Im gebrauchten Mantel aufs Parkett

Das Jahr 2025 verspricht ein interessantes Finanzierungsjahr zu werden. Eine Reihe mittelständischer Unternehmen trägt sich mit dem Gedanken, über ein Initial Public Offering (IPO) an frisches Kapital zu kommen. An Bedeutung gewinnt dabei ein ungewöhnlicher Weg aufs Börsenparkett.

In den vergangenen Jahren war nicht viel los auf dem IPO-Markt in Deutschland: 2022 wagten sich nur fünf Unternehmen an die Börse. 2023 waren es drei: Ionos, Thyssenkrupp Nucera und Schott Pharma. Und auch 2024 war kein guter IPO-Jahrgang. Die Kurse von drei der vier Börsenneulinge, deren Aktien im vergangenen Jahr erstmals öffentlich gezeichnet werden konnten, stehen tief im Minus. Die Parfümeriekette Douglas, das Pharmaunternehmen Pentixapharm und der Finanzdienstleister Eleving sind nach unten durchgereicht worden. Lediglich das Medienhaus Springer Nature konnte den Emissionskurs halten. Die 200 Millionen Euro, die durch die Kapitalerhöhung eingenommen wurden, will CFO Alexandra Dambeck „zur Reduktion unserer Schulden verwenden“.  

Die Performance-Schwäche der Newcomer hat Folgen. Jens Hecht, Partner bei der Finanzkommunikationsagentur Kirchhoff Consult, sagt: „Nach den deutlichen Kursverlusten der Neulinge schauen Investoren derzeit besonders kritisch auf Börsenkandidaten.“ Genauestens unter die Lupe genommen werden demnach „die Plausibilität von Gewinnaussichten und die ESG-Performance“. Nichtsdestotrotz ist Hecht von der Attraktivität der Börse als Quelle für Wachstumskapital auch für mittelständische Firmen überzeugt. Deren Weg aufs Parkett sollte durch den Abbau von unnötigen regulatorischen Anforderungen erleichtert werden. Zudem sieht er Private-Equity-Investoren als IPO-Initiatoren, weil die Börse für sie eine Exit-Option für ihre Beteiligungen ist. „Die deutsche Unternehmenslandschaft hat das Potenzial für mindestens 50 Börsengänge pro Jahr“, glaubt er. Laut dem IPO-Kenner befinden sich aktuell mehrere deutsche Unternehmen in der Warteschleife. Er nennt unter anderem Trade Republic, Celonis, Raisin und 1Komma5°. Hecht betont, dass trotz der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheiten hohe Unternehmensbewertungen erzielt werden: „Deshalb rechnen wir 2025 mit einem deutlichen Anstieg der Emissionstätigkeit und mit mindestens acht bis zehn Börsengängen im Prime Standard.“ Auch andere IPO-Experten erwarten im neuen Jahr mehr Mut und Lust auf Börse. Aber wann genau öffnet sich das Fenster wieder? Hecht: „Unternehmen, Banken und Berater schauen Woche für Woche genau hin, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen.“

Der Preis: zahlreiche Berichtspflichten

Auf dem Börsenparkett tanzen will irgendwann auch die Budget-Hotelgruppe Motel One. Allerdings könnte das noch etwas dauern. „Wir gehen bestimmt nicht in diesem oder dem nächsten Jahr an die Börse“, sagte Firmengründer Dieter Müller im Oktober 2024. „Für den Kapitalmarkt müssen wir noch einiges umstellen und vorbereiten.“ Insider rechnen nun mit 2026. Und das IPO-Ziel? Müller, der selbst 40 Prozent der Anteile sowie 60 Prozent der Stimmrechte hält, verweist auf den Generationswechsel im Gesellschafterkreis. Eine Börsennotierung würde die Anteile für die dadurch weit verzweigte Erbengeneration handelbar machen. Häufigere Gründe für einen IPO sind Schuldenabbau, neue Forschungs- und Entwicklungsfelder, Expansionspläne und der Exit-Wunsch eines Altaktionärs. Der Preis: Ein Listing an der Börse bringt zahlreiche Berichtspflichten mit sich, etwa die regelmäßige Offenlegung von Zahlen und des Geschäftsverlaufs.

Kaum ein aktueller IPO-Kandidat will offen über seine nächsten Schritte sprechen. Die meisten beißen sich lieber auf die Zunge. „Wir möchten zu unseren Plänen nichts sagen“, blockt beispielsweise eine Sprecherin des Hamburger Energieunternehmens 1Komma5° ab. Das 2021 gegründete Startup, das Dienstleistungen rund um erneuerbare Energien von Photovoltaikanlagen über Stromspeicher bis zu Ladestationen für Elektroautos anbietet, gilt mit einer Investorenbewertung von über einer Milliarde US-Dollar als „Einhorn“.  
 

Der Trick mit dem Mantel

Doch die Einsilbigkeit der Börsenaspiranten hat Gründe: Jede Aussage zu Zielen, Timing oder Konzept kann ihnen im IPO-Prozess auf die Füße fallen, wenn es zu Änderungen kommt. Und sie muss mit den Angaben im Börsenprospekt übereinstimmen. Offener sprechen die Going-Public-Kandidaten erst nach der Veröffentlichung der „Intention to Float“, wenn das beauftragte Bankensyndikat institutionelle Investoren mit dem Unternehmen und der Analystenbewertung vertraut macht. 

Um dieses Prozedere zu umgehen, ziehen sich immer mehr Firmen einen „gebrauchten Mantel“ über. Beim sogenannten Reverse-IPO suchen sie sich ein Unternehmen, das bereits an der Börse notiert, aber nicht mehr aktiv ist. Durch die Ausgabe neuer Aktien bringen sie sich in die leere Hülle ein, um die Mehrheit und damit die Kontrolle zu bekommen. So hat es zum Beispiel vor einem halben Jahr Deutschlands ältester Industriebetrieb gemacht: die Hüttenwerke Königsbronn (HWK), deren Wurzeln bis 1365 zurückreichen und die Weltmarktführer für schwere Kalanderwalzen sind, die für die Produktion von Papieren und Kartons benötigt werden. HWK hat für den Börsengang den existierenden Mantel der Terentius SE genutzt. Nach der Umfirmierung notiert der Maschinenbauer (100 Mitarbeiter) als HWK 1365 SE an der Düsseldorfer Börse. HWK-Vorstandschef Wolf Waschkuhn sagt: „Durch den Reverse-IPO war das Listing für uns günstiger und schneller möglich.“ HWK wolle künftig schneller wachsen und neue Absatzmärkte erschließen, „zum Beispiel in der Lebensmittel- und der Batterieproduktion“.  

Mit dem Gedanken eines IPO in einem Second-Hand-Umhang trägt sich auch das Kölner Softwarehaus Evy Solutions, das eine auf Künstlicher ­Intelligenz basierende Lösung zur Dokumentenver­arbeitung entwickelt hat. „Die damit mögliche vollautomatische Bearbeitung spart unseren Kunden über 99 Prozent Zeit und Kosten“, verspricht Mitgründer Michael Vogel. Eingesetzt wird die Software von Steuerbüros und Konzernen. Weil die Nachfrage hoch ist und Investitionen erfordert, braucht der 25 Mitarbeiter zählende KI-Spezialist mehr Wachstumskapital. Deshalb könnte der nächste Schritt der aufs Parkett sein. Vogel: „Das würde zudem unsere Bekanntheit stärken. Außerdem würden wir durch eine erst spätere Zug-um-Zug-Ausgabe neuer Aktien nicht Gefahr laufen, in einer volatilen Finanzmarktphase einen angekündigten IPO doch wieder absagen zu müssen.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann
Bildnachweis: Getty Image



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