Personalarbeit

Wenn KI die Karriere plant

Beschäftigte stehen der Digitalisierung generell offen gegenüber, sehen Künstliche Intelligenz allerdings kritisch. Aktuelle Beispiele zeigen, dass diese Ängste genommen werden können – und dass der HR-Bereich in vielen Unternehmen der größte Innovationstreiber ist.

Cindy Rubbens weiß, was Vielfalt bedeutet. Sie ist Personalchefin beim Chauffeurservice Blacklane. Das Berliner Unternehmen, das in rund 50 Ländern Fahrten mit Limousinen vermittelt, beschäftigt rund 300 Mitarbeiter aus 54 Nationen. 20 von ihnen arbeiten im Human-Resources-Team. Sie schreiben Stellenanzeigen und Betriebsrichtlinien, Arbeitszeugnisse und Fachtexe – und nutzen dafür inzwischen eine geschlossene Version von ChatGPT, dem KI-Tool des US-amerikanischen Softwareunternehmens OpenAI. „Das macht vieles einfacher“, betont Rubbens. „Das Tool ist für uns ein Instrument, mit dem wir Texte erstellen und Fachausdrücke in mehreren Sprachen und für verschiedene Kulturen auf den Punkt bringen können.“ Und es spare Zeit: „Für Kompetenz-Frameworks etwa brauchen wir nicht mehr im Schnitt sechs Monate, sondern nur noch zwei. Statt um repetitive Tätigkeiten können sich unsere HR-Kollegen jetzt um gestalterische Aufgaben kümmern.“

Softwarelösungen, die menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität imitieren, eröffnen Unternehmen enorme Chancen. Es lassen sich Arbeitsabläufe optimieren, Produktivität und Effizienz steigern. Diese Möglichkeiten konnten lange Zeit aber nicht ausgeschöpft werden, weil es an einfach anzuwendenden Tools fehlte. „Die Einführung von ChatGPT im November 2022 war ein Dammbruch“, stellt Bruno Messmer klar, General Manager von DXC Technology Schweiz. Plötzlich war KI für (fast) jedermann nutzbar. Mittlerweile ist der ChatGPT-Hype etwas abgeflaut, andere generative KI-Chatbots sind noch leistungsfähiger, immer neue Lösungen befeuern den Siegeszug selbstlernender Software für HR-Anwendungen. Auch bei Blacklane testet man weiter.

Innovationen aus der HR

Personalern in Unternehmen kommt in Sachen KI eine entscheidende Rolle zu. Sie müssen zum einen darauf achten, dass neue technische Möglichkeiten nicht zum Nachteil der Menschen im Unternehmen eingesetzt werden, zum anderen können sie Neuerungen anstoßen, die die gesamte Organisation verändern. Die HR ist so vielerorts Innovationstreiber für KI-Lösungen. André Schütte berät seit 25 Jahren große und mittelständische Betriebe bei Mitarbeiter-, Kunden- und Lieferantenprozessen und führt das auf die Querschnittsfunktion des Personalbereichs zurück: „Hier werden große Datenmengen verwaltet, repetitive Aufgaben erledigt und gleichzeitig steht der HR-Bereich im Zentrum der wichtigsten Ressource eines Unternehmens – dem Humankapital.“ In einer Arbeitswelt, die von Agilität, Diversität und schnellem Wandel geprägt sei, „macht das den Personalsektor zu einem natürlichen Vorreiter bei der Nutzung von KI“.

Eingesetzt wird KI im HR-Bereich vornehmlich auf drei Feldern: Personaleinstellung, Personalmanagement, Personalentwicklung. Heidi Hofer, die seit 13 Jahren als Interim-Managerin Betriebe bei HR-Transformationen unterstützt, analysiert zunächst die ­Ist-Situation und die Potenziale: „Im Recruiting sind KI-Anwendungen bisher am weitesten verbreitet. Großunternehmen und technologieorientierte Mittelständler haben hier schon viele Prozesse automatisiert.“ Für ein empfehlenswertes Instrument hält sie Chatbots, die auf der Karriereseite installiert sind und Interessenten wiederkehrende Fragen beantworten. Kaufhof und Rewe haben mit solchen sprechenden Robotern gute Erfahrungen gemacht, die Deutsche Bahn rekrutiert über ihren Chatbot sogar schon jeden zweiten neuen Mitarbeiter.

