Restrukturierung: Partnersuche per Plattform
Die Insolvenzzahlen steigen, es geraten wieder mehr Unternehmen in Schieflage. Insolvenzverwalter stehen damit vor einer Herausforderung: Wie finden sie potenzielle Investoren für angeschlagene Firmen? Ein Start-up hat mit Unterstützung von Creditreform eine Lösung entwickelt.
Wie viel Zeit ist nötig, um ein insolventes Unternehmen zu sanieren und in eine gute Zukunft zu überführen? Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort. Zu verschieden sind die Umstände, die Insolvenzverwalter bei Unternehmen vorfinden, die in eine finanzielle Schieflage geraten sind. Sicher ist nur, dass es kaum schneller gehen kann, eine neue Perspektive zu entwickeln, als bei der Argo GmbH. Das auf Personalvermittlung und Personalüberlassung spezialisierte Unternehmen hatte im November 2022 beim Amtsgericht Hamburg Insolvenz angemeldet. Die finanziellen Mittel hatten nicht ausgereicht, um den Einbruch des Personalbedarfs im Zuge der Corona-Pandemie aufzufangen.
Doch die in solchen Fällen bei allen Beteiligten übliche Untergangsstimmung währte nicht lange. Die Insolvenzverwalterin Susanne Riedemann schaffte es binnen weniger Wochen, einen Investor aus der Branche zu finden, die AIDe GmbH PersonalService. Bereits zum 1. Februar 2023 – nur vier Monate später – führte der neue Eigentümer das angeschlagene Unternehmen mit nahezu allen Mitarbeitenden fort. Ein Musterbeispiel, wie zügig eine Sanierung gelingen kann.
Die Insolvenzzahlen steigen
In den kommenden Monaten werden sich vielen Insolvenzverwaltern ähnliche Herausforderungen stellen wie bei der Argo GmbH. Denn nach mehreren Jahren mit sinkenden Zahlen hat die Insolvenzwelle in Deutschland wieder Fahrt aufgenommen. In den ersten sechs Monaten 2023 verzeichnete Creditreform mit 84.000 Unternehmensinsolvenzen (plus 16,2 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2022) den höchsten Wert seit 2020. Und die Tendenz ist weiter steigend. „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen bleiben durch die Inflation und auch durch die Zinswende sehr angespannt. Deshalb könnte die Zahl der Zahlungsausfälle in den kommenden Monaten noch weiter steigen“, prognostiziert Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Für viele Betriebe werden die in der Vergangenheit großzügig verteilten Staatsgelder jetzt zum Bumerang. Sie haben ihr Geschäftsmodell nicht zügig genug angepasst und geraten bei dauerhaft steigenden Zinsen mehr und mehr in die wirtschaftliche Sackgasse.
Auffällig ist, dass zuletzt insbesondere größere Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Die Zahl der Insolvenzfälle bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden übertraf im ersten Halbjahr 2023 den Vorjahreswert um rund 67 Prozent. Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten betrug der Anstieg sogar 133 Prozent. Dagegen verzeichnete Creditreform bei Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten nur knapp 10 Prozent mehr Insolvenzen als in den ersten sechs Monaten 2022. „Globale Krisen wie die Pandemie oder die Energiepreisinflation haben auf größere Unternehmen direktere Auswirkungen. Deshalb gibt es im Mittelstand und bei Großunternehmen mittlerweile mehr Insolvenzen als vor Corona“, erläutert Hantzsch.
Firmenrettung: Wer macht weiter?
Bei steigenden Fallzahlen vor allem in dieser Größenklasse stehen Insolvenzverwalter vor der Herausforderung, mögliche Investoren für die Übernahme von Unternehmen in Krisensituationen zu identifizieren. Das erfordert eine hohe Expertise und ist in den meisten Fällen sehr zeitintensiv. Zeit ist jedoch in jedem Insolvenzverfahren ein äußerst knappes Gut. Je schneller jemand gefunden ist, der eine Fortführungsperspektive entwickelt, umso besser ist das für alle Beteiligten. Wie aber lässt sich die Identifikation von potenziellen Investoren beschleunigen?
Distresswire, ein junges Unternehmen aus Oberursel, will mit einer auf Insolvenz und Restrukturierung spezialisierten Plattform mehr Transparenz auf diesem Markt schaffen. Mit Unterstützung von Creditreform hat das Startup, das als „One-Stop-Shop“ für die Insolvenz- und Restrukturierungs-Community agieren möchte, ein Tool für die Identifikation und Ansprache potenzieller Investoren für Unternehmen in Sondersituationen entwickelt. Dabei bietet die Datenbank von Creditreform eine extrem hohe Informationstiefe für mehr als vier Millionen nationale und internationale Unternehmen aller Umsatzklassen. „Das Tool soll einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung von mehr Investoren- und Fortführungslösungen für Unternehmen in Krisensituationen leisten, denen sonst unter Umständen die Abwicklung drohen würde“, sagt Co-Gründer Florian Domin.
Creditreform hat Distresswire Schnittstellen zu seiner Datenbank zur Verfügung gestellt, die sehr gezielte Suchmöglichkeiten bieten. In einem ersten Schritt erhalten Nutzer nach Eingabe von Auswahlkriterien wie Branche, Umsatzgröße oder Mitarbeiterzahl eine vergleichsweise umfangreiche Liste infrage kommender Unternehmen. Wer zusätzliche Filter nutzt und auf eine tiefere Detailebene taucht, kann den Kreis der Kandidaten eingrenzen und erhält zudem konkrete Angaben zu möglichen Ansprechpartnern. „So lassen sich Verkäufer und Käufer in Sondersituationen besser zusammenbringen“, hofft Co-Gründer Fabian Dalka. So rasch wie bei der insolventen Argo wird dies allenfalls in Ausnahmesituationen gelingen. Aber viel wäre bereits gewonnen, wenn angeschlagene Unternehmen, die anderenfalls abgewickelt würden, überhaupt einen Investor finden.
Schulden werden zum Ballast
Infolge der gestiegenen Zinsen wird die hohe Verschuldung für viele Unternehmen mehr und mehr zu einem existenzbedrohenden Ballast. Nach einer Analyse von Creditreform weist gut ein Fünftel der solventen Unternehmen für den Zeitraum 2019 bis 2021 einen Zinsdeckungsgrad von lediglich weniger als 0,5 Prozent aus. Für dessen Berechnung wurden der operative Gewinn und die Zinsaufwendungen miteinander ins Verhältnis gesetzt. Üblicherweise gelten Werte unter eins als kritisch, da eine Erhöhung des Zinsniveaus Liquidität absorbiert und das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten bringen kann.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber
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