Nachhaltig wirtschaften - trotz oder wegen Corona?
Beschleunigt die Corona-Pandemie Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in Unternehmen? Oder verschieben kurzfristige Strategien zur Krisenbewältigung die Prioritäten? Warum nicht beides? Wie nachhaltiges Wirtschaften Unternehmen krisenfester macht.
In den vergangenen Wochen und Tagen war der Begriff wieder überall zu lesen und zu hören: exponentielles Wachstum. Natürlich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Träfen Politik, Bürger und Unternehmen keine Gegenmaßnahmen, könnte sich die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten innerhalb weniger Tage jeweils verdoppeln und sprunghaft ansteigen. Die Botschaft wurde und wird verstanden, auch weil die Zeiträume, in denen sich die Zahlen jeweils verdoppeln, relativ gering sind.
Größer sind die Zeiträume bei anderen exponentiellen Wachstumskurven, die für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aber nicht weniger Sprengkraft bergen. So wächst auch die Menge an CO2, die die Menschheit in die Atmosphäre bläst, exponentiell. Vor etwa 220 Jahren, vor der Industrialisierung, betrug der Anteil des Treibhausgases in der Atmosphäre etwa 280 ppm (parts per million). 2019 wurden 415 ppm gemessen. Schreibt man die Entwicklung fort, wäre 2060 etwa der Wert von 560 ppm erreicht. Die Menschheit hätte innerhalb von zweieinhalb Jahrhunderten die Menge an CO2 in der Atmosphäre verdoppelt – mit allen sich bereits abzeichnenden Folgen. So erhalten die Befürchtungen von Ökonomen und Ökologen, dass die Corona-Krise das zuvor gewonnene Momentum in Sachen Klimaschutz wieder ausbremse, eine neue Dimension.
Zumindest etwas Entwarnung geben die Ergebnisse aktueller Unternehmerbefragungen. Die Corona-Krise mag die Prioritäten verschieben, doch sie bremst Ambitionen im Klimaschutz bislang weniger als erwartet. „Die Stimmungslage in der Industrie in Bezug auf Energieeffizienz ist trotz der durch die Corona-Pandemie verschlechterten Konjunktur sehr positiv“, sagt Professor Alexander Sauer, der Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart. „Die Energieeffizienz kann gerade jetzt dazu beitragen, die Energiekosten der Unternehmen zu senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern“, so Sauer weiter. Sein Institut erhebt seit 2013 aktuelle und geplante Aktivitäten der deutschen Industrie zur Energieeffizienz. Zuletzt wurde abgefragt, ob und wie die Corona-Pandemie die Energieeffizienz der Unternehmen beeinflusst habe. Das Ergebnis: Viele Unternehmen haben ihre Maßnahmen sogar ausgeweitet oder vorgezogen. Mehr als 30 Prozent antworteten, dass das Coronavirus keinen Einfluss auf ihre Energieeffizienzstrategie habe und sie daran festhielten.
Fernziel Klimaneutralität
Dass Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind – diese Erfahrung macht Christian Rinn bereits seit gut zehn Jahren. Anfang 2011 hat der Geschäftsführer der Rinn Beton- und Naturstein GmbH im hessischen Heuchelheim damit begonnen, sein Unternehmen nachhaltiger aufzustellen. „Ich habe damals in einer Weiterbildung zum Sustainable Impact Entrepreneur sehr viel über Nachhaltigkeit und das Management von Veränderungen gelernt“, sagt Rinn. „Das war eine Art Weckruf, nach dem wir Schritt für Schritt unsere Energieeffizienz, unsere Umweltbilanz und unseren Ressourceneinsatz verbessert haben“ – auch wenn das zunächst Investitionen bedeutet, die sich teilweise erst nach einigen Jahren rechnen. „Aber wir denken in Generationen, nicht in Quartalen“, sagt Rinn, der das Unternehmen in vierter Generation führt. Mit seiner Tochter Luisa Rinn ist 2018 die fünfte Generation mit in die Geschäftsleitung eingestiegen.