KI prüft Kandidaten

Zu den intelligenten Technologien, die Personaler bei der Kandidatengewinnung nutzen, gehört auch das CV-Parsing, die automatische Analyse und Speicherung von Daten aus einem Lebenslauf. Dank präziser Algorithmen verstehen CV-Parsing-Tools die Textbausteine und können sogar Bewerbungsfotos via Gesichtserkennung extrahieren. Auch in Online-Assessments wird KI bereits eingesetzt. Unilever beispielsweise lässt Bewerber spielerisch Aufgaben lösen, um bestimmte Fähigkeiten sowie kognitive und emotionale Eigenschaften zu testen. Die Telekom steuert mittels einer KI-Talent-Intelligence-Plattform nicht nur externe Bewerbungen, sondern analysiert auch, welche bereits beschäftigten Mitarbeitenden für eine Stelle passen.

Im Personalmanagement werden bisher vor allem Routinearbeiten automatisiert und mit KI-basierten Methoden unterstützt – etwa Gehälter berechnet, Fehlzeiten gemanagt und Personaleinsätze geplant. Das hilft auch der Belegschaft: Bei der Telekom zum Beispiel beantwortet der Chatbot askT auf Basis einer Wissensdatenbank HR-bezogene Fragen, etwa nach der Anzahl der verbleibenden Urlaubstage. „Dadurch haben unsere Mitarbeitenden mehr Zeit für komplexere Tätigkeiten“, freut sich Heiko Sindel, Senior Lead AI in HR bei der Telekom. In anderen Firmen wird sogar die Performance Einzelner oder ganzer Teams in Echtzeit feststellt. So können unentdeckte Talente, aber auch leistungsschwächere Kollegen identifiziert werden. André Schütte sagt: „Verstecken funktioniert nicht mehr.“ Mit KI-Algorithmen, die auch das Stimmungsbild eines Menschen analysieren können, ließen sich durch die Kombination mit anderen Parametern sogar Kündigungsabsichten aufdecken. Vorausgesetzt, Betriebsräte und Co. stimmen dem KI-Einsatz zu, können Personaler damit an den richtigen Stellschrauben drehen. 

Das führt zur Mitarbeiterentwicklung mithilfe KI-basierter Methoden. Messmer: „Schulungen können besser geplant und inhaltlich effizienter gestaltet, die Teamkultur und Nachfolgeregelungen analysiert werden.“ Das komme Mitarbeitern zugute: „So etwas wie ein HR-KI-Agent hat das Potenzial, die Karriereplanung zu verändern, weil Mitarbeitende jederzeit personalisierte Beratung erhalten können, die auf den im eigenen Unternehmen erhobenen Daten basieren. So lassen sich Qualifizierungslücken durch maßgeschneiderte Weiterbildung schließen.“ André Schütte stellt aber auch klar: „KI ist nur ein ergänzendes Instrument. Das letzte Wort bei allen Personalentscheidungen muss immer der Mensch haben. Das persönliche Gespräch mit dem Kandidaten oder Mitarbeiter, Tests und Referenzen sind schlussendlich entscheidend.“

Personalabteilung prägt das Image

Bei der Einführung von neuen selbstlernenden IT-Werkzeugen, die Personalthemen betreffen, müssen eventuell vorhandene Ängste der Mitarbeiter in der HR- und allen anderen Abteilungen berücksichtigt werden. Hilfreich sei, darauf hinzuweisen, dass die artifizielle Intelligenz in erster Linie dazu dient, „Routinearbeiten zugunsten wertschöpfender Tätigkeiten zu automatisieren“, sagt Schütte. Ein weiteres Argument, das er empfiehlt: „Durch KI werden die Arbeitsumfelder angenehmer und flexiblere Modelle zum Beispiel für eine gute Work-Life-Balance werden möglich.“ Heidi Hofer ergänzt: „Ich stoße oft auf Möglichkeiten, die die Geschäftsführung nie gesehen hat, weil sie die aktuellen und künftigen Handlungsfelder der HR nicht kennt. Mittlerweile hat der Fachkräftemangel vielen die Augen geöffnet: HR ist ein strategisches Thema.“ Und so ist die Personalabteilung eine Visitenkarte: Wie sie sich präsentiert, ob sie zeitgemäß und schnell ist, Social Media und KI-Tools nutzt, „prägt das Image und kann für Bewerber ausschlaggebend sein“, sagt Hofer.

