Creditreform Magazin

Balanceakt im Auslandsgeschäft

Die Stimmung zwischen den USA und China ist eisig. Im Ringen der Supermächte um eine Vormachtstellung steht ein Verlierer bereits fest: die Wirtschaft – auch die deutsche. Wie Unternehmen weiterhin international Chancen ergreifen und sich gegen Risiken absichern.

Es ist noch gar nicht lange her, da war China das Wunderland des Wachstums. Angela Merkel reiste als Bundeskanzlerin in 16 Jahren zwölf Mal nach China. Ihr letzter Besuch endete am 7. September 2019 in Wuhan. An der dortigen Universität sprach sie darüber, wie sehr ihr der Austausch in der Wissenschaft am Herzen lag, redete von Künstlicher Intelligenz und einer rasanten technologischen Entwicklung. Am Tag zuvor in Peking hatte sie – begleitet von besorgten Konzernchefs und mittelständischen Führungskräften – für „starke bilaterale Beziehungen“ geworben. Zur gleichen Zeit war der Handelskrieg zwischen China und den USA in vollem Gange, schon damals ging die Furcht um, sich auf eine Seite stellen zu müssen.

Seitdem ist viel Wasser den Jangtsekiang hinuntergeflossen. In den vier Jahren, die zwischen dem Kanzlerinnen-Besuch und heute liegen, hat sich die Lage für deutsche Unternehmen zugespitzt. Zunächst hatte Chinas Null-Covid-Strategie eine gefährliche Abhängigkeit deutscher Unternehmen von Lieferungen aus der Volksrepublik offenbart. Pekings Duldung von Wladimir Putins Ukraine-Krieg verstärkte die Bedenken noch, ebenso die Furcht vor einer Eskalation des Taiwan-Konflikts. Der Blick auf die Supermacht im Osten hat sich verändert. Auf den Punkt brachte die „Wirtschaftswoche“ das neue Verhältnis in einer ihrer Titelgeschichten im Frühjahr dieses Jahres: „Die Deutschen trauen China immer noch alles zu – aber nicht mehr über den Weg.“

Auf der anderen Seite stehen die USA – sie waren auch schon vor dem Inflation Reduction Act der Biden-Regierung attraktiv für deutsche Mittelständler. „Marktgröße, Kundennähe und Marktstabilität sind die drei Hauptgründe, warum deutsche Unternehmen in den USA aktiv sind“, sagt Christoph Schemionek, Leiter der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Washington DC und Geschäftsführer des Representative of German Industry and Trade (RGIT). „Deutsche Unternehmen sind hier seit Jahren und Jahrzehnten vertreten“, fügt er hinzu. „In den letzten zehn Jahren haben sie fast 400 Milliarden Euro in den USA investiert.“ Mittlerweile seien es knapp 640 Milliarden US-Dollar. Damit haben sich die deutschen Direktinvestitionen zwischen 2011 und 2021 mehr als verdoppelt.

Doch auch die USA haben sich verändert. Sie sind nicht mehr nur Handelspartner und reizvoller Investitionsstandort, sondern agieren ebenfalls als Tribut einfordernde Supermacht. „Wir sehen leider die Tendenz, dass die Welt in zwei Blöcke zerfällt“, sagt Schemionek. Mehr noch. Aus der vom westlichen Block dominierten Weltordnung entsteht eine neue multipolare Welt, mit neuen wirtschaftlichen Playern und Machtzentren. Damit wächst aber auch die Chance für die deutsche Wirtschaft, neue Allianzen einzugehen und Gegengewichte zu schaffen.

Vorsicht im China-Geschäft ja, Rückzug nein

Und das ist auch notwendig. Wie eine Umfrage der Außenhandelskammer (AHK) in China zeigt, werden Unternehmen in China vorsichtiger. Trotz Abkehr von der Null-Covid-Politik im Reich der Mitte rechnet mehr als die Hälfte der Befragten in diesem Jahr mit einer unveränderten oder schlechteren Branchenentwicklung. 32 Prozent der Befragten erwarten einen Gewinnrückgang von mehr als 5 Prozent, was die AHK auf die schleppende Entwicklung des Marktes sowie die anhaltenden geopolitischen Spannungen zurückführt. Immerhin planen 55 Prozent der Unternehmen, ihre Investitionen in China in den kommenden zwei Jahren zu erhöhen – 4 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, aber weit weniger als vor der Pandemie. Die Gründe, weiter zu investieren, sind simpel: auf dem chinesischen Markt wettbewerbsfähig bleiben zu wollen (62 Prozent) und vom Wachstumspotenzial des Marktes zu profitieren (48 Prozent).

Eine Strategie, die auch Roland Busch Mitte Juni im Handelsblatt erläuterte. Der Siemens-Chef sprach über ein Zwei-Milliarden-Euro-Investment in neue Werke, von dem trotz globaler Unsicherheit ein nicht geringer Teil in ein Automatisierungswerk in der südchinesischen Provinz Sichuan fließen soll. Damit die Abhängigkeit von China dennoch nicht zu groß werde, fahre Siemens eine Doppelstrategie, sagte er. In China solle vor allem für China gefertigt werden. Der weitaus größere Teil der Kapazitätsausweitung sei für Standorte im Rest der Welt gedacht. Auf dem Programm steht auch ein neues Werk in Thailand.

