Creditreform Magazin

Großer Schritt aufs Parkett

Auch im schwierigen konjunkturellen Umfeld kann sich für wachstumsorientierte Unternehmen ein Börsengang anbieten – mit dem Ziel, die Bonität und die Stellung am Markt zu stärken. Allerdings birgt eine Notierung durchaus Tücken. In welchen Situationen Mittelständler diesen Weg erwägen können und welche Vor- und Nachteile sie im Blick haben sollten.

Die Krönung steht wohl kurz bevor: Der Kaffeekonzern Jacobs soll in diesem Jahr an die Börse gehen. Das berichten diverse Medien, darunter Handelsblatt und ARD.  Rund drei Milliarden Euro sollen eingesammelt werden – ein enormer Deal. So plant das die Milliardärsfamilie Reimann, welche die Holding vor rund fünf Jahren gekauft hatte.

Experten rechnen damit, dass sich 2020 wieder mehr Unternehmen aufs Parkett wagen. Im vergangenen Jahr waren es extrem wenige Firmen, die sich dafür entschieden haben – im letzten Quartal am Börsenplatz Frankfurt kein einziges. Zu groß war die Unsicherheit an den Märkten, zu zurückhaltend und verunsichert reagierten Investoren. Den großen Durchbruch wird es jetzt zwar nicht geben. Doch belegt eine neue Studie der Universität Witten/Herdecke, dass ein Börsengang für viele Mittelständler eine Chance beinhalten kann. „Für Unternehmen kann es überlebenswichtig sein, sich auf Entwicklungen und Innovationen einzulassen, die die eigenen Finanzressourcen übersteigen“, erklärt dazu Tom A. Rüsen, geschäftsführender Direktor des  federführenden Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU).

Börsennotierte Gesellschaften profitieren von einer besseren Bonität infolge erhöhten Eigenkapitals, einer guten Reputation und einem gestiegenen Bekanntheitsgrad. „Dem stehen aus unserer Erfahrung allerdings oftmals deutliche Befürchtungen insbesondere von Familienunternehmen gegenüber“, so Rüsen. Er weist beispielsweise auf Angst vor einer kurzfristigen Shareholder-Value-Orientierung hin, die „dann nicht mehr mit einer auf Enkelfähigkeit ausgerichteten Perspektive zusammenzupassen scheint“. Insofern haben Unternehmen, die sich Kapital am Markt beschaffen wollen, eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte im Blick zu behalten und eine komplexe Aufgabe zu lösen.


„Interessenten sollten für die Vorbereitung eines Börsengangs ausreichend Zeit einplanen.“

Jörg Baumgartner, Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.


Zeit als Erfolgsfaktor

„Deshalb sollten Interessenten – egal ob Familienunternehmen oder wachstumsorientierte Startups – für die Vorbereitung des Börsengangs ausreichend Zeit einplanen“, sagt Jörg Baumgartner, Rechtsanwalt der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Damit meint er rund sechs bis neun Monate. Das Unternehmen sollte bereits so aufgestellt sein, dass es für Investoren interessant ist und gut vorbereitet wirkt – im Fachjargon: Die Gesellschaft sollte börsenreif sein. „Das verstehen wir hier nicht nur hinsichtlich der technischen Schritte, sondern vor allem auch qualitativ“, kommentiert Baumgartner. Konkret sollten sich die Führungsspitze sowie die Mitarbeiter zum IPO bekennen – steht für Initial Public Offering, also für den Börsengang. Darüber hinaus erfüllen börsenreife Firmen die geforderten internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS). Sie haben Verträge mit Dritten dahingehend überprüft, dass sie dem Fremdvergleich standhalten. Außerdem wurde eine Equity Story konzipiert. „Investoren erwarten eine für den Kapitalmarkt angepasste, prägnante Präsentation des Geschäftsmodells mit allen Stärken und Perspektiven des Unternehmens“, erläutert Baumgartner. Aus seiner Sicht zählen zu einer guten Equity Story eine überzeugende, dynamische Unternehmensstrategie, innovative Produkte und idealerweise eine hohe Wachstumsdynamik.

