Startups haben es (etwas) leichter

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz soll dazu beitragen, dass Deutschland eine „Gründerrepublik“ wird. Die Branche heißt die Erleichterungen willkommen, erinnert aber auch an hiesige Besonderheiten.

Deutschland hinkt hinterher mit seinen Bedingungen für Startups. Wie sehr, das ließ sich ganz besonders gut letzten August bei dem jungen Kernfusions-Spezialisten Marvel Fusion beobachten. Damals wurde bekannt, dass die Münchner, die sich bislang auf den Aufbau ihres Unternehmens hierzulande konzentriert hatten, ihre nächste Forschungsanlage in den USA bauen werden. Dort gebe es „ganz klar meilensteinbasierte Förderprogramme sowie ein regulatorisches Rahmenwerk mit einem klaren Planungshorizont“, sagte Marvel-Fusion-Geschäftsführerin Heike Freund damals dem Handelsblatt. In Deutschland und Europa hingegen sei das nicht der Fall.

Das soll sich ändern. Nahezu geräuschlos hat die Bundesregierung ein Gesetz durch Bundestag und Bundesrat gebracht, das „für die deutsche Startup-Szene äußerst wichtig ist und in dieser auch gut aufgenommen wird“, sagt Ulrike Hinrichs, Geschäftsführerin des Bundesverband Beteiligungskapital (BVK). Gemeint ist das Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG). Es ist seit dem 1. Januar in Kraft.

„Um die großen Zukunftsaufgaben erfolgreich gestalten zu können, müssen wir mehr privates Kapital mobilisieren und den Finanzplatz Deutschland attraktiver machen“, begründet das Bundesfinanzministerium die Einführung. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde vor allem der Zugang zur Börse für junge Unternehmen etwas erleichtert, die Mitarbeiterkapitalbeteiligung wurde steuerlich attraktiver gemacht und Mehrfachstimmrechte eingeführt, damit Gründer trotz Kapitalaufnahme den Einfluss auf das Unternehmen bewahren.

Gerade die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist von großer Bedeutung. Das Gesetz erleichtert einem Start­up mit hohem Wachstumspotenzial, dass Mitarbeiter über zum Beispiel Aktien am Erfolg ihres Unternehmens teilhaben können. Für Gründer im Wettbewerb um Talente ist das ein wichtiges Instrument. Hierauf weist Frank Freund, Finanzvorstand beim Fintech Raisin – bekannt durch die Spar- und Anlageplattform weltsparen.de – hin: „Jetzt sind wir im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähiger bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geworden.“

Auch der Startup-Verband zeigt sich zufrieden: „Das Gesetz war dringend notwendig“, sagt Geschäftsführer Christoph J. Stresing. „Damit wird eine langjährige Forderung deutscher Startups erfüllt.“ Auf Zustimmung treffe vor allem die Erleichterung bei der sogenannten Dry-Income-Besteuerung. Dieses Problem entstehe, wenn Beschäftigte Einkommensteuer auf den Wert ihrer erhaltenen Unternehmensanteile zahlen müssen, obwohl sie dafür keine liquiden Mittel erhalten haben. Die finanziellen Belastungen daraus können erheblich sein. Daher würden sie bei Jobangeboten auf die entsprechenden Regelungen achten. „Gerade größere und ältere Startups, sogenannte Scale­ups, stehen in einem harten Wettbewerb um internationale Fachkräfte“, sagt Stresing. „Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz ist diese Schwierigkeit nun abgeschwächt, weil Mitarbeitende ihre Unternehmensanteile deutlich später versteuern müssen.“

Gesetz repariert Schwachpunkte

Ob Deutschland jetzt eine „Gründerrepublik“ wird, wie es Bundesfinanzminister Christian Lindner vorschwebt, bleibt abzuwarten. Für Carsten Rudolph, Geschäftsführung von BayStartUP, einem bayerischen Netzwerk für Startups, Investoren und Industrie, ist das Gesetz „ein Schritt in die richtige Richtung“. Die im Gesetz gezogenen Mitarbeiter- und Umsatzgrenzen von 500 Beschäftigten beziehungsweise 100 Millionen Euro Erlös – jeweils eine Verdoppelung gegenüber den bisherigen Fördergrenzen – seien für „ambitionierte Startups noch nicht das Ende der Fahnenstange“. Andererseits warnen Anlegervertreter vor einer Zweiklassengesellschaft unter den Aktionären.

Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sagt, dass das Gesetz vor allem vorhandene Schwachpunkte des deutschen Marktes adressiere. Zum Teil erfolge eine Anpassung an die einfacheren EU-Mindestregelungen, „sodass es keinen innereuropäischen Standortnachteil für deutsche Startups und deren Finanzierung mehr gibt“. In Europa sei zum Beispiel die Stockholmer Börse mittlerweile ein bevorzugter Ort für Börsengänge von Wachstumsunternehmen, da sie weniger Anforderungen und Regeln habe als Deutschland. Röhl sagt aber auch, dass von dem Gesetz nicht unmittelbar Effekte zu erwarten seien. „Das muss sich erst in der Praxis bewähren.“

Gründer selbst sagen, dass in Deutschland mittlerweile zwar Startups in der Frühphase gut unterstützt werden, „dass aber der letzte Beweis fehlt, dass es auch bei größeren Finanzierungsrunden funktioniert“, so zum Beispiel Jan Leisse, Mitgründer und CEO vom Quantencomputer-Startup eleQtron aus Siegen. Anne Decker von wattx, einem Venture Builder mit Fokus auf den Mittelstand, moniert, dass es in Deutschland grundsätzlich zu wenig Risikoinvestoren mit höheren Kapitalvolumina gebe. Auch bedürfe es „verbesserter Fondsstrukturen und regulatorischer Rahmenbedingungen, wie wir sie beispielsweise aus dem Silicon Valley kennen“. Jürgen Hase vom Company Builder P-ton erinnert nicht zuletzt an „die deutsche Bürokratie“, die auch Finanzierungen schleppend machen kann.

Strukturelle Probleme bleiben

Ähnlich sieht das Christian Schneider-Sickert, CEO beim Vermögensverwalter Liqid: „Das Gesetz ist ein starkes Signal – vor allem, weil es die wichtige Rolle von jüngeren Unternehmen in der deutschen Wirtschaft unterstreicht. Gleichzeitig wäre es fatal, jetzt zu glauben, die Aufgabe sei erledigt und alle Hemmnisse für Innovation und Wachstum in Deutschland seien entfernt.“ Auch junge Unternehmen litten unter strukturellen Problemen wie altmodischer Verwaltung, bröckelnder Infrastruktur, mittelmäßigem Bildungssystem und mangelnder Attraktivität als Einwanderungsland für Top-Talente. Am wichtigsten, so Schneider-Sickert, sei ein anderes Mindset in Deutschland. Hierzulande würden „überholte Geschäftsmodelle wie die von Karstadt massiv unterstützt“, während jungen Unternehmen mit deutlich größerem Potenzial bürokratische Hindernisse in den Weg gestellt würden. Zwiegespalten sei er in puncto Einführung von Mehrstimmrechtsaktien. Einerseits behielten Gründer nach einem Börsengang die Möglichkeit, „ihr Unternehmen agil zu steuern“. Andererseits müssten Kapitalgeber hilflos zusehen, wie andere mit ihren Mehrfachstimmrechten die Entscheidungen träfen.

„Für wirklich wachstumsstarke Startups bleibt eigentlich nur der Weg auf den amerikanischen Kontinent, denn für Finanzierungen im dreistelligen Millionenbereich fehlen in Europa und vor allem Deutschland schlicht die Fonds“

Bei der insgesamt dann doch umfangreich vorgetragenen Kritik am Zukunftsfinanzierungsgesetz geht es schnell um Grundsätzliches, wie insbesondere unterschiedliche Mentalitäten, aber auch die Frage, wie die Altersvorsorge in einem Land organisiert ist. „Für wirklich wachstumsstarke Startups bleibt eigentlich nur der Weg auf den amerikanischen Kontinent, denn für Finanzierungen im dreistelligen Millionenbereich fehlen in Europa und vor allem Deutschland schlicht die Fonds“, betont BayStartUP-Chef Rudolph. Auch BVK-Geschäftsführerin Hinrichs blickt auf deutsche Besonderheiten: „Aufgrund des Systems der umlagefinanzierten Rente sind auf dem deutschen Markt generell weniger Kapitalsammelstellen wie Pensionsfonds vorhanden, die signifikant in Venture Capital investieren.“ Demnach fehle es deutschen Kapitalgebern nicht an Mut, sondern an einer geeigneten Investitionskultur, die unter anderem auch durch diverse steuerliche Nachteile hierzulande bedingt sei.

Fazit: Das Zukunftsfinanzierungsgesetz ist ein wichtiger Schritt zur Mobilisierung von Mitarbeitern und Kapital für Start- und Scaleups. Bis es in Deutschland einen größeren Markt für solche Finanzierungen und erfolgreiche Börsengänge gibt, müssen weitere Erleichterungen kommen und ein Mentalitätswandel her. Denn wenn die Deutschen mit Begriffen wie Kapital, Börse, Investoren und Unternehmertum weiterhin eher etwas Gefährliches verbinden, dann fällt die Finanzierung der Zukunft immer noch schwer.

Eckpunkte des Zukunftsfinanzierungsgesetzes

  • Absenkung des Mindestkapitals für einen Börsengang von 1,25 Millionen auf 1 Million Euro
  • Erleichterung von Anlagen von institutionellen Investoren im Bereich Startup und Wachstum
  • Möglichkeit von Aktienemissionen mit elektronischen Wertpapieren (z. B. via Blockchain)
  • Einführung von Mehrstimmrechtsaktien mit einem Stimmrecht von bis zu zehn zu eins
  • Mitarbeiterkapitalbeteiligung mit steuerlichem Freibetrag von 2.000 Euro statt der bisherigen 1.440 Euro
  • Anreiz zum Vermögensaufbau durch Änderung der Arbeitnehmer-Sparzulage
     

Quelle: Bundesfinanzministerium


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Terliesner
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