Maximilian Butek ist Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China - Shanghai. Er wirbt dafür, China nicht abzuschreiben. „Die Überlegung ‚Raus aus China oder nicht‘ ist nicht neu“, sagt Butek. „Die gab es schon zu Beginn des Handelskrieges mit den USA.“ Die aktuelle Stimmung sei zu pessimistisch, vor dem Lieferkettenschock in der Corona-Pandemie seien die Risiken unterschätzt worden, heute würde ihnen zu viel Bedeutung beigemessen. „Für die meisten Unternehmen sind die Chancen hier nach wie vor immens – beispielsweise für Unternehmen aus der Solarindustrie“, so der Experte. Im vergangenen Jahr erzielte China einen Rekord beim Ausbau erneuerbarer Energien, indem die Volksrepublik 87 Gigawatt Solarerzeugungskapazitäten zubaute.

Eine Balance zu China herstellen

Heiner Lang stellt das Chinageschäft nicht in Frage. Seit Januar 2021 führt der gebürtige Schwabe den Elektrotechnik- und Automatisierungsspezialisten WAGO in Minden. Die Volksrepublik ist mit einem Umsatz von rund 100 Millionen Euro und 1.300 Beschäftigten vor Ort einer der wichtigsten Produktionsstandorte und Märkte. Selbst wenn der chinesische Markt mal eine Schwäche hat oder eine kleine Durststrecke, wächst er immer noch deutlich stärker als zum Beispiel die europäischen Märkte. Für den Geschäftsführer ist das aber nur einer der Gründe. „Vor meiner ersten Chinareise im Jahr 2008 dachte ich, es geht dort ums Kopieren und darum, möglichst billig zu produzieren“, so der CEO. Vor Ort sei er eines Besseren belehrt worden. „Innovation und Schnelligkeit gehen in China über alles. Wir Deutschen können gut strukturieren und automatisieren. Wenn man diese Fähigkeiten zusammenbringt, kann das ein schlagkräftiges Duo sein.“ Wie Siemens setzt auch WAGO auf Diversifikation – das Unternehmen hat Indien für sich entdeckt. „Wir fahren den Standort deutlich hoch, um eine Balance in unseren Produktionsstätten herzustellen. Perspektivisch wollen wir in Indien ähnliche Produktionsmengen wie in China erzielen.“

Für manche Firmen steht allerdings eine Entscheidung an – Unternehmen in kritischen Branchen laufen Gefahr, dass sie ihnen sonst abgenommen wird. Prominentes Beispiel: der niederländische Chip-Konzern ASML, der auf ein Verfahren der Mikroelektronik spezialisiert ist, bei dem es darum geht, mittels Foto- und Lasertechnik winzige Strukturen auf ultradünne Scheiben aufzubringen und so Mikrochips herzustellen. Lithografiesysteme werden die Maschinen genannt, die ASML herstellt. Die USA hatten bereits unter Präsident Donald Trump Beschränkungen erlassen, um den Transfer von Halbleitertechnologie nach China zu verhindern. Die niederländische Regierung ist dem Drängen des NATO-Bündnispartners gefolgt und hatte ihrerseits Restriktionen erwirkt.

Eine folgenreiche Entscheidung auch für deutsche Unternehmen. Mit dem Optikkonzern Zeiss und dem Laserspezialisten Trumpf sind auch Mittelständler hierzulande betroffen. Die Schwaben sind Zulieferer von ASML, die Niederländer bauen mit dem Hochleistungslaser von Trumpf und dem optischen System von Zeiss die „komplexeste Produktionsanlage der Welt zusammen“, wie es bei Zeiss heißt. Die sogenannte EUV-Lithografie – EUV steht für „Extrem Ultraviolett“ – nutzt Licht mit einer extrem kurzen Wellenlänge. Laut Trumpf sei dies eine „beispiellose Schlüsseltechnologie“. Entsprechend darf ASML die begehrten Maschinen nicht nach China liefern – und das bereits seit Jahren nicht. Mittlerweile sind die Beschränkungen auf andere ASML-Produkte ausgeweitet worden. Die Regierung in Peking wiederum erließ Exportkontrollen für seltene und für die Halbleiterproduktion wichtige Metalle.

