KMU in der Krise. So kommen sie durch.
Die Stimmung im Mittelstand ist schlecht wie lange nicht mehr. Im Herbst 2023 fiel der Creditreform-Geschäftsklimaindex auf 1,2 Punkte. Noch schlechter beurteilten Unternehmer ihre Geschäftslage und -erwartungen nur im Herbst 2020, vor dem ersten Corona-Winter. Doch anders als damals gibt es heute nicht den einen, sondern sehr viele Gründe für Pessimismus. Bürokratie, Fachkräftemangel, hohe Kosten und gestiegene Zinsen. Die Analyse von Creditreform zeigt, dass ein Teil der Unternehmen auch damit sehr gut und erfolgreich umgehen kann. Doch ein anderer Teil droht von den Belastungen erdrückt zu werden. Hören sie hier, worauf sich Geschäftspartner einstellen müssen und was sie tun können, um heil durch die Krise zu kommen.
Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter PR und Wirtschaftsforschung beim Verband der Vereine Creditreform e.V., erklärt im Gespräch mit Jana Samsonova (Handelsblatt Media Group), wie kleine und mittlere Unternehmen sicher durch die Krise kommen.
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Jana Samsonova [00:00:00] Die Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sind eindeutig. Deutschland wird 2023 das einzige Land im Euroraum sein, dessen Wirtschaftsleistung schrumpft. Die Konjunktur lahmt und bremst die Unternehmen aus. Genauso wie viele strukturelle Probleme, mit denen vor allem die vielen Mittelständler kämpfen. Sie fühlen sich zunehmend von Bürokratie eingeengt, von steigenden Kosten gelähmt, von schlechteren Finanzierungsbedingungen belastet und vom Fachkräftemangel überrascht. Und weil sie das alles davon abhält, das zu tun, was sie eigentlich tun wollen, nämlich ihrem Geschäft nachzugehen, wächst der Frust. Der Creditreform Geschäftsklimaindex, der die Stimmung von 1200 befragten Unternehmen abbildet, ist im Herbst auf -1,2 Punkte gefallen. Nur einmal in den letzten zehn Jahren war die Stimmung noch schlechter, nämlich im Herbst 2020 vor dem ersten Corona-Winter. Über die Ursachen der schwierigen Lage und darüber, was es bräuchte damit es wieder bergauf geht, spreche ich mit meinem heutigen Gast. Er ist Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung und fühlt dem Mittelstand regelmäßig den Puls. Mein Name ist Jana Samsonova und bei mir begrüße ich Patrik-Ludwig Hantzsch. Herzlich willkommen!
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:01:16] Hallo, Vielen Dank.
Jingle [00:01:21] Gute Geschäfte. Business-Wissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.
Jana Samsonova [00:01:35] Herr Hantzsch, die Ergebnisse der aktuellen Analyse zur Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand sind wirklich erschreckend. Sie bewerten Geschäftslage und Geschäftsklima so schlecht wie lange nicht mehr. Also wie mies ist die Stimmung wirklich?
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:01:50] Ja, wir fangen erst mal ganz früh an, und zwar 1979. Tatsächlich messen wir seitdem zweimal jährlich diese Stimmungslage beim Mittelstand und das ist ja dieses geflügelte Wort vom Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Und nicht umsonst: Wir haben rund 96 %, die wir zum Mittelstand dazuzählen. Das heißt einfach, wir haben eine Menge Erfahrung im Messen und Bewerten dieser Werte. Was wir gerade sehen, sind Erfahrungswerte, die wir daran anlegen müssen. Der Mittelstand ist äußerst robust, er hat viele Krisen überwunden. Das ist sozusagen jetzt mein Vorwort. Aber: Wir haben im Moment eine absolute Umbruchszeit. Wir haben Corona gehabt, wir haben die Ukraine, wir hatten die Energiekrise, eine Transformation der Wirtschaft, das Wechselspiel von Inflation und Zinsen, das alles, das ist eine ganze Menge. Wir haben einen Schlingerkurs in der Wirtschaftspolitik, und das alles führt zu einer Unsicherheit in der Planung bei den Unternehmen, einer völligen Unsicherheit, was die Zukunft betrifft. Und genau das manifestiert sich jetzt auch in diesen historisch schlechten Ergebnissen, die wir in der Gegenwart haben. Und wir haben noch weiteres gemessen, das sei noch kurz hinzugefügt. Wir haben auch dadurch in der Zukunft ganz schlechte Chancen durch die mangelnde Investitionsbereitschaft, die eben auch auf diese Planungsunsicherheit zurückgeht.
