Creditreform Magazin

Amazon. Wer ist das?

Je größer, desto erfolgreicher: Diese im Wirtschaftsleben eigentlich ­unumstößliche Regel gilt auch im E-Commerce – aber nicht immer. Auch kleinen Mittelständlern und Familienunternehmen gelingt es, mit Fachkompetenz und Emotionalität die Kunden zu binden.

Amazon ist eine Weltmacht, die Händlern keine Chance zum Überleben gibt. Nahezu unaufhaltsam wälzt sich das US-Unternehmen, einst angefangen als Bücherversender, durch alle Sphären des Handels. Auch vor dem Verkauf von Lebensmitteln macht der Gigant nicht halt. 

Schon prüft Amazon auch den Verkauf von Flugtickets. Müssen deutsche Händler einpacken? Oder umlernen? Ist ihr Geschäftsmodell zum Scheitern verurteilt?

Oliver Lederle, Gründer und Geschäftsführer des Spielzeughändlers My Toys, widerspricht. „Wer sich gegen Amazon behaupten will, muss sich spezialisieren“, sagt er. 

Für Lederle ist der zentrale Erfolgsfaktor, sich klar auf Zielgruppen zu fokussieren. „Die Konzentration auf die Zielgruppe der Mütter und jungen Familien ist für My Toys seit Gründung des Unternehmens 1999 ein wichtiger Wachstumstreiber“, sagt er.

Dass Lederle und seine Mitarbeiter offenbar richtig liegen, hat er jetzt schwarz auf weiß bekommen. Bei einer Umfrage zur Kundenzufriedenheit im Onlinehandel, für die das Handelsforschungsinstitut IFH Köln rund 15.000 Kundenbewertungen zu insgesamt mehr als 120 Onlineanbietern gesichtet hat, belegt sein Unternehmen im Bereich Baby & Kind den ersten Platz, vor den Wettbewerbern Baby-Walz und Jako-o – und eben auch vor Amazon. 

Schon zum achten Mal zeichnete das Institut mit dem Deutschen Onlinehandel Award die aus Kundensicht besten Onlineanbieter in Deutschland aus. Basis des Preises ist die ECC-Untersuchung „Customers‘ Choice“.

Über alle Kategorien hinweg hat das Musikhaus Thomann das Rennen gemacht. Der Händler aus dem oberfränkischen Burgebrach setzt sich seit 2012 bereits zum vierten Mal an die Spitze des Rankings der besten Onlineanbieter aus Kundensicht. 
Sabrina Mertens, Leiterin des ECC Köln, begründet: „Das Musikhaus Thomann schafft es, seine Strategie exakt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abzustimmen, und erreicht so eine exzellente Digital Experience.“ Thomann gelinge es, aus seinen Kunden echte Fans zu machen.

Und Thomann ist nur einer von vielen Mittelständlern, die die Auszeichnung erhalten haben. In der Kategorie „Do it yourself“, errang Gärtner Pötschke den ersten Platz. 

Der mehr als 100 Jahre alte Gartenspezialist aus dem niederrheinischen Kaarst umwirbt seine Kundschaft unter anderem mit liebevoll gemachten Beratungsvideos. Im eigenen Youtube-Kanal erklärt Chefin Cornelia Pötschke den fast 12.000 Abonnenten und weiteren Onlinebesuchern persönlich, etwa wie man richtig gießt und wie man Gartenwerkzeuge pflegt.

Und noch ein weiteres Familienunternehmen hat den großen Plattformen den Rang abgelaufen. In der Kategorie „Wohnen & Einrichten“ triumphierte die Firma Erwin Müller aus dem schwäbischen Buttenwiesen und verwies Ikea auf Platz zwei. 

Ganz offenbar gelingt es Mittelständlern und Familienunternehmen für mehr Kundenzufriedenheit zu sorgen als große Konzerne und Markenartikler. Keine Konkurrenz zu anderen Kanälen Rainer Volland, Managing Partner des E-Commerce-Beratungsunternehmens Elaboratum aus München, beschäftigt sich täglich mit der Materie und rät Unternehmen zu einer klaren Positionierung. 

„Online wird oft als Anhängsel des aktuellen Geschäftsmodells gesehen oder als unabhängiger Vertriebskanal, neben dem dann andere Kanäle, wie Vertreter und die Telefonie, existieren.“ Das funktioniere in der Praxis schlecht, weil dann die notwendige Vernetzung nicht umgesetzt und damit eine Menge Potenzial vergeben werde. 

