Deutschland, das hässliche Entlein?
Mit dem Stichwort „Deindustriealisierung“ öffnet sich ein neuer dunkler Horizont. Dieses Wort wird vielfach in einem Zug mit der Problematik des Standorts Deutschland genannt.
Jetzt hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) die Debatte noch einmal beschleunigt. Bei einer Untersuchung zu den Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland zeigen sich deutliche Abnahmen und werfen damit einmal mehr die Frage auf, wie attraktiv Deutschland für ausländische Unternehmen noch ist. Noch 2018 und 2020 flossen rund 140 Mrd. Euro nach Deutschland. Im Vorjahr waren es dann 22 Mrd. Euro weniger. Das war so gering wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Direktinvestitionen sind weltweit rückläufig, jedoch nicht in der EU: In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 stiegen die Zuflüsse um 120 Prozent. Aus Deutschland waren es 90 Mrd. Euro, etwa zwei Drittel aller Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen, die in EU-Mitgliedsländer, vor allem in die Benelux-Staaten und nach Frankreich, gingen. Dagegen investierten ausländische Unternehmen weniger nach Deutschland. Das IW spricht bei diesen Investitionen von kleineren Zukäufen oder Projekten und deutet dies als einen Hinweis auf die ungünstigen Standortbedingungen im globalen Wettbewerb. An dieser Stelle ist allerdings einzuwenden, dass gerade große Investitionen von Unternehmen wie Tesla oder Microsoft in Deutschland getätigt wurden. Allerdings ändert dies nichts am grundsätzlichen Befund.
Der teure Strom ist es nicht alleine
Woran liegt es, dass so wenig in Deutschland investiert wird? Vielfach genannt werden in diesem Zusammenhang die hohen Energiekosten. Da wird danach gefragt, ob im Zeichen der Energieknappheit nicht doch Atomenergie zunächst weiterhin eine Rolle spielen sollte. Im europäischen Vergleich sind die Stromkosten nur in fünf Ländern niedriger als in Deutschland. Frankreich, dass sich unverdrossen weiter auf die Stromerzeugung via Atomenergie stützt, hat nur 0,1 Cent Vorteil, in Belgien ist sie sogar 0,2 Cent teurer. In 21 EU-Staaten ist die Stromerzeugung sogar noch teurer. Dabei ist die Situation in Europa bei der Stromerzeugung und den Kosten nur die eine Seite der Medaille. Richtet sich der Blick nach Übersee, auf China und die USA, so ist Strom dort wohl auf absehbare Zeit deutlich billiger zu bekommen.
Aber es ist nicht nur die Problematik der hohen Energiepreise, die dafür sorgt, dass deutsche Unternehmen ins Ausland gehen und auf der anderen Seite ausländische Unternehmen sich weniger in Deutschland engagieren. Ein Asset Deutschlands im internationalen Vergleich war die Stabilität von Politik und Gesellschaft. Eine aktuelle Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zeigt, dass Deutschland wohl Europas größte Volkswirtschaft ist, dass aber nur 58 Prozent der Finanzchefs das Land zu den fünf politisch stabilsten EU-Ländern zählen. 2021 waren es noch rund 80 Prozent, die Deutschlands politische Stabilität lobten. Aber auch bei dieser Umfrage ist ein etwa gleich hoher Anteil von 57 Prozent der Meinung, dass die hohen Energiekosten ein Standortnachteil seien. Sicher spielt es auch eine Rolle, dass Deutschland sich gerade bei den Subventionen schwertut. Im Vergleich zu den USA haben es deutsche Unternehmen schwerer, die Forderungen der Energiewende zu bedienen, weil ihnen entsprechende Steuernachlässe fehlen. Dies ist vor allem auffällig, weil die Vereinigten Staaten eine rund doppelt so hohe Staatsverschuldung aufweisen und sich Subventionen noch weniger leisten könnten. Die Einhaltung der Schuldenbremse und eben auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Umwidmung der noch vorhandenen Corona-Gelder haben dafür gesorgt, dass die Förderung und Subventionierung der Industrie kaum noch umzusetzen sind.
Konjunktur und Struktur
Beim Standort Deutschland ist die aktuelle wirtschaftliche Lage von den strukturellen Problemen zu unterscheiden. Bei der Konjunktur gibt es durchaus Lichtblicke. Die Inflation geht endlich zurück und liegt mittlerweile bei nur noch 2,6 Prozent. Dies ist in Reichweite der angestrebten 2-Prozent-Teuerung. Auch der Arbeitsmarkt hält sich stabil mit einer Arbeitslosenquote von gut 3 Prozent – das ist rund die Hälfte des Wertes in Europa.
Sicher eine große Rolle spielen die politischen Verunsicherungen, die gerade auch im Zusammenhang mit der Industrieförderung und den Energiepreisen durch das Agieren der Ampelkoalition negative Publizität schufen. Für die Unternehmen ist Entscheidungssicherheit im Hinblick auf Investitionen eine wichtige Größe. Ein Gezerre um gesetzliche Vorgaben aber bringt Instabilität. Für die ausländischen Investitionen spielt sicher auch die Wahrnehmung eine Rolle, dass durch den rechten Rand der Politik demokratische Spielregeln verletzt werden könnten. Wer angesichts der Knappheit von Arbeitskräften noch eine zusätzliche Einschränkung von neuen Beschäftigten aus dem Ausland ins Spiel bringt, macht die Ansiedlung eines Unternehmens hierzulande noch schwieriger.
Die Lösungen sind durchaus bekannt. Deutschland hat einmal mehr ein Problem in der Umsetzung, nicht in der Erkenntnis der aktuellen Schwierigkeiten. Ein wichtiges strukturelles Problem ist die Überalterung der Gesellschaft. Dies wirkt sich direkt auf das Arbeitskräfteangebot aus. Und: Jeder dritte deutsche Beschäftigte arbeitet weniger als möglich wäre.
Die Bundesbank führt dazu aus: „Wir müssen die Erwerbsbeteiligung von Frauen fördern. Das trifft gerade auf Mütter von jungen Kindern zu. Erhebungen des Statistischen Bundesamts legen nahe, dass nur rund jede zweite Mutter mit einem Kind unter sechs Jahren aktiv am Erwerbsleben teilnimmt. Auch die Teilzeitquote bei Frauen ist in Deutschland hoch. Zuletzt betrug sie 47 Prozent. Zum Vergleich: Für den Euroraum lag die Quote im Durchschnitt bei 33 Prozent.“ Zu dieser Problematik gehört, dass es für Frauen selbst ein Risiko darstellt, gerade im Hinblick auf ihre Altersversorgung auf ein eigenes Einkommen zu verzichten. Und schließlich geht es darum, eine Willkommenskultur auszubauen, die vor allem qualifizierte und arbeitswillige Arbeitskräfte aus anderen Ländern anzieht.
Schließlich ist noch einmal die KPMG-Untersuchung zu nennen, die als eines der Hindernisse die hohe Bürokratie nennt. Bürokratische Hürden sind für ausländische Investoren, die mit einer anderen Sprache und einer anderen Kultur konfrontiert sind, noch eine weitere Schwierigkeit, die davon abhält, sich hierzulande niederzulassen. Dabei geht es nicht nur um die Anziehungskraft für Investoren von jenseits der Grenze, sondern schließlich auch darum, Abflüsse an Kapital durch die Ansiedlung deutscher Unternehmen im Ausland zu verhindern.
Quellen: Deutsche Bundesbank, IW, KPMG