Creditreform Magazin

Was kostet (k)ein Azubi?

Fachkräfte selbst auszubilden, kostet Betriebe nicht bloß Zeit und Nerven, sondern auch viel Geld. Lohnt sich das fünfstellige Investment in den Nachwuchs für kleine und mittlere Unternehmen?

Fleischereihandwerk ist fast wie Fußball, findet Dirk Ludwig – zumindest, was das Talentmanagement betrifft: „Anfang des Jahrtausends hatte der deutsche Fußball ein gravierendes Nachwuchsproblem“, sagt der Inhaber der Metzgerei „Der Ludwig“ aus Schlüchtern in Hessen. Nachwuchssorgen kennt der mittelständische Unternehmer aus der eigenen Branche, doch über Talentmangel zu klagen, bringe weder Welt- noch Metzgermeister hervor, findet er. Genau wie der DFB im Großen, der künftige Liga- und Nationalspieler heute in rund 60 Nachwuchsleistungszentren trainiert, investiert Ludwig im Kleinen konsequent in die Talentförderung. Für sein Ausbildungskonzept wurde er mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Ausbildungs-Ass der Deutschen Wirtschaftsjunioren oder beim Wettbewerb „Bester Ausbilder“ vom Handelsblatt. Denn: „Wer ein Top-Team will, muss eine Top-Ausbildung bieten“, sagt der Familienunternehmer in vierter Generation.

Der Haken an der Sache: Junge Menschen zu produktiven Fachkräften auszubilden, kostet Betriebe erst einmal Zeit und Geld, bevor es sich für sie auszahlt. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat in einer Studie aus dem Jahr 2020 ermittelt, dass die duale Ausbildung einer Nachwuchskraft im Schnitt knapp 21.000 Euro kostet. Größter Kostenblock ist dabei mit rund 60 Prozent die Ausbildungsvergütung, gefolgt von den Personalkosten für eigenes und externes Ausbildungspersonal mit einem Anteil von rund 25 Prozent. Dazu kommen je nach Ausbildungsberuf noch Kosten für Übungs- und Unterrichtsmaterial, Werkzeug, Berufs- oder Schutzkleidung, externe Kurse oder eine eigene Lehrwerkstatt. Zusammen mit Kammergebühren, Rekrutierungs- und Verwaltungskosten addieren sich diese sonstigen Ausbildungs­kosten laut BIBB auf mehr als 3.000 Euro oder rund 15 Prozent des Gesamtbetrags.

Mehr Kosten als Nutzen?

Den Bruttokosten stehen Erträge von durchschnittlich knapp 14.500 Euro gegenüber, die ein Azubi im Lauf seiner Lehrzeit erwirtschaftet. Auch das hat das BIBB ausgerechnet und es bedeutet im Klartext: Bis zur Abschlussprüfung muss jeder Ausbildungsbetrieb netto erst mal mehrere Tausend Euro in jeden Auszubildenden investieren. Der genaue Betrag variiert je nach Branche, Unternehmensgröße und Ausbildungsberuf (siehe Tabelle). Besonders teuer sind beispielsweise anspruchsvolle technische oder naturwissenschaftliche Ausbildungen oder IT-Berufe, bei denen junge Menschen besonders lange lernen und üben müssen, bevor sie produktiv für fachliche Aufgaben eingesetzt werden können. Aber auch für Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten ist die Ausbildung einer Fachkraft netto oft teurer, da sich Fixkosten auf weniger Auszubildende verteilen als in größeren Unternehmen.

Der nüchterne Blick auf die Zahlen suggeriert: Ausgelernte Fachkräfte einzustellen, erscheint wirtschaftlicher, als selbst welche auszubilden. Anders als im Fußball verfügen kleine und mittlere Betriebe schließlich weder über ein Millionenbudget zur Talentförderung – noch müssen sie eine Ablösesumme zahlen, wenn sie von anderen Unternehmen die Ex-Azubis nach der Prüfung abwerben. Dazu kommt die hohe Abbruchquote: Laut DIHK-Ausbildungsumfrage 2023 endet rund jede vierte Ausbildung vorzeitig, weil entweder der Azubi oder aber der Betrieb kündigen. Viele Verträge werden dabei erst nach einem Jahr oder noch später beendet – für die betroffenen Betriebe ein hoher Verlust.

Frischer Wind fürs Team

Warum also Zeit, Geld und Nerven in ein Projekt mit ungewissem Ausgang investieren? Für Dirk Ludwig lautet eine Antwort: Um nicht zu überaltern. Erfahrung und Tradition seien im Handwerk zwar wichtig, doch die „jungen Wilden“ brächten mit neuen Ideen und eigenen Standpunkten frischen Wind in die Firma und motivierten ältere Kollegen auch mal zum Umdenken. „Die Leistungsbereitschaft von Berufseinsteigern ist enorm und kann sich auf die gesamte Belegschaft übertragen“, sagt der Metzgermeister.

Den jugendlichen Elan zu erhalten und jeden Azubi zu persönlichen Bestleistungen zu befähigen, ist ihm als Ausbilder wichtig. In ungezählten Arbeitsstunden hat er deshalb die Inhalte des Ausbildungsrahmenplans in konkrete, auf den eigenen Betrieb ­abgestimmte Lerneinheiten übersetzt. Den strukturierten Wochenplan können seine Auszubildenden jederzeit über Ludwigs digitalen Talentcampus „Skills & Bones“ abrufen und beliebig oft wiederholen. Zu Beginn der Ausbildung erhalten dafür alle ein iPad geschenkt. Eigene Azubi-Projekte, externe Koch- oder Grillkurse, Praktika bei Spitzenköchen und nicht zuletzt die erfolgreiche Teilnahme an Leistungswettbewerben stärken den Stolz auf den erlernten Beruf und die Identifikation mit dem Betrieb. Einen Ausbildungsabbruch hat Ludwig seit der Firmenübernahme 2006 noch nie erlebt, ganz im Gegenteil: „Der Ludwig“ hat bereits zwei Azubis zur Prüfung geführt, die anderswo ihre Ausbildung abgebrochen hatten. Auch eine Hauptschülerin, der andere Betriebe keine Chance geben wollten, hat er erfolgreich ausgebildet.

Bei der Suche nach Nachwuchstalenten kooperiert Dirk Ludwig zum Beispiel mit Schulen und lässt seine Azubis selbst in den Sozialen Medien berichten. Auch Kammern, Berufsverbände oder Jugendberufsagenturen unterstützen mittelständische Unternehmen, beispielsweise mit Onlinebörsen, Azubi-Speed-Dating oder durch die „Passgenaue Besetzung“. Bei diesem IHK-Angebot matchen geschulte Berater vorab Bewerberprofile und Anforderungen der Ausbildungsbetriebe. Wer Problemkandidaten, beispielsweise Geflüchteten oder Jugendlichen ohne Schulabschluss, eine Chance gibt, kann fachliche und finanzielle Ausbildungshilfen beantragen. Bei Schwierigkeiten während der Ausbildung vermitteln bei Bedarf ehrenamtliche Mentoren, zum Beispiel im Rahmen des Programms zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen (VerA).

Lehr- statt Leerstellen

Angesichts des demografischen Wandels sei es nicht nur gesellschaftlich wünschenswert, sondern auch unternehmerisch sinnvoll, dringend benötigte Fachkräfte selbst auszubilden, sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. In den kommenden Jahren verließen pro Jahr bis zu 400.000 Beschäftigte mehr den Arbeitsmarkt, als neue hinzukommen. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen sind die vielen drohenden „Leerstellen“ ein kostspieliges Problem: Auf

durchschnittlich 10.500 Euro beziffert das BIBB die Kosten für Personalsuche und Einarbeitung einer Fachkraft – also mehr, als die Betriebe für ein passgenau ausgebildetes eigenes Nachwuchstalent aufwenden müssten. Rechnet man Umsatzausfälle und entgangene Aufträge hinzu, belaufen sich die Vakanzkosten laut der Jobbörse Stepstone sogar auf durchschnittlich 29.000 Euro. Wer ausbilde, mache sich unabhängig vom Arbeitsmarkt und könne Personalengpässe oder Fehlbesetzungen vermeiden, heißt es beim BIBB.

Last but not least sind erfolgreiche Azubis gut fürs Image und bringen Pluspunkte bei Kunden, Geschäftspartnern und Mitarbeitern. Einen Weltmeistertitel hat aus dem 33-köpfigen Team von „Der Ludwig“ zwar noch niemand, doch ein wichtiges Etappenziel hat der engagierte Ausbilder bereits erreicht: „In diesem Jahr stellen wir zum ersten Mal ein Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft des Fleischerhandwerks.“


Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Kirstin van Elm
Bildnachweis: Hinterhaus Productions / Getty Images



Creditreform Saarbrücken Pirmasens