Jana Samsonova [00:03:05] Sie sagen es ja selber. Es gibt nicht, wie beispielsweise 2020 mit der Corona-Pandemie, diese eine dominierende Ursache. Es ist eben eine Mischung aus vielen Faktoren. Was wiegt denn am schwersten und gibt es vielleicht auch Unterschiede in einzelnen Branchen?
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:03:19] Ja, also ein Ranking zu machen, das ist schon deutlich schwer, weil wir eben so viele gerade genannte Faktoren haben. Das ist einfach unheimlich viel. Jede Branche kämpft sozusagen mit ihren eigenen Herausforderungen. Das sehen wir besonders deutlich, beispielsweise in der Bauwirtschaft. Auf der einen Seite haben wir den Hoch- und Tiefbau, die gerade wirklich am Boden liegen. Und dann der Bereich der energetischen Sanierung, des Ausbaus. Gucken wir mal auf den Hoch- und Tiefbau. Da haben wir gerade diese anhaltend hohe Inflation, gekoppelt aber mit diesen starken Zinsschritten nach oben. Das heißt, die Handwerker, die Unternehmen bezahlen horrende Materialpreise, auf einem hohen Zinsniveau. Wir haben Baustoffe, Holz, Plastik, Metall, all diese Dinge sind sehr, sehr teuer geworden. Die Aufträge der öffentlichen Hand brechen aber weg. Eben weil es alles so teuer geworden ist, weil die Zinsen zur Finanzierung auch so hoch geworden sind. Wir haben eigentlich ein Ziel von 400.000 Wohnungen. Da müssen wir sagen: Das wird so nicht funktionieren. Wir haben Projektentwickler, die reihenweise in die Pleite gehen, und zwar auch große. Die Gerch Group aus Düsseldorf ist hier nur ein Beispiel von vielen. Und dazu kommen auch die privaten Häuslebauer, die sich sagen bei dem Zinsniveau gerade kriegen wir es nicht gestemmt für die kommenden Jahre. Das alles belastet unheimlich. Auf der anderen Seite das Thema energetische Sanierung. Das ist politisch gewollt. Die haben die Auftragsbücher voll, also die, die Häuser dämmen, die wirklich dafür sorgen, dass die CO2 Emissionen zurückgehen in der Immobilienpolitik. Und das alles unter dem Label energetische Transformation. Denen geht es sehr gut. Das heißt im Fazit: eine Branche bei gleichen Einflussfaktoren, aber völlig zweigeteilte Entwicklung.
Jana Samsonova [00:04:57] Es kommt ja noch ein Problem dazu. Also die Daten von Creditreform, aber auch anderer Wirtschaftsforschungsinstitute zeigen ja, dass sich generell der Zugang zu Geld für Unternehmen deutlich verschlechtert hat. Wer bekommt denn überhaupt noch Kredite und bei wem winken die Banken inzwischen ab?
