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Todesstoß für deutsche Insolvenzkultur?

Im Dezember 2022 legte die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf vor, mit dem das europäische Insolvenzrecht weiter harmonisiert werden soll. Dieser Entwurf hat in Deutschland für großen Wirbel gesorgt.

Nun handelt es sich tatsächlich nur um einen Entwurf, der zunächst einmal das Thema aufnimmt und zur Diskussion stellt und der dann später mit einer zweijährigen Frist in nationales Recht umgesetzt werden muss. Eingebracht wurde er von Spanien. Jetzt sind die Länder – und hier insbesondere Deutschland – aufgefordert, im Vergleich mit ihrem national geltenden Insolvenzrecht ihre Vorstellungen modifizierend einzubringen. Doch trotz dieser Hürden ist die Aufregung groß – und dies bezieht sich vor allem auf die neuen Regelungen für Kleinstunternehmen. So soll der Richtlinienentwurf ausdrücklich nicht für Versicherungsunternehmen, Banken, aber auch natürliche Personen, insofern sie nicht unternehmerisch tätig sind, gelten. Das Verbraucherinsolvenzverfahren bleibt hiervon unberührt.

Kapitalmarktunion

Ziel ist es, ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zu einem integrierten Kapitalmarkt in Europa zu beseitigen. Tatsächlich sorgt die unterschiedliche Ausgestaltung der nationalen Insolvenzrechte für viele Probleme – nicht nur, wie die EZB hervorhebt, für den Kapitalmarkt, sondern eben auch bei der wirtschaftlichen Grenzüberschreitung im Falle einer Unternehmensinsolvenz. Die Möglichkeiten der Verwertung von Sicherheiten (etwa einem nach deutschem Recht möglichen Eigentumsvorbehalt), die Kosten des Verfahrens und schließlich die Höhe der Quoten – all dies sorgt für beträchtliche Risiken bei länderübergreifenden Geschäften. Ein Abbild dieser Problematik lässt sich in makroökonomischer Hinsicht bei der alljährlich von Creditreform publizierten Analyse zur Insolvenzsituation in Europa erkennen. Warum hat Frankreich mit über 40.000 Unternehmensinsolvenzen einen Anteil von rund 30 Prozent am westeuropäischen Unternehmensinsolvenzaufkommen? Griechenland hatte im Jahr 2022 nur 46 Insolvenzfälle bei Unternehmen zu verzeichnen. Ein unterschiedliches Insolvenzrecht mit entsprechend verschiedenen Vorgaben etwa für kleine Unternehmen, verschiedene Möglichkeiten eine Insolvenz zu beantragen sowie ihre Kosten aufzubringen oder eben eine andere Publikation der Statistik der Fälle, machen es fast unmöglich, die Insolvenzsituation in den einzelnen Ländern zu vergleichen. Nach Schätzungen sind aber rund 10 bis 20 Prozent der Insolvenzfälle in der Europäischen Union von einer grenzüberschreitenden Kreditvergabe betroffen.

Kleinstunternehmen im Fokus

An dieser Stelle soll nur die für das deutsche Insolvenzrecht besonders prekäre Neuordnung rund um die Kleinstunternehmen dargestellt und bewertet werden. Der Entwurf sieht weitere Änderungen vor, etwa für die Bildung des Gläubigerausschusses, für das sogenannte Pre-Pack-Verfahren, mit dem der Verkauf des angeschlagenen Unternehmens vorbereitet wird und schließlich bei den Antragspflichten. Zunächst aber zur Definition von Kleinstunternehmen im Sinne des EU-Vorschlags: Sie dürfen nur weniger als zehn Beschäftigte zählen sowie einen jährlichen Umsatz von 2 Mio. Euro nicht übertreffen (oder eine Bilanzsumme von nicht mehr als 2 Mio. Euro vorweisen). In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass bei den Insolvenzverfahren im ersten Halbjahr 2023 in Deutschland 82 Prozent der Unternehmensinsolvenzen Betriebe in einer Mitarbeitergrößenklasse von bis zu zehn Beschäftigten betraf. Angesichts der im Zuge der Krise zunehmenden Anzahl von größeren Betrieben liegt diese Zahl sogar noch unter dem langjährigen Durchschnitt, als nur jeder zehnte Betrieb elf oder mehr Mitarbeiter aufwies.

Für die kleinsten Unternehmen wurde zunächst ein eigener Begriff der Zahlungsunfähigkeit geschaffen, der zwar zunächst allgemein darauf abstellt, dass der Schuldner seine Rechnungen bei Fälligkeit nicht begleichen kann, es aber doch den einzelnen Mitgliedsländern überlässt zu definieren, wie dies einfach und nachhaltig festzustellen ist. Die Überschuldung als Insolvenzgrund spielt in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. In Zukunft soll die Überschuldung ganz wegfallen und es wird allein auf die eben genannte und noch weiter zu definierende Zahlungsunfähigkeit abgestellt.

Die Eigenverwaltung ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Der EU-Vorschlag möchte, dass sie auch bei Kleinstunternehmen in Zukunft zur Regel wird. Der laufende Betrieb wird von der bisherigen Geschäftsführung weiterbetrieben. An dieser Stelle findet sich für deutsche Verhältnisse jedenfalls ein entscheidender Ansatz für Kritik. Es wird nun kein Insolvenzverwalter mehr bestellt. Zuständig ist eine Insolvenzbehörde, die im Zweifelsfalle zu entscheiden hat, ob das Management weiter unternehmerisch tätig sein darf. Damit sind nicht mehr die Gerichte zuständig, sondern eine im Entwurf genannte „zuständige Behörde“. So würde der deutschen Insolvenzkultur ein entscheidender Schlag versetzt. Gerichte und Insolvenzverwalter sind geradezu Säulen des Verfahrens.

Keine Ablehnung des Verfahrens

Wie die Eigenverwaltung, so ist auch die Masselosigkeit als Hinderungsgrund für die Durchführung eines Verfahrens auf dem Rückzug. Dennoch wäre es völlig neu, wenn eine Abweisung mangels Masse nicht mehr und eine Durchführung in jedem Falle möglich sei. So wird es wohl sein, dass es zu einer Stundung der Kosten, ähnlich der Regelung im Verbraucherinsolvenzverfahren kommen wird. Auch dafür aber müssen zunächst die Voraussetzungen geschaffen werden, was allerdings bei einem Kleinstunternehmen mit doch 2 Mio. Euro Umsatz zu Schwierigkeiten führen wird.

Es ergeben sich generell zwei Hauptansätze für eine große Skepsis gegenüber dem vorliegenden Entwurf. Da ist zum einen die (gewohnte) Schuldnerfreundlichkeit der EU, die dem Willen zu einer besseren Gläubigerbefriedigung gegenübergestellt wird. Zum anderen hat die Sanierung von Unternehmen durch den Insolvenzverwalter in vielen Fällen großen Erfolg. Einzelne Verwalter haben es geschafft, in fast aussichtslosen Fällen noch einen „Turnaround“ zu meistern. Trotz aller Kritik – berechtigt eben auch bei schwachen Insolvenzverwaltern – wäre es fatal, die Institution „Insolvenzverwalter“ bei Kleinstunternehmen aufzugeben. Aber noch ist Zeit, am Entwurf zu arbeiten und Alternativen, die sich aus langer deutscher Erfahrung auftun, einzubringen.

Quellen: verschiedene RA-Kanzleien, ZInsO



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