Das attraktiv darzustellen, erfordert Erfahrung. „Wir empfehlen, frühzeitig Berater einzuschalten“, sagt der Rechtsanwalt. Die Experten sollten in einer Projektgruppe kooperieren und alle von Beginn an in den Prozess eingebunden sein. Konkret ist zunächst eine Investmentbank zu involvieren, welche die Emission begleitet und vermarktet. Darüber hinaus sind Rechtsanwälte gefragt, die den Wertpapierprospekt erstellen, sowie Investor-Relations-Berater, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit wie auch um die Kommunikation nach innen kümmern.


„Bei der Planung eines Börsengangs kommt es sehr auf die Teams an. Die müssen zusammenpassen und zusammenarbeiten.“

Hans Szymanski, NFON AG


Arbeiten im Team

Welche Bedeutung dem Zusammenspiel der Berater zukommt, weiß Hans Szymanski. Er ist CEO und CFO der NFON AG, ein Anbieter für Cloud-Telefonsysteme. Das Unternehmen notierte vor knapp zwei Jahren an der Frankfurter Börse und ist im Prime Standard gelistet. „Wir haben kurz vor unserem Börsengang angesichts des sehr volatilen Marktumfeldes die Preisspanne angepasst. Das zog organisatorisch einiges nach sich, und da war die Verschiebung des eigentlichen Börsengangs um zwei Tage nur ein kleiner Teil davon“, erinnert sich Szymanski. In dieser Situation zahlte sich die gute Wahl der Berater aus. „Bei der Planung eines Börsengangs kommt es sehr auf die Teams an. Die müssen zusammenpassen und zusammenarbeiten“, so Szymanski.

Unter diesen Prämissen kann ein Börsengang nach festen Regeln und Zeitplänen erfolgen. „Entwicklung der Präsentation, Erstellung der Jahresabschlüsse nach IFRS, erste Roadshows und immer parallel dazu die Konzeption des Prospektes als zentrales Dokument des Börsengangs“, erläutert Szymanski die wichtigsten Arbeitsschritte. Die NFON AG zeigte den potenziellen Investoren insbesondere auf, welche Wachstumsstrategie der Telefonanbieter anstrebt. „Mit dem Börsengang haben wir die Mittel erhalten, um diese umzusetzen. So konnten wir in nur einem Jahr wichtige Meilensteine erreichen“, meint der CEO. Die NFON AG arbeitete ursprünglich mit 212 Beschäftigten. „Inzwischen haben wir uns auf rund 400 Kolleginnen und Kollegen verdoppelt. Wir haben unter anderem neue Tochtergesellschaften in Frankreich und Italien gegründet“, so Szymanski. Dafür standen nach dem Börsengang brutto rund 50 Millionen Euro zur Verfügung. Den Schritt aufs Parkett bewertet das junge Unternehmen als gute Entscheidung. „Einen Börsengang macht kein Unternehmen mal eben so. Wir konnten als relativ junges Unternehmen damit aber zeigen, dass wir ein ernst zu nehmender Partner sind“, sagt Szymanski.


Vermeidbare Fehler:
Fallstricke beim Börsengang

Rechtsanwalt Jörg Baumgartner von der Kanzlei CMS empfiehlt, bereits rund zwei Jahre vor dem IPO mit den ersten Vorbereitungen zur Börsenreife zu starten – auch um mit richtiger Planung häufige Fehler zu vermeiden. Dazu gibt der Experte diese Hinweise:

Managementqualitäten aufbauen
Die Vorbereitung eines Börsengangs und der Kontakt mit Investoren sind mit den bisherigen Prozessen sowie mit dem laufenden Geschäft in einem Unternehmen nur schwer vergleichbar. Das kann dazu führen, dass das Management die Situation während des IPO falsch einschätzt und beispielsweise nicht rechtzeitig erkennt, wenn erste Probleme auftreten. Tipp: Das Management sollte sich auf die Aufgaben und Pflichten während und vor allem nach dem Börsengang (sogenannte Folgepflichten) langfristig vorbereiten und sich hier entsprechend mit Disziplin und Flexibilität einarbeiten. Wichtig ist es, die internen Zuständigkeiten frühzeitig zu klären und zu koordinieren.

Realistisch bleiben beim Preis
Auch wenn eine hohe Unternehmensbewertung sicherlich wünschenswert und das Ziel aller Beteiligten ist, wird der Preis letztendlich vom Markt und von den Investoren bestimmt. Tipp: Analysieren Sie vorab mögliche Schwachstellen und kritische Erfolgsfaktoren des Unternehmens. Leiten Sie frühzeitig Maßnahmen ein, um sich hier zu verbessern. Die Investoren legen in der Regel ohnehin später den Finger in jede Wunde.

Organe unabhängig besetzen
Gerade wenn Familienunternehmen an die Börse gehen, kommt es vor, dass die Organe bevorzugt mit Freunden und Familienangehörigen der Gründer und/oder der Großaktionäre besetzt werden sollen. Das kommt bei Investoren im Börsengang nicht gut an. Tipp: In den Gremien sollten auch erfahrene unabhängige Manager sitzen. Ein qualifizierter Finanzvorstand ist ein Muss. Dieser braucht eine entsprechend ausgewiesene Expertise und Erfahrung mit börsennotierten Unternehmen.

Kommunikationspolitik abstimmen
Es erweist sich als schädlich, wenn Aussagen des Unternehmens konträr zum Mediaplan getroffen oder Börsenpläne zu früh veröffentlicht werden. Tipp: Das Management sollte insbesondere mit Blick auf die Kommunikation gegenüber dem Kapitalmarkt durch Investor-Relations-Berater geschult werden.


„Die Transparenz macht der Familie oft schwer zu schaffen“

Tom Rüsen, Professor der Universität Witten/Herdecke, über die Veränderungen in Familienunternehmen nach einem Börsengang.

Gerade in Familienunternehmen legt das Management in der Regel großen Wert darauf, dass interne Informationen, Zahlen und Fakten nicht öffentlich werden. Wie passt das zu einem Börsengang?
Genau das ist auch ein Widerspruch. Die Familie will nicht teilen. Das sehen wir oft als ein großes Problem. Die ehemaligen Alleineigentümer können oft nicht damit umgehen, dass nach dem IPO jeder weiß, wie reich die Familie ist. Außerdem müssen sie erst lernen, dass von ihnen Transparenz gefragt ist, und vor allem, dass sie selbst nicht mehr alles vom Unternehmen wissen.

Welche Informationen werden ihnen denn vorenthalten?
Darum geht es nicht. In Familienunternehmen arbeitet häufig tatsächlich der gesamte Clan mit, beispielsweise auch Onkel, Tante oder die Cousine. Die Eigentümer unterliegen keinerlei Restriktionen, wer an wen welche Informationen liefert und wie die interne Kommunikation aufgestellt ist. Nach einem Börsengang allerdings sieht das anders aus. Dann kann es sein, dass die Cousine aus dem Controlling eben einzelnen Mitgliedern der Familie nicht mehr Auskunft geben darf. Das führt häufig zu Konflikten und sollte vorab gemeinsam diskutiert und verinnerlicht werden.

Wie sollten sich Familienunternehmen also auf den Börsengang vorbereiten?
Die Gesellschafterfamilie sollte frühzeitig zum Beispiel klären, wie vertraglich sichergestellt werden kann, dass der Börsengang von Einzelnen nicht als Einstieg in den Ausstieg aus dem Unternehmen missbraucht werden kann. Außerdem sollte es Ziel sein, intern Asymmetrien zwischen Funktionsträgern etwa im Aufsichtsrat und einfachen Familienaktionären zu umgehen. Die Gleichbehandlung von anonymen und von Familienaktionären ist immer eine Herausforderung. Das darf man nie unterschätzen.


Quelle: Magazin „Creditreform“

Text: Eva Neuthinger



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