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:05:13] Ja, also hier sehen wir das Gleiche wie bei den Unternehmen: große Unsicherheit bei den Finanzinstituten, bei den Kreditgebern. 96% der Unternehmen, die wir befragt haben, berichten eben von diesen hohen Zinskosten. Und in den Fällen, wo es eben nicht geklappt hat mit der Finanzierung, da sind 7 von 10, die wissen, es ging um die hohen Zinssätze. Es ist nicht zu finanzieren auf Unternehmensseite, weil die Zinsen so hoch sind. Bonität und Eigenkapitalsituation folgen dann erst abgeschlagen auf den anderen Plätzen. Dazu kommt auch, dass wir einen Trend sehen. Zum einen, dass die Kreditentscheidungen bei den Instituten natürlich aufgrund von Finanzkennzahlen gefällt werden. Aber auf der anderen Seite kommen jetzt auch ganz andere Faktoren an, zum Beispiel ESG-Kriterien, das heißt Nachhaltigkeitsfaktoren. Oder anders gesagt, wie grün ist denn eigentlich ein Unternehmen? Und davon wird auch abhängig gemacht, ob eine Kredit Entscheidung getroffen wird oder nicht.
Jana Samsonova [00:06:05] An der Zinspolitik der EZB wird sich so schnell ja nun nichts ändern. Aber die Bundesregierung versucht mit dem Wachstumschancengesetz wieder positive Impulse zu setzen. Auch die EU-Kommission arbeitet an einem Entlastungspaket für KMU. Was dürfen sich Unternehmen von diesen Maßnahmen denn versprechen?
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:06:22] Ja, das ist ein guter, aber leider überfälliger Ansatz. Das heißt, er kommt auch ein Stück weit zu spät. Ganz wichtig ist in dem Zusammenhang: Wir müssen sehen, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts. Deutschland nachhaltig stärken. Da steht einiges auf dem Spiel für die Unternehmen, aber eben auch gerade für die zukünftigen Ansätze. Und ich nehme mal drei Aspekte raus. Das ist zum einen die Steuerentlastung. Das muss das Fundament sein, um eben auch im innereuropäischen Rahmen wettbewerbsfähig zu bleiben. Es geht nicht anders. Wir haben die höchsten Steuern auch für Unternehmen. Das andere ist der Bürokratieabbau. Jeder weiß: Es muss weniger Bürokratie geben. Also wir haben - man kann das durchaus so nennen - wir haben einen Regulierungsfetisch, der sich über viele, viele Jahre aufgebaut hat. Und der hemmt natürlich wirtschaftliches Wachstum. Mit dieser Regulierungswut werden Unternehmen konfrontiert, die mehr dokumentieren als wirklich arbeiten. Das Dritte ist die Energiepolitik. Das ist, man kann es so sagen, eine absolute Fehlleistung der Vergangenheit, der Politik. Wir gehen hier einen deutschen Sonderweg in die Sackgasse, wenn man so will. Wenn man alles zusammennimmt, dann könnte man da eigentlich eine eigene Podcastfolge drüber machen. Ich will das noch mal an dem Beispiel Industriestrompreis klarmachen. Das ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Denn einige wenige zu begünstigen und viele andere, das heißt die kleinen und mittelständischen Unternehmen letztlich leer ausgehen zu lassen, das kann nicht der richtige Weg sein, um flächendeckend für die besten Bedingungen zu sorgen.
Jana Samsonova [00:07:49] Aufmerksame Hörer erinnern sich. Wir haben hier im Podcast vor ziemlich genau einem Jahr über ähnliche Themen gesprochen. Schon damals haben Sie ja beobachtet, dass die Zahlungsmoral der Unternehmen schlechter wurde, die Zahl der Firmenpleiten aber nur moderat stieg. Ändert sich das gerade? Also sehen Sie schon, dass wieder deutlich mehr Unternehmen in die Insolvenz gehen?
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:08:09] Kurze Antwort Ja. Das tun wir tatsächlich. Also 2023 war geprägt von steigenden Insolvenzzahlen und ist es immer noch. Wir haben das berühmte Ende der Fahnenstange auf jeden Fall noch nicht erreicht. Ein paar Zahlen: Zum Halbjahr hatten wir historische Zuwächse bei den Unternehmensinsolvenzen von 16,2% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das klingt ganz viel und ist es tatsächlich auch. Also seit 2002 gab es das nicht. Und die Frage ist, wen trifft es vor allem? Und das sind Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft, die darunter besonders leiden. Die Gründe haben wir gerade schon kurz beleuchtet. Dann haben wir den Handel, der auch unter dieser Inflation natürlich unter Kauf- und Konsumzurückhaltung leidet. Und der Bereich Gesundheit und Pflege, das ist natürlich besonders dramatisch. Trotzdem müssen wir die Zahlen erst mal einordnen. Zur Weltfinanzkrise, als wirklich das Finanzsystem kaputtgegangen ist, da hatten wir in der Spitze 33.000 Unternehmensinsolvenzen. Davon sind wir noch einige Fälle entfernt. Also wir reden eben nicht gerade über diese große Insolvenwelle. Und auch dazu gehört, dass die Insolvenzen zum Wirtschaftsleben einfach dazugehören. Natürlich ist es für das Einzelunternehmen immer schlimm. Aber das freigesetzte Kapital und auch die Arbeitskräfte, die sind ganz, ganz wichtig, um wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle zu stärken. Das heißt nicht, dass es eine gute Entwicklung ist. Aber wir sehen gerade eine Art Normalisierung, und das muss man bei diesen Zahlen, die hohe relative Zuwächse tatsächlich verzeichnen, muss man immer dazu sagen. Man kann auch mit dem Blick in die Vergangenheit sagen: Wir sind eine unheimlich starke Wirtschaftsmacht. Unsere etwas kleinteiligere Wirtschaft ist unheimlich resilient, widerstandsfähig. Und seit Ludwig Erhard haben wir schon gesagt: Die soziale Marktwirtschaft ist das Instrument. Und immer dann, das zeigt auch die Vergangenheit, wenn wir uns ein Stück weit auf den Markt verlassen haben und nicht ständig staatlich intervenieren, dann sind wir wieder auf den richtigen Kurs gekommen. Und trotz der großen Herausforderungen, die wir hier sehen und die wir hier spüren, bin ich ganz davon überzeugt, dass wir auch diese Herausforderungen meistern. Die Frage ist, wie gut und wie schnell das Ganze geht.
Jana Samsonova [00:10:15] Und von den Unternehmen selbst abgesehen da stecken ja Menschen hinter. Welche persönlichen Risiken, auch Haftungsrisiken ergeben sich für Geschäftsführer, wenn die Lage unsicherer wird und die Insolvenz zahlen steigen?
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:10:27] Ja. Sie haben es gerade gesagt: Das Thema Haftungsrisiken ist gerade jetzt ein Großes. Wir haben verschiedene Jahre Corona mit allen Unsicherheiten erlebt, mit Ausnahmen, mit Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, und viele Unternehmer haben in der Zeit gemerkt: Wenn Krise ist, dann gelten andere Regeln. Jetzt sind die Regeln aber wieder eingesetzt. Wir wirtschaften unter normalen Bedingungen. Das geht auch natürlich dann darum: habe ich mich zur Zeit, wo ich vielleicht Insolvenz reif war, wo ich eigentlich hätte melden müssen, habe ich es vielleicht nicht getan? Ist es vielleicht nicht aufgefallen? Und das, was wir gerade beobachten ist tatsächlich, dass viele Geschäftslenker damit konfrontiert sind, dass so was wie Eingehungsbetrug noch nicht mal wissentlich, aber unwissentlich, oder eben eine Insolvenzverschleppung, auf sie persönlich zurückfallen. Das heißt, auch hier ist Obacht geboten, ganz, ganz wichtig. Nur weil Krise ist, heißt es nicht, dass das Gesetz nicht gilt. Und da sollte ein besonderes Augenmerk in jeder Situation drauf gelenkt werden.
Jana Samsonova [00:11:27] ... sagt Patrick Ludwig Hantzsch. Vielen Dank für die spannenden Einblicke und bis zum nächsten Mal bei Gute Geschäfte.
Patrik-Ludwig Hantzsch [00:11:31] Sehr gerne!
Jingle [00:11:36] Gute Geschäfte. Business wissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast.