Nachfolge: "Es war nie ein Thema des Zwangs"

Als Jugendliche fand Marie-Luise Raumland Fleursheim-Dalsheim langweilig, als Erwachsene zog es sie in die große Stadt. Vor fünf Jahren kehrte sie in das südhessische Dorf zurück, um die Nachfolge beim Sekthaus Raumland anzutreten. Seitdem muss sie sich in Geduld üben, denn ihr erster Sekt ist erst im nächsten Jahr fertig gereift. Warum genau das ihr Weg ist, was das Verhalten ihrer Eltern damit zu tun hat, und warum es bald eine kleine Betriebskita im Sekthaus geben soll – das erzählt die Geschäftsführerin bei Gute Geschäfte.

Marie-Luise Raumland, Geschäftsführerin bei Sekthaus Raumland, erklärt im Gespräch mit Tanja Könemann (Handelsblatt Media Group), welchen Weg der Unternehmensnachfolge sie gegangen ist.

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Tanja Könemann [00:00:02] Mehr als 600.000 Mittelständler suchen bis zum Jahr 2027 einen Nachfolger. In vielen Fällen wird das erfolglos bleiben, denn es gibt zu wenig Interessenten für die Unternehmensnachfolge. Beim Sekthaus Raumland aber hat das geklappt. Warum? Das erfahren Sie heute hier. 

Jingle [00:00:24] Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast. 

Tanja Könemann [00:00:39] Schön, dass Sie uns heute zuhören. Mein Name ist Tanja Könemann. Ich begrüße Sie ganz herzlich zu einer neuen Folge von  Creditreform Gute Geschäfte. Heute geht es bei uns um Unternehmensnachfolge. Und da sind die Zahlen eindeutig. 74 Prozent der Unternehmensinhaber, die einen Nachfolger suchen, sagen, dass das ihr größtes Problem wäre. Das sind mehr als zwei Drittel. Die eine Person, die das Unternehmen übernimmt, das wird als Lösung immer seltener. Beim Sekthaus Raumland ist man einen anderen Weg gegangen. Welchen? Das erfahren wir heute von Geschäftsführerin Marie-Luise Raumland. Hallo Frau Raumland! 

Marie-Luise Raumland [00:01:17] Hallo Frau Könemann, freut mich sehr hier zu sein. 

Tanja Könemann [00:01:20] Damit sich unsere Zuhörerinnen und Zuhörer ein besseres Bild machen können von Ihrem Sekthaus. Wie groß ist das Unternehmen? 

Marie-Luise Raumland [00:01:27] Also wir sind ein eher kleineres Unternehmen. Wir haben in etwa 14 Hektar Rebfläche, das resultiert in knapp 100.000 Flaschen Sekt. Und das ist eben das Besondere, dass wir keinen Stillwein produzieren, sondern ausschließlich Schaumwein. 

Tanja Könemann [00:01:41] Okay, Sie haben es gerade schon gesagt Raumland ist ansässig in Flörsheim-Dalsheim, das ist eine der größten Weinbaugemeinden in Rheinhessen. Sie arbeiten in einer tollen Landschaft mit Natur und tollen Produkten. Ist das so malerisch, wie ich mir das vorstelle? 

Marie-Luise Raumland [00:01:57] Also hätten Sie mich als Jugendliche gefragt, hätte ich Ihnen die Antwort geliefert, dass es ziemlich langweilig ist, weil tatsächlich sehr, sehr viel Natur dort ist. Mittlerweile sieht man das natürlich aus einem ganz anderen Blickwinkel und wir schätzen es sehr, sowohl meine Schwester wie auch ich, nach so langer Zeit zurückgekehrt zu sein, um jetzt die Landschaft, aber auch unsere Gegebenheiten dort genießen zu können. 

Tanja Könemann [00:02:19] Sie erwähnten gerade Ihre Schwester. Spielt ja eine wichtige Rolle in Ihrer Nachfolgelösung. Könnten Sie uns mal das komplette Paket schildern? Wie sah die Unternehmensnachfolge bei Raumland aus? 

Marie-Luise Raumland [00:02:31] Vorab: Also sowohl mein Vater wie auch meine Mutter kommen beide aus Weingütern und beide haben sich damals gegen das elterliche Weingut entschieden. Es sind andere berufliche Wege eingegangen und erst als sie sich kennengelernt haben, haben sie eine gemeinsame Vision entwickelt, und zwar ein Sekthaus zu gründen und auf Topniveau Schaumweine herzustellen. Sie haben sich dann in Flörsheim-Dalsheim niedergelassen und unser Sekthaus Raumland befindet sich sozusagen durch meine Eltern (oder befand sich) damals in der ersten Generation, da es eine Neugründung war. Und mittlerweile sind sowohl meine Schwester wie auch ich gemeinsam eingestiegen. Das ist ein etwas längerer Weg, weil wir uns nicht von Anfang an sicher waren, die Nachfolge einzugehen. Dennoch sind jetzt eben beide mit involviert und führen das Sekthaus als Familie weiter. 

Tanja Könemann [00:03:19] Sie waren sich nicht ganz sicher. Ich habe in der Vorbereitung auch gesehen, dass ihre Vita ganz andere Wein untypische Stationen aufweist. Können Sie mal erzählen, welchen Lebensweg Sie bisher gegangen sind? 

Marie-Luise Raumland [00:03:34] Meine Schwester und ich haben nach dem Abitur beide Betriebswirtschaft studiert, weil uns dann doch irgendwie im Gefühl lag, dass das nicht schaden kann, egal, welchen Weg man am Ende einschlägt. Und nach dem Betriebswirtschaftsstudium, das man Bachelorstudium nach drei Jahren haben wir beide ein Gap-Year gemacht, in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Da habe ich aber schon gemerkt, dass irgendwie das Herz doch für den einen Bereich schlägt. Das ist der Weinbau. Und entsprechend habe ich auch dann in diesen Bereichen mehr Praktika absolviert und habe dann noch mal ein Masterstudium in Weinbau angehängt. Und nachdem meine Schwester und ich gemeinsam entschieden haben, das zusammen weiterzuführen, hat auch sie ihren Beruf gekündigt und auch Weinbau studiert. Also beide im zweiten Schritt erst. Und nachdem unsere Masterstudiengänge bzw. bei meiner Schwester Weinbau im Bachelorstudiengang beendet waren, sind wir beide zurückgekehrt. Das war dann 2019 und so haben wir wie unsere Eltern auch einen kleinen Schlenker gemacht, was uns aber definitiv gutgetan hat, und auch sehr viel Weitblick mitgebracht hat mit neuen Ideen und Visionen für unser Sekthaus. 

Tanja Könemann [00:04:46] Weitblick. Sie hatten im Vorgespräch erzählt, dass der eigentliche Plan war: Wenn jemand das Sekthaus übernimmt, macht es nur eine von ihnen. Wieso sind es jetzt auf einmal beide? Ist das auch mit Blick auf Vereinbarkeit und Familienplanung ein Thema gewesen bei Ihnen? 

Marie-Luise Raumland [00:05:02] Das war tatsächlich nicht der Grund. Wir merken aber gerade, dass es ein extremer Vorteil ist. Wir, ich vor allem, habe damals gesagt, wenn, dann muss es nur einer von uns machen oder eine von uns machen, weil wir einfach sehr unterschiedlich sind. Diese Unterschiedlichkeit spielt uns aber jetzt zugute, weil wir uns einfach sehr, sehr gut ergänzen und auch in den unterschiedlichen Bereichen tätig sind, total aufeinander Verlass ist. Und wie Sie es gerade angesprochen haben. Wir haben uns beide vor wenigen Monaten bzw. Jahren eine kleine Familie jeweils gegründet und natürlich merkt man, dass es sich ganz toll anfühlt, wenn man für kurze Zeit und dann aber auch langfristig jemanden im Rücken hat, auf den man sich zu 100 Prozent verlassen kann, dem man vertrauen kann. Und entsprechend bin ich jetzt mittlerweile sehr, sehr dankbar, dass wir dann doch gemeinsam entschieden haben, uns zusammenzureißen und es gemeinsam zu machen. Im Nachhinein war das die beste Entscheidung, die wir hätten treffen können. Erfordert aber natürlich trotzdem auch sehr viel Abstimmung und Regelung im Vorhinein. 

Tanja Könemann [00:06:07] Haben Sie das irgendwie trainiert? Hatten Sie ein Coaching oder wie haben Sie das gelernt, trotz dieser ganzen Unterschiedlichkeiten, die Sie persönlich mitbringen oder als zwei Persönlichkeiten mitbringen? Gut miteinander zu arbeiten. Manchmal muss ja auch irgendwas entschieden werden und nicht nur diskutiert. 

Marie-Luise Raumland [00:06:25] Natürlich bekommt man da sehr, sehr viel im Studium mit, aber auch dann in den anderen Unternehmen, wo man mal gearbeitet hat. In Summe war ich dann fünf Jahre außer Haus, bis ich zurückgekehrt bin. Und natürlich lernt man dort, vor allem, wenn man dann ein kleines Team führt, auch das professionelle Arbeiten, was man selbstverständlich auch im Familienkontext dann anwenden muss. Das fällt nicht immer so einfach, wie wenn man externe Kollegen hat. Aber dennoch haben wir durch sehr, sehr viel Kommunikation, aber auch durch Hilfe unserer Eltern und dem gemeinsamen Mittagstisch gelernt, dass wir über vieles reden müssen, sodass wir, wie Sie sagen, nicht nur diskutieren, sondern am Ende auch Entscheidungen treffen. 

Tanja Könemann [00:07:03] Auf diese Art und Weise, die Sie gerade beschrieben haben, ist das passiert, was eigentlich der Traum ist vieler Unternehmensinhaber, nämlich eine familieninterne Nachfolge. Wie hat Ihr Vater das gemacht oder wie haben Ihre Eltern das gemacht? Wurde da vielleicht auch dann doch mal bei Familienfeiern so eine implizite oder explizite Bitte fallen lassen? Oder haben die Sie komplett in Ruhe gelassen, was das angeht? 

Marie-Luise Raumland [00:07:27] Tatsächlich haben sie uns sehr in Ruhe gelassen, so wie Sie es gerade formuliert haben. Es war nie ein Thema des Zwangs oder irgendeiner von euch muss mal weiterführen. Unsere Eltern hatten oder kamen ja Gott sei Dank von dem Hintergrund, dass sie sich selber gegründet haben. Sprich da stand keine lange Tradition dahinter, nicht sehr viel Druck, obwohl das Unternehmen sich sehr, sehr erfolgreich entwickelt hat und weiterhin entwickelt, haben sie immer gesagt: Wenn ihr nicht möchtet, dann zwingt euch keiner dazu, weil am Ende wird euch das persönlich nicht glücklich machen und Unternehmen auch nichts bringen. Deswegen war für sie klar: Wenn es keiner von uns weiter macht, würden sie auf die Suche nach einem externen Nachfolger gehen. Es ist natürlich auch immer eine Option, das Unternehmen wieder schließen, verkaufen etc. Dadurch, dass wir diesen Druck nie verspürt hatten, glaube ich, ist bei uns dann von ganz automatisch diese Lust gekommen und wir haben uns beide auch schon während des Studiums. Es zielt auch auf die Frage davor ab, viel mit dem Thema Nachfolge beschäftigt. Wir sind in unterschiedlichen jungen Unternehmergruppen aktiv gewesen bzw. immer noch aktiv, wo es sehr viel um diese Fragestellungen gibt, geht es: Wie führe ich ein Unternehmen weiter? Möchte ich das überhaupt? Welche Probleme kommen auf mich zu? Welche Fragestellungen kommen auf mich zu? Und somit sind wir eigentlich sehr gut vorbereitet zu dieser Antwort gekommen: Ja, ich würde es gerne weiterführen. 

Tanja Könemann [00:08:48] Wo wir gerade über Ihre Eltern sprechen: Ist denen der Rückzug gelungen? Das ist ja auch so ein klassisches Nachfolge-Charakteristikum, dass es dann doch den alten Inhabern häufig sehr schwer fällt, loszulassen, sich zurückzuziehen. Wie sieht das bei Ihnen im Sekthaus aus? 

Marie-Luise Raumland [00:09:06] Das ist ein sehr guter Punkt. Ich habe auch an vielen Beispielen im Rahmen dieser Unternehmer gucken, wo ich tätig bin, auch erfahren, dass es nicht immer gut funktioniert, dass man eigentlich dankbar ist, wenn die junge Generation da ist, aber die alte dann nicht loslassen kann. Darüber führen wir sehr, sehr offene Gespräche. Ich muss aber dazu sagen, dass wir uns sehr gut verstehen als Familie und von daher sehr dankbar sind, auch noch über weitere Jahre gemeinsam zu arbeiten. Am Ende stellen wir ein Qualitätsprodukte her. Ich nenne es auch ein Generationenprodukt, denn wir produzieren Sekte, die sehr, sehr lange bei uns im Keller reifen. Sprich wir konsumieren das, was wir getan haben, erst in einigen Jahren und das, was aktuell im Glas.

Tanja Könemann [00:09:52] Und was sagt die Jugendliche, die Flörsheim-Dalsheim mal langweilig fand zu der Marieluise von heute?

