Automotive: Deutsche Musterindustrie eiert herum
Die Automobilindustrie in Deutschland ist in Schwierigkeiten. Das zeigt am jüngsten Rand nicht nur die Auseinandersetzung bei VW, als das Unternehmen bekanntgab, Standorte zu schließen und in einen massiven Arbeitskampf geriet, der auch die Politik beschäftigt.
Auch die aktuellen Drohungen Trumps, die Zölle zu erhöhen und Barrieren für Deutschlands Autoexporte zu errichten, sorgen für Krisenstimmung in einem Land, das sich traditionell als „Autoland“ versteht. Bei der Frage nach der Autokonjunktur sind nicht nur die großen Hersteller betroffen, sondern auch die Zulieferer. Automobilzulieferer sind Unternehmen, die Teile, Komponenten oder Dienstleistungen für die Automobilindustrie bereitstellen. Dazu gehören Hersteller von Motoren, Getrieben, Elektronik, Fahrwerksystemen, Innenausstattungen und vielen anderen Bauteilen. Bekannte Vertreter sind beispielsweise Bosch, Continental, ZF Friedrichshafen, Valeo und Denso. Diese Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle in der Produktion von Fahrzeugen, indem sie innovative Technologien und hochwertige Materialien liefern. Die Automobilzulieferer stehen derzeit vor verschiedenen Krisen. Die Umstellung auf Elektromobilität, Lieferengpässe bei wichtigen Rohstoffen und Halbleitern sowie die steigenden Anforderungen an Nachhaltigkeit und Digitalisierung, setzen die Branche unter Druck. Viele Zulieferer müssten sich radikal umstellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gibt jedoch auch Unternehmen, die sich erfolgreich an diese Veränderungen anpassen und neue Chancen nutzen. Es ist also eine durchweg gemischte Lage, in der sich die wichtigste Industriebranche Deutschlands befindet
Insolvenzen nehmen zu
Ein deutliches Zeugnis für die aktuelle Instabilität der Branche sind die steigenden Insolvenzzahlen. Die Anwaltskanzlei Baker Tilly veröffentlicht jedes Quartal eine Aufstellung der größten Fälle als „Top Antragsverfahren“. Allein im dritten Quartal, dafür liegt die neueste Auswertung vor, sind neun Antragsverfahren von Automobilzulieferern zu registrieren. Das ist ein Viertel der größeren Antragsverfahren. Dabei wurden Unternehmen mit einem Umsatz von über 20 Mio. Euro und einer Mitarbeiterzahl von über 100 Beschäftigten gezählt (konsolidierte Werte). Das reicht von der AE Group, über iinovis GmbH, RECARO, Schlote, BBS Auto-Technik, Erbslöh Aluminium, FLABEG Automotive und Mürdter bis zur WKW-Gruppe. Die Anwalts Kanzlei hebt hervor: „Einen bedenklichen Rekord stellte dabei die fünfte Insolvenz des Automobilzulieferers BBS seit dem Jahre 2010 dar.“
Die Unternehmensberatung PWC hat eine Automobilzulieferer-Studie erstellt, die die Probleme der Branche beleuchtet. Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass jeder Stolz auf die deutschen Zulieferer im internationalen Vergleich wenig angebracht ist. In den drei Jahren von 2019 bis 2022 haben sie 2,7 Prozentpunkte Weltmarktanteil eingebüßt – ein Wert, für dessen Gewinn es vorher 20 Jahre gebraucht hatte. 2022 bildeten die deutschen Zulieferer mit einem Umsatzwachstum von 13 Prozent international das Schlusslicht. In den USA waren es 25 Prozent Wachstum, in Asien 23 Prozent und selbst in den anderen europäischen Ländern immer noch 21 Prozent. Global betrachtet konnten die Top-Zulieferer ihren Umsatz 2022 um 20 Prozent steigern. Bei dieser Zahl spielt natürlich die Inflation eine Rolle – die Margen nahmen gegenüber dem Vorjahr um 0,5 Prozent ab. Viel entscheidender noch als der gesamte internationale Vergleich ist der mit den asiatischen und eben auch chinesischen Automobilzulieferern. Vor allem, wenn es um den Wandel beim Antrieb hin zu mehr Elektromobilität geht, gewinnen die Asiaten Spitzenplätze beim Umsatz hinzu. Der chinesische Batteriehersteller CATL kam so schnell auf Platz 2. So heißt es: „Um wirtschaftlich vorne mitspielen zu können, kommt es in der Zuliefererbranche seit jeher auf Größe und Skaleneffekte an. Beides beherrschen die asiatischen Zulieferer in der aktuellen Transformationsphase am besten. Die deutschen Zulieferer hinken dagegen hinterher, weil sie im Wachstumsfeld Elektromobilität oft erst zu spät und zu kleinteilig aktiv geworden sind. Um nun aufzuholen, müssen die ehemaligen Platzhirsche wieder echte Innovationen vorantreiben, Skaleneffekte erzielen und zügig neue Wachstumsstrategien entwickeln. Zudem gilt es, das Wachstum in einem herausfordernden geopolitischen Umfeld abzusichern und wettbewerbsfähige, teilglobalisierte Lieferketten zu schaffen.“
Innovation kostet
Dabei sieht PWC die Zukunft nicht nur wolkenverhangen. Die deutschen Zulieferer bleiben bei den Innovationen und den Mitteln, die sie dafür zur Verfügung stellen, weiterhin Spitzenreiter. Sie gaben 2022 fast 16 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung aus. Das ist zwar nur wenig mehr als der asiatische Wert von 15,3 Mrd. Euro, aber den Zahlen vom Rest Europas mit 8,2 Mrd. Euro und Amerika mit 3,6 Mrd. Euro deutlich überlegen. Die Berater mahnen an, dass die Technologieentwicklung allerdings zu wenig marktorientiert ist. Gerade bei der Elektromobilität und dem dazugehörigen Batteriegeschäft lief man im Grunde der asiatischen Entwicklung hinterher. Die Zulieferer zeigen damit ein ähnliches Bild wie ihre Abnehmer in Deutschland: Man wagt nur halbherzig den Schritt in neue Antriebsformen.
Mit der Finanzierung des technologischen Fortschritts tut sich die Branche schwer. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman hat eine Umfrage durchgeführt, bei der sich acht von zehn befragten Unternehmen pessimistisch äußerten. Fast die Hälfte spricht von einer rückläufigen Profitability. In der Befragung sprechen die Unternehmen vor allem vom fehlenden Vertrauen der Finanzierer. Die Rede ist sogar vom Rückzug der Hausbanken. Die Kreditkosten steigen, was zu finanziellen Engpässen führt. „Die steigenden Kreditkosten verschärfen die wachsenden finanziellen Engpässe; es droht eine Zunahme der Insolvenzen im ohnehin krisengeschüttelten Automotive-Sektor.“ Helfen kann aber auch die Politik. Wie die Unternehmensberater ausführen, gilt es nun die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, indem Energiepreise gesenkt werden, ein Übermaß an Regulierung vermindert wird und die zunehmende Bürokratie als Belastungsfaktor zumindest verringert wird.
Quellen: Baker Tilly, Oliver Wyman, PWC