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Die Insolvenz als Chance?

Die Creditreform Wirtschaftsforschung stellt halbjährlich die aktuellen Zahlen zu den Unternehmens- und Privatinsolvenzen vor. Dies noch vor anderen Institutionen (u. a. Statistisches Bundesamt), weil die Zahlen direkt bei den lokalen Amtsgerichten recherchiert werden.

Im Juni 2024 werden turnusgemäß die Werte für das erste Halbjahr des laufenden Jahres veröffentlicht. Die Insolvenzen sind ein wichtiger Gradmesser der wirtschaftlichen Entwicklung. In ihnen spiegeln sich, über den einzelnen Fall hinaus, Tendenzen in der Finanzierung und in der Konjunktur wider. So werden sie von Wirtschaft und Politik mit Spannung erwartet – deshalb an dieser Stelle bereits ein Rückblick auf das erste Quartal 2024.

Ebbe und Flut

Seit dem Sommer des Vorjahres steigen die Insolvenzzahlen mit zweistelligen Zuwächsen. In den ersten drei Monaten zu Beginn des Jahres war dies nicht anders: Das Jahr begann mit einem Paukenschlag und über 26 Prozent mehr Insolvenzen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Wenn auch nicht in dieser Höhe, so kletterten die Insolvenzzahlen doch weiter. Im Februar war es ein Plus von 18,1 Prozent und im März 2024 waren es plus 12,3 Prozent. Wie immer bei wirtschaftlichen Themen werden die Metaphern aus der Meereswelt entlehnt. So war auch gleich von einer Insolvenzwelle die Rede, manchmal sogar von einem Tsunami. Man spricht vom Unternehmensschiff, das Schlagseite bekommt und zu kentern droht. Schließlich droht der Schiffbruch. Dabei lassen sich die zweistelligen Zuwächse leicht relativieren. Das Statistische Bundesamt schreibt dazu: „Über einen längeren Zeitraum betrachtet liegt die Zahl der Regelinsolvenzen zwischen April 2023 und März 2024 jedoch in etwa auf dem Vor-Corona-Niveau des Zeitraums April 2019 bis März 2020.“ Gegen die Panik äußert sich auch mancher Insolvenzverwalter, der als Insider von einer „Normalisierung“ des Insolvenzgeschehens spricht.

Wenn in 2024 die Unternehmensinsolvenzen die Marke von 20.000 Anträgen überschreiten, dann hat das auch unter umgekehrten Vorzeichen mit der Corona-Pandemie zu tun. Mit dem Lockdown wurden Hilfen von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt, um zu verhindern, dass die Unternehmenslandschaft in der Krise ausdünnt. Es flossen Milliarden Euro an Staatshilfen und es wurden durch die KfW günstige Kredite vergeben. Hinzu kamen die rechtlichen Änderungen durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. So wurden Insolvenzen nicht häufiger, sondern seltener. Liquidität stand zur Verfügung und darüber hinaus kam es zu einer Vielzahl von Betrugsfällen. Es bestand und es besteht die Befürchtung, dass manches Unternehmen nur am Tropf staatlicher Hilfen überlebte. Betriebe also, die paradoxerweise gerade wegen der Krise weiter existierten.