Marie-Luise Raumland [00:10:01] Die sagt Marie-Luise, gut, dass du diesen Weg gegangen bist. Weil, wäre ich von Anfang an nach dem Abitur in die Winzerlehre gegangen und zu Hause geblieben, ich glaube, dann hätte ich wahrscheinlich immer das Gefühl gehabt, ich würde trotzdem gerne noch etwas sehen. Mittlerweile habe ich sehr, sehr viel sehen dürfen. Darüber bin ich sehr dankbar und möchte gar nicht mehr weg. Und von daher ist es mir lieber, dass es so rum ist wie anderswo. 

Tanja Könemann [00:10:24] Gab es denn schon einen Wein, den Ihre Schwester und Sie hergestellt haben? Oder ein Sekt, den man auch wirklich im Geschäft kaufen konnte? Oder liegt er noch im Keller und muss reifen? 

Marie-Luise Raumland [00:10:35] Der liegt tatsächlich noch im Keller. Meine Schwester und ich sind 2019 bzw 2020 ins Unternehmen eingestiegen und diese Sätze sind noch nicht im Verkauf. Das heißt, wir müssen noch warten bis nächstes Jahr und dann kommt die erste Sekt. Und es wird natürlich sehr spannend und aufregend für uns, dann auch zeigen zu können, wo wir mit angepackt haben, was sich daraus ergeben hat qualitativ. 

Tanja Könemann [00:10:58] Sie haben viel über Kommunikation gesprochen und welche Rolle dieser Austausch innerhalb der Familie spielt. Ich weiß auch aus dem Vorgespräch: Der Mittagstisch bei Ihnen ist Tradition, dass Sie mittags zusammensitzen und deshalb zum Schluss unseres Podcasts die Frage: Was ist im Moment Thema am Mittagstisch? 

Marie-Luise Raumland [00:11:19] Was wir gerade merken meine Schwester und ich, dass unsere Zeit natürlich noch begrenzter ist, jetzt, wo wir selbst kleine Familien haben. Das heißt, aktuell ist ein großer Diskussionspunkt, wie wir unsere Zeit effizienter integrieren im Familienunternehmen und wie wir auch unsere eigene Arbeit möglich machen mit anderen Mitteln der Kindererziehung. Also ich merke jetzt auch, natürlich möchte man als Mutter da sein, aber auf der anderen Seite, man führt ein Unternehmen. Ich habe mir nach der Geburt zwei Wochen Pause gegönnt, aber dann musste es einfach weitergehen. Und so haben wir jetzt entschieden, auch so eine Art Betriebskindergärten in ganz, ganz kleinem Stile einzurichten, um einfach das zu ermöglichen, was wir vorher auch gemacht haben. Und das war uns im Vorhinein nicht bewusst, dass das auf uns zukommen wird, so in diesem Maße. Aber jetzt ist es eben auf dem Mittagstisch und entsprechend versuchen wir mit solchen Themen zum Beispiel bestmöglich umzugehen. Und natürlich, was wir gerade sehr diskutieren, ist eben, wie ich vorher schon gesagt, die neue Assemblage, also die neue Quittierung der Weine. Das ist einer der spannendsten Schritte bei uns im Haus, weil wir da bestimmen, wie ein Sekt miteinander – in Anführungszeichen – vermischt wird und wie er potenziell dann in sechs, sieben, acht Jahren schmecken wird. Und das ist einer der wichtigsten Entscheidungen. Und entsprechend diskutieren wir das natürlich auch hoch und runter. 

Tanja Könemann [00:12:43] Frau Raumland, dann ganz herzlichen Dank. Das ist ein tolles Schlusswort. Wir haben gelernt, dass Sie Herausforderungen des Unternehmertums auf dem kurzen Dienstweg am Mittagstisch klären und das bestimmt auch so beibehalten. Herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren. 

Marie-Luise Raumland [00:12:58] Ich habe zu danken. Danke für das Gespräch. 

Tanja Könemann [00:13:01] Das war Marie-Luise Raumland, für die im kommenden Jahr eine große Feier ansteht. Ich freue mich sehr, dass auch Sie uns bis zum Ende zugehört haben, und bedanke mich ganz herzlich. Wie immer gilt: Falls Sie Anmerkungen, Fragen oder Kritik haben, schreiben Sie uns gerne in die Kommentare oder kontaktieren Sie uns über LinkedIn. Bis bald, bei Gute Geschäfte. 

Jingle [00:13:26] Gute Geschäfte. Businesswissen in zehn Minuten. Der Creditreform Podcast. 



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