Regionalnachrichten aus Essen, Velbert & Heiligenhaus
Hochwasser: Detektivarbeit im Flutgebiet
Wer ist von der Hochwasserkatastrophe wie stark betroffen? Bei der Suche nach Antworten gehen die Mitarbeiter von Creditreform auch ungewöhnliche Wege. Ihr Vorteil: die langjährige Nähe zu den Unternehmen.
Als die Flut kam, blieb 17 Mitarbeitern der Schmiedag GmbH im Hagener Stadtteil Eckesey nur die Flucht auf das Dach eines Bürocontainers. Es dauerte nur wenige Minuten, dann stand die Produktionshalle des bald 200 Jahre alten Unternehmens, das zur Georgsmarienhütte-Gruppe gehört, zwei Meter unter Wasser. Erst in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages retteten Bundeswehrsoldaten die Gestrandeten mit Schlauchbooten. Später, als die Wassermassen abgeflossen waren, zeigte sich ein Trümmerfeld: Die Maschinen, mit denen Schmiedag Bauteile für Großmotoren, Sonderfahrzeuge, Spezialanwendungen sowie die Mining-Industrie produziert, waren mit Schlamm durchzogen, die Elektroinstallation zerstört. Doch Hilfe ließ nicht lange auf sich warten. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben der Georgsmarienhütte packten bei den Aufräumarbeiten mit an und Mitbewerber aus dem Märkischen Kreis sowie aus Baden-Württemberg übernahmen Teile der Kundenaufträge. So blieben Lieferketten intakt.
„Die Schmiedag ist nur ein Beispiel für die große Hilfsbereitschaft und Solidarität gerade der kleinen und mittelgroßen Betriebe in der Flutkatastrophe“, beobachtet Ernst Riegel, geschäftsführender Gesellschafter der Creditreform Hagen Berkey & Riegel KG.
Welche Unternehmen sind wie stark durch das Hochwasser betroffen? Wer hat möglicherweise so große Schäden erlitten, dass er den Geschäftsbetrieb nicht wieder aufnehmen wird? Und: Welche Folgen hat das für die jeweiligen Lieferketten?
Intensive Recherche
Die Beantwortung dieser Fragen entwickelt sich für die Mitarbeiter der 25 Creditreform-Gesellschaften, in deren Geschäftsgebiet Starkregen beziehungsweise das anschließende Hochwasser wüteten, zu einer Detektivarbeit. Sie benötigen detaillierte und aktuelle Informationen, denn die Anfragen von Kunden und Lieferanten der im Hochwassergebiet beheimateten Unternehmen sind seit dem Flutereignis stark gestiegen. Der bloße Blick auf Postleitzahlbezirke, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Flut betroffen waren, liefert nur eine grobe Orientierung. „Möglicherweise sind zwei benachbarte Betriebe ganz unterschiedlich geschädigt – der eine, weil er etwas höher lag, weniger stark, der andere besonders schlimm. Deshalb müssen wir sehr genau hinschauen“, betont Anne Waterkamp, geschäftsführende Gesellschafterin Creditreform Essen Stenmans & Waterkamp KG.
Wie gelingt das? Creditreform Gesellschaften (VC), in deren Tätigkeitsgebiet nur wenige Unternehmen betroffen waren (die Bandbreite lag nach ersten Schätzungen zwischen 55 und 23.000 Betrieben), kontaktierten die entsprechenden Betriebe direkt und erkundigten sich nach dem Ausmaß des Schadens. Andere VC machten sich daran, betroffene Betriebe etwa mit Unterstützung der örtlichen Feuerwehren zu identifizieren. „Im Idealfall erhalten wir Straßenlisten der Einsatzorte und können so den Kreis weiter eingrenzen“, erklärt Riegel. In einem ersten Schritt werden alle Datensätze der mit hoher Wahrscheinlichkeit betroffenen Unternehmen mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Zusätzlich wird das Vorrätigkeitsdatum auf den Vortag gesetzt. Das hat zur Folge, dass der Datensatz und damit die konkrete Betroffenheit bei einem nachfolgenden Auskunftsabruf unmittelbar recherchiert werden.
Um Klarheit zu bekommen, haben die Creditreform-Mitarbeiter im August begonnen, die voraussichtlich Geschädigten anzuschreiben und in einem knappen Fragebogen um Auskunft gebeten. Damit verbunden war die Zusicherung, dass die Bonitätsbewertung – unabhängig vom Ausmaß des Schadens – unverändert bleibt. Einzige Ausnahme: Der Betroffene teilt mit, dass er den Geschäftsbetrieb nicht wieder aufnehmen werde. In diesem Fall wird die Bonitätsbewertung ausgesetzt. „Wir haben diese Aktion bewusst erst einige Wochen nach der Katastrophe gestartet. Denn zum einen hätte unsere Anfrage unmittelbar nach der Flut bei den betroffenen Entscheidern keine hohe Priorität gehabt. Zum anderen war ein Austausch aus technischen Gründen anfangs nur eingeschränkt oder auch gar nicht möglich“, sagt Riegel, der für das gesamte Auskunftswesen in der Creditreform Gruppe mit zuständig ist.
Mahnungen in Hochwassergebieten gestoppt
Im Inkassobereich hat Creditreform zunächst alle anstehenden Mahnungen an Betroffene in den Hochwassergebieten gestoppt, um ihnen Zeit zu geben, zunächst existenziell wichtige Dinge zu regeln. „Wir haben uns in vielen Fällen mit den Gläubigern abgesprochen, alle Verfahren für sechs Monate zu stoppen, es sei denn, es droht eine Verjährung“, sagt Anne Waterkamp. In diesen Fällen gehe Creditreform auf die Betroffenen zu und bitte um Unterzeichnung einer Verjährungshemmung. Der eine oder andere Gläubiger hat nach Beobachtung von Waterkamp sogar auf die Forderung verzichtet, als er erfuhr, dass der Schuldner zu den Geschädigten der Flut gehört.
Riegel und Waterkamp halten es für angemessen, dass Unternehmen, die infolge des Hochwassers in Schieflage geraten sind, bis Ende Oktober 2021 keinen Insolvenzantrag stellen müssen. „Niemand hat etwas davon, diese Betriebe jetzt in die Insolvenz gehen zu lassen. Bis Oktober sollte absehbar sein, welche Hilfen aus öffentlichen Kassen kommen und in welchem Umfang die Versicherer für Schäden aufkommen“, meint Anne Waterkamp. Sie wünscht sich in dieser besonderen Situation mehr praxisnahe, pragmatische Lösungen, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen: „Wie wäre es, Verjährungsfristen und Zahlungsziele zu verlängern?“
Ein Trumpf von Creditreform ist in der Aufarbeitung der Flut wieder einmal deutlich geworden: die Nähe zu den Unternehmen vor Ort. Die Mitarbeiter der 25 VC, in deren Geschäftsgebiet das Hochwasser Schäden anrichtete, kennen die Betroffenen häufig seit vielen Jahren. „Da müssen wir nicht lange recherchieren, wenn ein Entscheider anruft und versichert, dass der Betrieb trotz mancher Schäden weiterlaufe, weil viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice gewechselt seien“, sagt Anne Waterkamp.
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Stefan Weber