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IT-Fachkräfte aus der Ferne

Der Mangel an IT-Experten und Programmierern wird für immer mehr Unternehmen existenziell. Bis 2026 könnte die hiesige Wirtschaft rund 780.000 zusätzliche IT-Spezialisten benötigen. Wie KMU die gefragten Mitarbeiter auch mithilfe von Portalen und Dienstleistern weltweit finden und binden.

Lars Ackermann ist ein erfolgreicher IT-Unternehmer – und einer, der weiß, wie und wo man die besten Programmierer und Projektmanager findet. Der 47-Jährige hat in den vergangenen zwei Jahren von Hamburg aus die X1F Gruppe aufgebaut, eine One-Stop-Shop-Technologieberatung. Zur Firmenfamilie gehören mittlerweile sieben Betriebe mit zusammen 110 Millionen Euro Umsatz und knapp 800 Mitarbeitern. Etwa 150 von ihnen arbeiten für X1F in Griechenland, Großbritannien, Kanada, USA, Polen, Serbien, Ungarn und Rumänien. „Wenn man Projekte erfolgreicher realisieren will als andere, braucht man auch fähigere Mitarbeiter“, stellt Ackermann klar. Seine Methode: im Ausland lebende IT-Spezialisten zu gewinnen. Die Manager der Firmengruppe identifizieren über ihre Netzwerke Local Heros, High Potentials, die in ihrem Land führend sind und ambitioniert nach Höherem streben. „Die überzeugen wir von unserer unternehmerischen Vision und beauftragen sie, vor Ort ein Team aus Spezialisten zusammenzustellen, die über die Fähigkeiten verfügen, die wir noch benötigen“, erläutert der CEO. Die neuen Talente werden von X1F fest angestellt. So bekommt die mittelständische Firmengruppe hochqualifizierte Fachleute, die in Deutschland fehlen: „Mit diesen Mitarbeitern können wir langfristig sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands wachsen.“ 

„Wenn man Projekte erfolgreicher realisieren will, braucht man auch fähigere Mitarbeiter.“
Lars Ackermann, X1F

Dass X1F die im Ausland gewonnenen ITler nicht nach Deutschland holt, hat einen einfachen Grund. „Vielen ist ihr soziales Umfeld wichtig, sie möchten in ihrem Heimatland bleiben“, erklärt Ackermann. „Vor Ort sind sie zudem gute Botschafter unserer Firmengruppe.“ Man setze auch Freiberufler ein, insbesondere um Auftragsspitzen abzudecken: „Es überwiegt aber die langfristige Planung.“ Die sieben sich komplementär ergänzenden Unternehmenstöchter seien in ihrer Personalpolitik frei, solange der Erfolg da ist: „Der Kunde bekommt unabhängig davon, wo Projekteinzelteile entstehen, alles aus nur einer Hand.“

Die aktuell größte Herausforderung

In Deutschland fehlen Fachkräfte: Restaurants suchen nach Köchen und Kellnern, Optiker und Obsthändler müssen ihre Läden wegen Mitarbeitermangel früher schließen, Bäckereien können sonntags nicht mehr öffnen, und wer fliegen will, sollte am besten einen halben Tag vor dem geplanten Start am Airport sein, weil es an Sicherheitspersonal fehlt und die Kontrollen sich wie Kaugummi ziehen. In der Pandemie scheinen zwischen Nordsee und Alpen Millionen Arbeitskräfte verloren gegangen zu sein. Ein Problem. „Die Gewinnung von geeigneten Mitarbeitern gehört zu den größten aktuellen Herausforderungen“, klagt Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, fordert: „Qualifizierte Zuwanderung muss ohne komplizierte bürokratische Hürden möglich sein.“ Ein Einwanderungsgesetz müsse her, „wenn wir Deutschland als Industriestandort erhalten wollen“, schlägt Uwe Rothaug vor, Chef des mittelständischen Maschinenbauers Kurtz Ersa. Zustimmung bekommt er vor allem von Unternehmern aus Branchen, in denen es schwierig oder unmöglich ist, Tätigkeiten zu automatisieren oder aus der Ferne zu erledigen. Etwas anders sieht es in IT-dominierten Branchen aus, etwa in Medienhäusern, Werbeagenturen und Banken, deren Mitarbeiter theoretisch von überall online Kontakt zur Firma und ihren Kunden halten können. Doch auch sie klagen: Es gibt keine Softwareentwickler und keine Data Scientists, keine Informatiker, IT-Administratoren und IT-Security-Fachleute. McKinsey geht in einer aktuellen Studie davon aus, dass die deutsche Wirtschaft bis 2026 rund 780.000 zusätzliche IT-Spezialisten benötigt. 

Hotspot Südeuropa

Viele Große wissen sich zu helfen: Meta etwa, das US-Technologieunternehmen mit den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram, hat kurzerhand in Madrid einen Entwicklerstandort eröffnet und angekündigt, in den kommenden fünf Jahren 2.000 spanische Mitarbeiter einzustellen. Die sollen im „Labor“ des Unternehmens, einer Plattform für Remote-Beschäftigte, tätig sein. Auch Portugal ist dank der EU-Mitgliedschaft, stabiler Rahmenbedingungen und einer relativ kleinen nationalen IT-Industrie, für Konzerne ein attraktiver Rekrutierungsmarkt. 

Kleine und mittlere Betriebe, die nicht gleich eigene Standorte im Ausland eröffnen können, müssen andere Wege gehen. Etwa über das Portal der Bundesregierung „Make it in Germany“. Hier finden Arbeitgeber Informationen, wie sie internationale Fachkräfte gewinnen und integrieren können, sowie Anlaufstellen, die dabei helfen. Seit 2012 wurden rund 37 Millionen Seitenbesuche gezählt, im Mai 2022 waren es mehr als 400.000. Ein Großteil sind ausländische Arbeitskräfte, die sich nach attraktiven Jobs in Deutschland umsehen. Mit Erfolg: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Ausländer, die in IT-Berufen beschäftigt sind, hat sich laut Bundesagentur für Arbeit in den vergangenen fünf Jahren auf rund 116.000 fast verdoppelt – knapp zwölf Prozent der gesamten IT-Fachkräfte von 973.000.

Vermittlung für IT-Talente 

Eine weitere Möglichkeit, an IT-Kräfte aus fernen Ländern zu kommen, bieten Dienstleister wie Workmotion, Lano oder Humanus Personalservice. Bei Workmotion zum Beispiel führt der suchende Betrieb – der Maschinenbauer, die Werbeagentur, das Energieunternehmen – sowohl das Bewerbungsgespräch als auch die Gehaltsverhandlungen. Den Arbeitsvertrag aber schließt der Arbeitnehmer mit Workmotion. Dafür nutzt das Berliner Startup eine seiner 15 Dependancen, beispielsweise in Indien, Südafrika oder Ägypten. „Auf diese Weise bekommen Unternehmen ausländische Talente, ohne sich um das Onboarding oder HR-Prozesse kümmern zu müssen“, erklärt Workmotion-Gründer Carsten Lebtig. „Selbst kleinere Betriebe können sich so ein globales Team zusammenstellen, das von zu Hause arbeitet.“ Der rekrutierende Betrieb zahlt das Gehalt der IT-Kraft sowie Steuern und Sozialabgaben und dem „Zwischenhändler“ monatlich pro Beschäftigten 649 Euro. Ab dem 30. auf diese Weise gewonnenen Mitarbeiter sind es 549 Euro. Laut Workmotion haben seit Frühjahr 2000 rund 600 Betriebe, vornehmlich Technologie- und Mittelstandsfirmen „außerhalb beliebter Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München“, den Service genutzt und insgesamt 2.000 Fachkräfte aus aller Welt gewonnen, so Lebtig. IT-Spezialisten stellen mit 50 Prozent die größte Gruppe unter ihnen. Auf Platz 1 der Rekrutierungsländer liegt Spanien, gefolgt von Polen und Indien. Auch Portugal sei vor allem aufgrund des gegenüber Deutschland etwa 30 Prozent günstigeren Lohnniveaus beliebt: „Besonders wichtig ist den meisten Betrieben, dass der Mitarbeiter in einem Land der gleichen Zeitzone lebt, damit man auch synchron zusammenarbeiten kann“, sagt Lebtig.

Portugal ist auch für die Hamburger Softwarefirma Njiuko ein attraktives Recruiting-Areal. „Lissabon ist ein Hotspot für Startups“, berichtet Senior Director Yannick Schade. „Dort tummeln sich Massen junger IT-Talente.“ Die nehme man auch deswegen gerne, „weil es ein vergleichbares Mindset gibt, was Regeln und Produkte angeht“. Sein Haus, das digitale Lösungen für Unternehmen wie Beiersdorf und Xing und Sportvereine wie den FC St. Pauli entwickelt, hat zuletzt einen brasilianischen App-Entwickler in Lissabon für ein Projekt in Deutschland beschäftigt. Njiuko hat 30 feste und 30 freie Mitarbeiter in rund einem Dutzend Ländern von Frankreich über Kroatien bis Vietnam und Thailand. Am liebsten würde man alle guten Leute fest an sich binden: „Aber das entscheiden nicht wir, sondern die Fachkräfte, die in der besseren Verhandlungsposition sind“, sagt Schade.


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hofmann



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