Krisen im Spiegel der Insolvenzen

Wer einen Blick auf die Insolvenzhistorie der letzten Jahrzehnte richtet, der sieht, wie sich gesamtwirtschaftliche Krisen in den Insolvenzzahlen spiegeln. Dabei geht es weniger um absolute Zahlen der betroffenen Unternehmen, denn der Unternehmensbestand hat sich im Laufe der längeren Geschichte stark verändert, sondern um das Plus oder Minus in der Entwicklung der Insolvenzen. So gab es in der ersten größeren Wirtschaftskrise der jungen Bundesrepublik Deutschland 1965/66 einen Zuwachs von 22,2 Prozent (nach einem Rückgang von 6,0 Prozent). Im Zusammenhang mit dem Ölpreisschock ergab sich dann 1974 ein Plus von 49,4 Prozent, das dann 1982 mit 40,3 Prozent fast wieder erreicht wurde. Markant steigende Insolvenzen kamen dann durch die Wiedervereinigung Anfang der 90er-Jahre wieder in die Register. Mit dem Höchstwert 1993 von 38,7 Prozent wurde von 1991 bis 1998 ein jahrelanger Zuwachs an Unternehmenszusammenbrüchen registriert. Das neue Jahrtausend war geprägt von rückläufigen Insolvenzzahlen, Deutschland hatte sich in neuen Grenzen konsolidiert. Doch es gab zwei markante Ausnahmen. Das war das Platzen der Dotcom-Blase 2001 und 2002 sowie die Finanzkrise, die 2009 noch einmal einen Zuwachs von 11,6 Prozent bescherte. Es folgten Jahre der Abnahme von Unternehmensinsolvenzen. 2020 nannten die Insolvenzgerichte ein Minus von 15,5 Prozent.

Neues Insolvenzrecht

Bei den genannten Zahlen ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Unternehmenslandschaft in vielerlei Hinsicht Veränderungen erfahren hat. Für das Insolvenzgeschehen wichtig ist etwa die Verschiebung der Branchen hin zum Tertiärbereich – zu Handel und Dienstleistungen. Diese Wirtschaftsbereiche stellen den überwiegenden Anteil am Insolvenzgeschehen. Hinzu kommt aber auch eine Änderung in der Mentalität, in der Einstellung zur Insolvenz. Die Insolvenz gilt nicht mehr zwangsweise als unternehmerisches Scheitern, sie ist auf keinen Fall mehr der „bürgerliche Tod“. Die Änderungen der Insolvenzordnung, das Verlassen der alten Konkursordnung und des klassischen Vergleichs ist nicht nur Ausdruck der Angleichung ost- und westdeutscher Rechtsordnungen, sondern eben auch eines anderen Umgangs mit Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Und dies gilt nicht nur gegenüber Konsumenten, sondern eben auch gegenüber Unternehmen.

Den neuen Sanierungsverfahren im Insolvenzrecht kommt gerade bei größeren Unternehmen eine besondere Bedeutung zu. Sicher mag man, etwa im Zusammenhang mit dem Insolvenzantrag von Galeria Kaufhof, fragen, ob diese Sanierungen immer sinnvoll sind. Fest steht, dass sie gerade bei größeren Unternehmen mittlerweile Mittel der Wahl sind. Die Sanierungsexperten von Baker Tilly stellen quartalweise einen Sanierungsmonitor zur Verfügung. Dabei liegt der Schwerpunkt bei großen Insolvenzen von Unternehmen mit mehr als 20 Mio. Euro Umsatz und über 100 Mitarbeitern. Im letzten Quartal 2023 zählte man 17 realisierte Fortführungslösungen für größere Unternehmen. Auch wenn die Sanierer bemängeln, dass bei 47 größeren Antragsverfahren nicht ganz die Hälfte den Weg in die Sanierung genommen hat, so ist doch diese Zahl noch vor wenigen Jahren nicht denkbar gewesen. Ob hülsta Möbel-Werke, die Kiener Maschinenbau-Gruppe oder vor allem Peek und Cloppenburg mit fast 7.000 Beschäftigten – unter den Firmen, die den Weg in eine Sanierung im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren gehen, finden sich bekannte Namen. Ob übertragende Sanierungen oder Insolvenzplan, gerade bei größeren Unternehmen gibt es noch eine Zukunft. Auch dies ist also ein Grund – mehr und mehr größere Unternehmen sind aktuell betroffen –, angesichts der deutlichen Zunahme von Insolvenzen nicht schwarz zu sehen.

Quellen: Baker Tilly, Statistisches Bundesamt



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