Vorbereitung auf den Worst Case

Das Beispiel zeigt: Unternehmen müssen sich nicht nur die Frage stellen, ob ihre Produkte künftig zu exportbeschränkten Schlüsseltechnologien gehören könnten. Sie müssen sich auch vergewissern, ob Risiken in ihren Lieferketten lauern. „Unternehmen sollten die Möglichkeit von Sanktionen gegen China berücksichtigen und sich natürlich dem Worst Case eines chinesischen Angriffs auf Taiwan auseinandersetzen“, sagt der ehemalige NATO-General Hans-Lothar Domröse. Viele Militärexperten sind zwar der Ansicht, dass dieser nicht akut bevorsteht. „Man sagt, bis 2030 hat China dafür nicht die nötige Überlegenheit im Pazifik“, so auch Domröse. Außerdem müsste Peking mit einem Eingreifen der Amerikaner rechnen. „Das wäre kein Krieg wie zwischen Russland und der Ukraine. Die Gefahr eines Weltkrieges wäre viel größer.“ Ob die kommunistische Führung ein solches Risiko wirklich eingehen würde, sei fraglich – zumal das auch bedeuten würde, die eigene wirtschaftliche Entwicklung aufs Spiel zu setzen.

Taiwankonflikt: Der Elefant im Raum

Ausschließen lässt sich ein solcher Schritt aber nicht. „Unternehmen fangen an, über China nachzudenken", sagt Timo Blenk, CEO und Partner der auf die Absicherung geopolitischer Risiken spezialisierten Agora Strategy Group. „Aber eigentlich steht ein Elefant im Raum, der jeden beschäftigen muss.“ Angenommen, es käme bei Taiwan zu irgendeiner Art von Eskalation und es gäbe ein US-Handelsembargo – dann müssen Firmen durchdeklinieren, was das für sie bedeutet. Der Experte zählt Beispiele auf: „Der Personalvorstand muss seine Mitarbeiter aus China holen, gegebenenfalls bekommt der Finanzvorstand ein Cashflow-Problem, weil er keine Liquidität aus China mehr bekommt, dem Vertriebschef bricht von heute auf morgen der komplette Markt weg, in der Produktion könnten kritische Rohstoffe fehlen und die Güter, die in China festsitzen, hohe Abschreibungen nach sich ziehen.

WAGO-Chef Lang kann noch nicht sagen, was im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan geschehen soll. „Das ist eine hypothetische Frage, die wir jetzt nicht beantworten. Wenn Sie mich vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine gefragt hätten, was ich in einem solchen Fall tun würde – ich hätte bestimmt nicht gesagt, dass wir den Standort Russland einmal komplett schließen werden.“ Im WAGO-Risikomanagement spielen geopolitische Risiken eine stärkere Rolle als früher. Dafür Szenarien zu entwickeln – auch das gehört zum Balanceakt, den Unternehmen in einer neuen, multipolaren Weltordnung leisten müssen.

Diversifizierung: die wichtigsten Fragen und Antworten

Timo Blenk ist CEO und Partner der Strategieberatung Agora Strategy Group. Im Interview erklärt er, wie Unternehmen das Thema Diversifizierung erfolgreich angehen können.

Herr Blenk, vielen Unternehmen geht es aktuell darum, Gegengewichte zu China zu finden. Die Beratung in dieser Frage zählt zu Ihrem Tagesgeschäft. Was empfehlen Sie Mittelständlern – wie geht man so etwas an?

Diversifikation betrifft immer diese drei Bereiche: Absatz, Produktion und Beschaffung. Beim Absatz empfehle ich, sich nicht zu sehr von einem einzelnen Markt abhängig zu machen – nicht mehr als 20 Prozent sollten aus einer einzelnen Region kommen. Bei der Produktionsarchitektur ist es wichtig, sich den Status quo anzuschauen – Wo produziere ich? – und dann zu überlegen: Welche Ausgleichsmechanismen kann ich schaffen? Gleiches gilt für die Beschaffung: Woher kommen meine Rohstoffe? Wo werden sie verarbeitet und wie kann ich meine Logistik und meine Lieferketten möglichst sicher aufstellen?

Welche Standorte halten Sie aktuell für unterschätzt?

Im europäischen Raum bin ich ein großer Fan von Portugal und Albanien. Portugal, weil es unbürokratische Investitionsbedingungen bietet, vor allem im IT- und Tech-Bereich. Albanien, weil es zum Beispiel im Energiebereich über ein erhebliches Potenzial an erneuerbaren Energiequellen verfügt und bereits einen Großteil seines Bedarfs durch Wasserkraft deckt. Als Küstenland kann in Albanien auch Produktionslogistik gut abgewickelt werden. Dort ist das Korruptionslevel zwar mit dem in Nordafrika zu vergleichen. Als EU-Beitrittskandidat und langjähriges NATO-Mitglied sollte sich das aber bessern.

Und global?

Japan wird momentan massiv unterschätzt. Technologisch gesehen spielen sie in einer Liga mit Taiwan. Und Japan ist nah an China – ein Shift dorthin wäre vergleichsweise einfach. Japan ist eine Volkswirtschaft auf höchstem Niveau. Da kommt Indien beispielsweise noch lange nicht ran. Außerdem rüstet das Land gerade massiv auf, wovon auch deutsche Unternehmen profitieren.

Quelle: Magazin "Creditreform"

Text: Tanja Könemann 

Bildnachweis:  Wenjin Chen / Getty Images

 



Creditreform in Mecklenburg-Vorpommern