Durch stetige Investitionen kommt das Vater-Tochter-Gespann dem Ziel eines emissionsfreien Betriebs stetig näher. Mit Investitionen in große Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung und Geothermie für die Wärmeversorgung von Produktion und Bürogebäuden konnte das Unternehmen den Anteil erneuerbarer Energiequellen innerhalb von neun Jahren von sechs auf 59 Prozent steigern. Die verbleibenden und noch nicht vermeidbaren Emissionen gleicht Rinn durch den Kauf von Emissionszertifikaten aus. Mit dem Kompensationsbetrag leistet das 500-Mitarbeiter-Unternehmen einen Beitrag zum Klimaschutz, indem es Klimaschutzprojekte in Ländern des Globalen Südens unterstützt. Auf diesem Wege ist Rinn heute schon klimaneutral.
Neue Netzwerke
Das Ziel der Klimaneutralität verfolgen unterdessen Unternehmen aller Größen und aller Branchen. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman hat im Februar 2020 mit der Non-Profit-Organisation CDP einen Bericht veröffentlicht, der die Pläne von 882 börsennotierten Konzernen in Europa analysiert. Demnach haben die befragten Unternehmen, die immerhin 70 Prozent der europäischen Marktkapitalisierung repräsentieren, im vergangenen Jahr in Summe 124 Milliarden Euro in die Vermeidung von Treibhausgasen investiert. Über ihre Lebensdauer sollen die finanzierten Projekte und Maßnahmen 2,4 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen vermeiden. Das ist laut Bericht mehr als der jährliche Ausstoß Deutschlands, Großbritanniens, Italiens, Polens und Frankreichs zusammen.
Doch auch kleine Unternehmen leisten ihren Beitrag. Bereits mehr als 2.200 haben sich bundesweit in 278 lokalen Energieeffizienz-Netzwerken zusammengeschlossen. Die Initiative wurde Ende 2014 von der Bundesregierung, der Deutschen Energie-Agentur und 22 Wirtschaftsverbänden gegründet und kürzlich um fünf Jahre verlängert. Erste Evaluierungen zeigen, dass bisher jedes Netzwerk im Schnitt 12.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr vermeidet. Das wären, hochgerechnet auf alle jährlich mehr als drei Millionen Tonnen. Bis Ende 2025 sollen bis zu 350 weitere Netzwerke etabliert und damit bis zu sechs Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr vermieden werden.
„In der Regel sind es nur wenige Prozesse im Unternehmen, die zusammen etwa 80 Prozent des Energieverbrauchs ausmachen“, erklärt Ulrich Nissen. Der Professor für Controlling und Energiemanagement an der Hochschule Niederrhein hat ein bereits 2015 gestartetes Netzwerk begleitet, in dem sich sieben Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen zusammengeschlossen haben. Typische Energiefresser oder „dicke Brummer“, wie Nissen sie nennt, waren fehlende Wärmedämmung von Hochtemperaturöfen, die Energieversorgung von Gebäuden sowie alte Druckluftstationen und -systeme, die weder optimale Wirkungsgrade noch Wärmerückgewinnung hatten.
Nach einer ersten Analyse haben die Unternehmen bis 2019 Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, die nicht nur den CO2-Ausstoß senken, sondern auch die Energiekosten. Um immerhin insgesamt 4,4 Millionen Euro geringer fielen die Strom- und Gasrechnungen der sieben Netzwerkunternehmen im vierjährigen Projektzeitraum aus. Hinzu kommt eine von Nissen berechnete Wertsteigerung der Unternehmen um etwa 17,5 Millionen Euro – gute Argumente also für den Professor, der weitere Unternehmen überzeugen möchte und bereits das nächste Netzwerk plant.
Energieeffizienz-Netzwerke – so geht’s
Seit Dezember 2014 unterstützt die Initiative Energieeffizienz-Netzwerke von Bundesregierung und Wirtschaft moderierte Unternehmens-Zusammenschlüsse zur Steigerung der Energieeffizienz. Ab 2021 wird die Initiative zur Initiative Energieeffizienz- und Klimaschutz-Netzwerke ausgebaut.
- Mindestens fünf Unternehmer bilden ein Netzwerk, unterstützt von einem externen Moderator.
- Über mindestens zwei Jahre tauschen sie sich regelmäßig aus und erhalten eine qualifizierte Energieberatung.
- Gemeinsam definieren sie ein Energie- und ein CO2-Einsparziel.
- Im Fokus steht der Erfahrungsaustausch der Netzwerkteilnehmer untereinander sowie mit Energieeffizienzexperten
- Systematische Erfassung des Energiebedarfs durch einen Energieaudit.
- Bei Bedarf Hilfestellung bei der Nutzung von Förderprogrammen durch den Moderator.
Mehr Infos: effizienznetzwerke.org
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke