb muss die Blutung schnell gestoppt werden. Um hier bei der Finanzierung zu helfen, hat die DENEFF das Portal www.effinvest.de aufgesetzt. Wir hoffen jetzt auf Stabilität bei den Förderkonditionen, die auch einen substanziellen Beitrag zur Finanzierung leisten. Denn der Druck auf Unternehmen, in Dekarbonisierung zu investieren, steigt nicht nur durch die Preise, sondern auch durch regulatorische Vorgaben wie die aktuelle Umsetzungspflicht von wirtschaftlichen Energieeffizienzmaßnahmen aus den Audits. In jedem Fall muss die Politik hier jetzt langfristig planbare Rahmenbedingungen schaffen.
 
Welche Empfehlungen kann man geben?
Unternehmen sollten schnell handeln. Höhere Energieproduktivität wird jetzt zum Wettbewerbsvorteil, in einigen Branchen vielleicht zur Überlebensfrage. Viele Maßnahmen lassen sich schnell, günstig und in Teilen durch eigene Techniker oder Technikerinnen sowie unter Einbeziehung der Belegschaft umsetzen und größere Dekarbonisierungsinvestitionen sollten nun vorgezogen werden, da sie sich jetzt deutlich schneller amortisieren. Selbst Azubis entdecken immer wieder Potenziale, die lange übersehen wurden. Die Politik sollte Energieeffizienzziele endlich verbindlich erklären, nur das schafft Planungssicherheit, langfristiges und sinnvolles Ordnungsrecht und die Grundlage, um Förderstopps und -unsicherheiten künftig zu vermeiden. Bis dahin: einfach schon mal anfangen! Hierfür haben wir als DENEFF auch das Praxisforum Industry2Zero gegründet, damit sich Industrieunternehmen gegenseitig bei all diesen Fragen unterstützen können.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Eva Neuthinger



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