Ein Quantum Hoffnung
Veränderungen begegnen Volkswirtschaften am besten mit Innovationskraft und Wandlungsfähigkeit. Nur, worauf sollten sie reagieren? Und wann? Die Vormachtstellung bei der Entwicklung generativer Künstlicher Intelligenz haben sich die US-Technologiekonzerne gesichert. Aber das Rennen um Quantencomputer ist noch offen – und Deutschland bringt sich aussichtsreich in Position.

Auf den ersten Blick ist Ehningen im Körngau ein 9.000-Einwohner-Städtchen wie viele andere in Baden-Württemberg. Eine Hauptstraße mit ein paar Restaurants und Geschäften, ein S-Bahnhof mit einer Verbindung nach Stuttgart. Grundschule, Turnhalle, Schwimmbad. So weit, so gewöhnlich. Wäre da nicht das Gewerbegebiet im Süden Ehningens mit dem auffälligen Straßennamen IBM-Allee. Genau dort wird die technologische Zukunft Deutschlands mitentschieden. Zwischen Schützenhaus, Fußballplatz und der Autobahn 81 hat der US-amerikanische IT-Konzern im Oktober 2024 das IBM Quantum Data Center (QDC) eröffnet. Es ist das erste IBM-Rechenzentrum für Quantencomputer außerhalb der USA und bisher einzigartig in Europa. Das QDC werde „Innovationen rund um das Quantencomputing fördern, neue Möglichkeiten für die Gewinnung von Talenten schaffen und sicherstellen, dass Europa an der Spitze des weltweiten technologischen Fortschritts bleibt“, sagte Ana Paula Assis, Vorsitzende von IBM Europa, bei der Einweihung.
Stabiles Schwabenland
Für Ehningen hat sich der Tech-Riese aus gleich mehreren Gründen entschieden. Zum einen bietet die Hochebene des Körngau ideale geologische Bedingungen. Der Untergrund, auf dem das QDC gebaut wurde, gilt als außerordentlich stabil. Das ist wichtig, denn Quantencomputer sind weitaus sensiblere Rechenmaschinen als herkömmliche Supercomputer. Ihre Prozessoren müssen aufwendig gekühlt und vor Erschütterungen geschützt werden. Kleinste Erdstöße könnten eine Berechnung zunichtemachen. Hinzu kommt, dass die IBM-Deutschlandzentrale in Stuttgart nicht weit entfernt ist. Am entscheidendsten aber ist, dass ganz Deutschland als idealer Standort für die Quantenforschung gilt. Laut dem aktuellen Quantum Technology Monitor der Unternehmensberatung McKinsey liegt die Bundesrepublik bei den bisher getätigten öffentlichen Investitionen in diese Technologie mit 5,2 Milliarden US-Dollar auf Platz zwei – hinter China mit 15,3 Milliarden US-Dollar.
Überlegene Rechenleistung
Der Aufwand könnte sich lohnen. Denn Quantencomputer sind enorm leistungsfähig. Wirtschaft und Wissenschaft erwarten, dass sie Simulationen durchführen können, die dabei helfen, neuartige Werk- und Wirkstoffe zu entdecken, Investitions- oder andere finanzielle Risiken zu kalkulieren und Algorithmen für Künstliche Intelligenz zu trainieren. „Wir sehen im Quantencomputing bahnbrechende Fortschritte“, sagt Henning Soller, Partner und Leiter der Quantum Technology Research bei McKinsey. Der Experte ist zudem davon überzeugt, dass KI und Quantentechnologie zusammenwachsen. „Wenn Sprachmodelle noch größer und komplexer werden, ist irgendwann ein Punkt erreicht, wo die Rechenleistung nicht mehr ausreicht. Dann kann Quantencomputing die Lösung sein.“
Möglich wird die schiere Leistung von Quantencomputern durch ihre besondere Technologie. Die Chips klassischer Computer rechnen im Binärsystem mit den Zahlen 0 und 1, genannt Bits. Dabei wird ein Bit vom Prozessor durch den Zustand „Strom an“ oder „Strom aus“ dargestellt – tausendfach pro Sekunde. Die Prozessoren eines Quantencomputers können eine Vielzahl weiterer Rechenzustände annehmen, sogenannte Qubits – und das nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig. Dadurch sind sie sehr viel effizienter und können Berechnungen durchführen, die andere Superrechner nur mit großem Aufwand bewältigen oder die deren Kapazitäten sogar übersteigen.
Hightech trifft europäische Sorgfalt
Diese Leistung macht IBM in Ehningen nun verfügbar. Zum Start nutzen rund 80 in Europa ansässige Anwender das QDC, darunter Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft, aber auch Unternehmen wie Bosch, Eon und VW. Eon etwa möchte den Herausforderungen der Energiewende begegnen und das QDC für komplexe Szenariomodellierung und maschinelles Lernen einsetzen. Chris d’Arcy, Managing Director bei Eon Digital Technology, betont, der Standort in Deutschland sei wichtig, „um die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen und Exportkontrollen zu ermöglichen, und auch hilfreich für öffentliche Förderbedingungen der EU und Deutschlands.“ Nach Ehningen etwa fließen schon seit fünf Jahren Fördermillionen. 2019 hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit IBM und der Fraunhofer-Gesellschaft den Bau eines Quantenrechners zu Forschungszwecken beschlossen. Er hat 2021 seinen Betrieb aufgenommen und bildet den Grundstein. Nicht nur für die Ansiedlung des QDC, sondern auch für die Erforschung und Entwicklung der Technologien, mit denen die nun neu gebauten Quantencomputer funktionieren.
Darüber hinaus profitiert eine wachsende Szene junger Quantencomputing-Startups von Förderung und Spitzenforschung gleichermaßen.Laut einer Auswertung des Instituts für Innovation und Technik in Berlin belegt Deutschland mit derzeit knapp 20 Startups in diesem Bereich weltweit Platz drei hinter den USA und Kanada. Viele sind Ausgründungen aus Forschungsgesellschaften und Hochschulen.
„Die Bundesregierung fördert intensiv den Aufbau von Kompetenzen und Kapazitäten im Quantencomputing“, sagte Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung des QDC. Bleibt zu hoffen, dass sein Nachfolger, die gute Position, in die sich Deutschland bei dieser Technologie gebracht hat, ebenfalls weiter ausbaut.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Christian Raschke
Bildnachweis: Adobe Stock