Die Nachfrage nach Experten wie Hofer, die für drei, sechs oder mehr Monate frischen Wind in den HR-Bereich eines Unternehmens bringen, ist hoch. Kai Reddig, Senior Consultant beim Hamburger Interim-Management-Provider Management Angels sagt: „Unternehmen müssen ihre HR-Abteilungen an die Anforderungen einer modernen, digitalisierten Arbeitswelt anpassen. Für diesen Wandel bieten sich Führungskräfte auf Zeit an, die nicht nur neue Perspektiven und tiefgreifendes Know-how einbringen, sondern notwendige Veränderungen auch zügig und zielgerichtet umsetzen, ohne den laufenden Betrieb zu beeinträchtigen.“

Bei aller Euphorie: Pragmatisch bleiben

Oliver Back, Vorstand der IT-Beratungsfirma B-4it, deren Schwerpunkt auf dem HR-Bereich liegt, empfiehlt Unternehmen, bei allzu vollmundigen KI-Versprechungen sehr genau hinzusehen und pragmatisch vorzugehen: „Wir sagen unseren Kunden: Sie wollen nicht Lösungen implementieren, Sie wollen Probleme lösen! Deshalb sollten Sie zuerst schauen, ob Sie einen echten Use Case haben. und dann ihren Softwarehersteller fragen, ob er ein entsprechendes Tool anbietet. Wenn nicht, informieren Sie sich über Add-ons, die häufig ans Ziel führen.“ Unternehmen sollten sich auch bei der Einführung von KI aufs Wesentliche konzentrieren. Was will ich? Stichwort: Ziel. Was darf ich? Stichwort: Datenschutz. Und was kann ich? „Häufig kommt es beispielsweise vor, dass ein Unternehmen ein KI-Tool einführen will, aber gar nicht über ausreichend Datensätze verfügt, um die KI zu trainieren“, sagt Back. Zudem würden sich HR-Abteilungen häufig Softwarelösungen anschaffen, die nicht zur bestehenden IT-Architektur des Unternehmens passen. Der B-4it-Vorstand macht die Erfahrung: „HR und IT sprechen oft zu wenig miteinander. Die Folgen sind isolierte Silo-Lösungen, die weder ihre Vorteile voll ausschöpfen, geschweige denn sich betriebswirtschaftlich rechnen.“

Auch André Schütte hält die solide Einbettung in die Gesamt-IT-Landschaft für essenziell: „Nur durch eine nahtlose Integration können Daten effizient genutzt, Sicherheits- und Compliance-Anforderungen erfüllt und Synergien zwischen verschiedenen Abteilungen geschaffen werden.“ Oft scheitere eine solche Einbettung an organisatorischen und technischen Barrieren, mangelnder IT-Kapazität und Datenschutzbedenken.

Bruno Messmer von DXC resümiert: „KI kann vom reinen Instrument zum Geschäftspartner für das Unternehmen werden. Eine funktionierende Beziehung zwischen Menschen und Technologie wäre die Grundlage dafür, Arbeit intelligenter, schneller und besser zu erledigen. Das HR-Team spielt eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung der Organisation auf diesen Wandel, indem es eine Kultur zur Übernahme neuer Gewohnheiten im Umgang mit diesen intelligenten Systemen unterstützt und mithilft, diese neue Partnerschaft zwischen KI in allen Ausprägungsformen und den Menschen im Unternehmen zu gestalten.“ 

Diese HR-Tools sind für den Einsatz im Personalwesen interessant 

Recruiting

 

Talententwicklung

 

Verwaltung

  • Workday:HR-Management und Personalverwaltung
  • Personio: Verwaltung von HR-Vorgängen
  • HRworks:Zeitwirtschaft, Reisekostenabrechnung, Personalverwaltung, Lohn und Gehalt, Personalentwicklung

Quelle: Morayma GmbH, Hamburg (Stand 09/2024)


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann
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