„Wird Online von existierenden Vertriebskanälen als Konkurrenz angesehen, wird der E-Commerce nicht genügend gefördert“, sagt Volland und ergänzt: „Das bedingt oft auch eine zu geringe Ausstattung mit Budget, Menschen und auch nicht genug Willen, das bestehende Geschäftsmodell anzupassen.“

Vollands Beratung hat für die hocherfolgreichen Firmen wie Thomann einen Begriff kreiert: Category Killer. „Sie stellen von der Auswahl her Amazon in den Schatten und können auch preislich mithalten“, sagt Volland. Für diese Händler sei Online klar das Kerngeschäft und Offline maximal noch ein Nebenerwerb und Aushängeschild.

Möglichst unkomplizierter Kauf

Während Thomann – außer mit einem stationären Geschäft nahe der Zentrale – praktisch nur auf Onlinehandel setzt, haben andere Preisträger des Online-Awards Erfolg mit einer Mischung aus Online- und stationärem Handel. My-Toys-Chef Lederle sagt: „Für uns war von Anfang an klar, dass wir, um als kompetenter Händler für Kinderprodukte wahrgenommen zu werden, mit unserer Marke in allen Lebensbereichen und für alle Kaufanlässe unserer Kunden präsent sein müssen. Dazu gehört für uns auch, Filialen zu haben.“ 

Für ihn sei die Zukunft des Handels ein Kanalmix aus Online und Offline, die sich gegenseitig stärken. Gerade durch die lokale Präsenz würde My Toys Vertrauen und Bekanntheit schaffen und die Kunden dort abholen können, wo sie sich befinden. Der Geschäftsführer weiß aber auch: Die Digitalisierung ist aus der Welt nicht mehr wegzudenken. 

„Kunden wollen einerseits einen möglichst unkomplizierten Kauf, andererseits soll dieser auch gewisse Servicefunktionen erfüllen.“ An erster Stelle der Kundenwünsche würde das Mobile Shopping stehen, responsive Websites oder eine App seien deshalb unabdingbar. 

„Darüber hinaus ist eine möglichst große Produktauswahl wichtig, genau maßgeschneidert auf die Bedürfnisse, verfügbar online und auch stationär“, sagt Lederle. My Toys hat aufgrund der Digitalisierung in den letzten Jahren viel in die IT-Infrastruktur investiert. „Personalisierte Angebote und ein zielgerichteter Sortimentsausbau stehen bei uns im Fokus“, sagt Lederle.

Der Katalog steht längst online

Auch im Bereich Kleidung hat nicht etwa ein großer Konzern das Rennen gemacht. Gesiegt hatte Bonprix, der vor gut 33 Jahren als kleiner Katalogversandhändler startete und heute online die umsatzstärkste vertikale Modemarke in Deutschland ist. 

Bonprix konnte bei der Vergabe des Deutschen Onlinehandel Awards zum Beispiel auch Zalando hinter sich lassen. Den ECC-Experten zufolge geht Bonprix sehr kundenfokussiert vor und hat erfolgreich den Wandel vom Katalogversender zum innovativen E-Commerce-Player geschafft.

Für Kai Heck, verantwortlich für Finanzen, IT und Services bei Bonprix, ist das eine große Ehre. Seine Firma legt seit Jahren den Schwerpunkt auf E-Commerce und Mobile Shopping. 

„Wir unterstützen unsere Kundin dabei, in unserem umfangreichen Angebot die Mode zu finden, die zu ihrer Figur und ihrem Stil passt.“ Dafür entwickelt Bonprix auch Online-Tools, wie einen Bademoden-, einen BH- oder einen Jeans-Berater. 
„Wir holen auch unser Kundenfeedback systematisch und regelmäßig ein, um die User Experience so sukzessive zu verbessern“, ergänzt Heck. „Das wird in der öffentlichen Wahrnehmung häufig unterschätzt.“

Diese Bausteine gehören beim Online-Award-Gesamtsieger Musikhaus Thomann ebenfalls zur Erfolgsgrundlage. Darüber hinaus glänzt das Familienunternehmen mit einer sehr authentischen Verkäufer-Kunde-Beziehung: Knapp neun von zehn Thomann-Mitarbeitern sind selbst Musiker und spielen ein Instrument. Sie transportieren somit große Glaubwürdigkeit. Auch so schlagen sie Amazon weit aus dem Feld.


Text: Martin Scheele



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